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Endlich draußen: Deniz Yücel umarmt seine Frau Dilek Mayatürk vor dem Gefängnis in Silivri.

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Nach einem Jahr und einem Tag in Untersuchungshaft ist Deniz Yücel frei.

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"Ich freue mich sehr über diese Entscheidung der türkischen Justiz", sagte der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel.

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Umarmen, hat Deniz Yücel geschrieben, dann Dilek noch einmal umarmen. Das würde er als Erstes machen, wenn er wieder freikäme. Freitagnachmittag kommt Yücels Anwalt mit einem Fotografen und nimmt das Bild auf: Deniz und Dilek vor der Gefängnismauer von Silivri. Das Paar hält sich in den Armen. Deniz Yücel, der Türkei-Korrespondent der deutschen Tageszeitung "Die Welt", ist draußen. Seine Haare sind zerzaust, das Gesicht ist ein wenig verquollen. Im Mundwinkel baumelt keine lässige Tschick wie auf den Postern der #FreeDeniz-Bewegung. Der Medienpirat hat auch frei.

Ein Jahr und einen Tag saß der deutsch-türkische Journalist im Gefängnis, ohne Anklage und bis auf die erste Woche im Polizeihauptquartier in Istanbul stets in Isolationshaft wie ein hochgefährlicher Verbrecher. Am 367. Tag twittert Yücels Anwalt Veysel Ok: "Und endlich gibt es für meinen Mandanten Deniz Yücel den Entscheid zur Freilassung."

Anklageschrift fertig

Es ist Viertel nach zwölf, ein trüber Wintertag in Istanbul. Ok fährt hinaus nach Silivri, der Gefängnisstadt an der Autobahn nach Edirne. Kurze Zeit später werden die Umstände dieser Freilassung klarer. Die Staatsanwaltschaft hat endlich eine Anklageschrift vorgelegt, und die 32. Kammer für schwere Straftaten in Istanbul nahm sie an und verfügte gleichzeitig Yücels Entlassung aus der Untersuchungshaft.

Dem 44-jährigen Journalisten wird in der Türkei ein Prozess gemacht: Bis zu 18 Jahre Haft beantragt die Staatsanwaltschaft, vor allem wegen Propaganda für die kurdische Untergrundarmee PKK. Sie ist in der Türkei wie in Europa als Terrororganisation eingestuft. Yücel hat 2015 einen Führer der PKK in den Kandil-Bergen im Nordirak interviewt. Wie so viele andere Journalisten auch.

Unsicher war zunächst, ob Yücel auch zurück nach Deutschland reisen durfte. Seine Zeitung meldete es so: Es gebe keine Ausreisesperre für Deniz Yücel. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel zeigte sich etwas vorsichtiger. Er rechne fest damit, dass Yücel sehr bald das Land verlassen könne, wurde Gabriel am Rand der Sicherheitskonferenz in München zitiert.

Gabriel bedankt sich

Dort tritt auch der türkische Regierungschef Binali Yildirim auf. Er hatte tags zuvor nach einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel in Berlin erklärt, er hoffe auf eine Lösung des Fall Yücels in kurzer Zeit. Dass die Justiz in politisch sensiblen Angelegenheiten ihre Anweisungen aus dem Präsidentenpalast in Ankara erhält, will weder die türkische noch die deutsche Seite einräumen. "Ich freue mich sehr über diese Entscheidung der türkischen Justiz", lässt Gabriel erklären, "ich danke ausdrücklich der türkischen Regierung für ihre Unterstützung bei der Verfahrensbeschleunigung."

Einen "Agenten" und Terroristen hatte der türkische Staatschef den Welt-Korrespondenten Yücel im vergangenen Jahr in einer Wahlkampfrede genannt. Nach der Freilassung des Menschenrechtlers Peter Steudtner im Oktober 2017 – auch gegen ihn läuft der Prozess weiter – war Yücels Inhaftierung das größte Hindernis für eine Normalisierung des deutsch-türkischen Verhältnisses.

Lebenslange Haftstrafen

Während Yücel am Freitag aus der Zelle kam, verkündete ein Gericht im selben Gefängnis in Silivri in einem Schlüsselprozess das erste Urteil gegen namhafte Journalisten, die als angebliche Helfer des Putschs vom Sommer 2016 angeklagt waren: Sechs von ihnen wurden zu lebenslanger Haft unter erschwerten Bedingungen verurteilt, darunter die Brüder Ahmet und Mehmet Altan und die Kolumnistin und frühere Abgeordnete Nazli Ilicak.

Ahmet Altan war Chefredakteur der mittlerweile geschlossenen Tageszeitung Taraf und zählt zu den wichtigsten liberalen Intellektuellen in der Türkei. Sein Bruder Mehmet, ebenfalls ein renommierter Journalist, moderierte eine Talkshow, an der wenige Tage vor dem Putsch vom 15. Juli 2016 auch Ahmet Altan teilnahm.

Die Justiz wirft ihnen vor, mit "sublimen Botschaften" die Öffentlichkeit auf den versuchten Staatsstreich vorbereitet zu haben. Das türkische Höchstgericht verwarf dieses Argument und ordnete Mehmet Altans Freilassung an. Ein untergeordnetes Gericht widersetzte sich. (Markus Bernath, 16.2.2018)