"Der Ruf", letzter Teil der Trilogie "Fidèles d'amour", im Wiener Odeon.

Foto: Odeon / Helmut Krbec

Wien – Ein Labyrinth aus Vorhängen umfängt die Eintretenden. Dunkle herumhuschende Figuren tragen Kameras in den aufgesetzten Pappmachéköpfen. Sie filmen das Publikum und werfen sein Abbild auf die Stoffe. Das dauert eine Weile. Dann werden die von der Decke hängenden Tücher allmählich zur Seite gezogen, der Raum weitet sich. Wir alle sind in einem Brunnen gefangen und werden gerade befreit. Dank der Nächstenliebe von Erwin Piplits.

Der Theatermacher zeigt im Odeon den letzten Teil seiner Trilogie Fidèles d'amour. Der Pfad zur Liebe ist darin beschwerlich, wegen Unreife blieb sie etwa in Teil eins und zwei unerreicht. Wieder lehnt man sich nun an Erzählungen des iranischen Mystikers Schihab ad-Din Yachya Suhrawardi. Diesmal an jene von einem Mann, der seine Heimat willentlich hinter sich gelassen hat und fremd in eine Stadt gekommen in einen Brunnen geworfen wird.

Gegenwärtig und gewillt

Aus dieser Gefangenschaft und Einsamkeit kämpft sich der Namenlose zurück zu den Menschen, von denen er einst weggegangen ist. Dieser Weg illustriert eine persönliche Entwicklung. Denn Gemeinschaft ist nicht bloß die Gegenwart mehrerer – sie erfordert auch den Willen jedes Einzelnen zur Teilnahme daran.

Es tangiert Der Ruf demgemäß Angelegenheiten wie Verantwortung und Egoismus. Die Handlung kristallisiert sich um sparsame Sätze – angeregt ebenso von Goethe, Novalis, Peter Sloterdijk oder Mascha Kaléko – und umso üppigere Szenen. Gewitzt gehen zum Beispiel Handgesten des sich Abputzens in ein Schuhplatteln über. Eine Anspielung auf eine Alpennation der weißen Westen?

Das Serapionsensemble erfand dem Mann als Gefährten eine Frau und ein erfahreneres Paar. Zusammen besteigen sie u. a. ein Schiff. In der Handhabung von Tüchern, die als Meer wogen, macht den Darstellern keiner etwas vor. Generell erweist sich die sparsame, mit Videoprojektionen aufgepeppte Bühne als effektvoll und wandlungsfähig. Schon steigt einer die Säulen des Odeon von der Decke herab. Das ergibt mit der stimmungsvollen Musik und energetischen Tanzeinlagen eine in sich absolut runde Sache.

Für Kontrast sorgt ein zweiter Handlungsstrang. Als schlurfiger Bühnenarbeiter tritt Piplits selbst zwischen die ätherischen Szenen. Er muss einer herben Bürokratin den Zauber des Theaters erklären. Diesem kann sie sich nicht versagen. Gleich wie das Premierenpublikum. Poesiealbum und Duftlicht vertrugen sich mit diesem sozialen Plädoyer. (Michael Wurmitzer, 16.2.2018)