Im Inselstaat Taiwan lebt man seit vielen Jahren mit der Gefahr starker Erdstöße: Erst vor einer Woche wurde die Ostküste Taiwans von einem Beben der Magnitude 6,0 erschüttert. Die Folgen: mindestens neun Todesopfer, zahlreiche Verletzte, eingestürzte Häuser. Das Bild eines mit Pfeilern gestützten Hauses, in dem Helfer nach Überlebenden suchen, wurde in zahlreichen Nachrichtensendungen gebracht. Dabei wurde auch an ein Beben vor zwei Jahren mit der Magnitude 6,4 erinnert. Im Jahr 1999 waren es sogar 7,3, damals starben etwa 2400 Menschen. Die Magnitude misst die Energie, die beim Beben freigesetzt wird.

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Tsunami an der japanischen Küste 2011.
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Wie aber stellt sich die Situation in Europa und speziell in Österreich dar? Gibt es auch hier aufgerissene Straßen, zusammengestürzte Häuser, Staudämme, die, wenn man Glück hat, trotz starker Risse halten? Starkbeben werden vor allem in Italien registriert.

Die im August 2016 beginnende Serie von Erdstößen im zentralen Apennin führte zu schweren Schäden. In Österreich sind solche Ereignisse seltener: Im vergangenen Jänner hat in Vorarlberg innerhalb kurzer Zeit dreimal spürbar die Erde gebebt – mit leichten Schäden.

Im Wiener Becken treten derlei Erschütterungen auch auf. Historiker verweisen gern auf das Jahr 1972. Damals wurden sogar 7,0 Intensität gemessen (Magnitude 5,3), das Epizentrum lag in Seebenstein. Es kam zu Sachschäden an der Universität Wien. "Zum Glück war das ein Sonntag", erzählt der Geophysiker Wolfgang Lenhardt von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien-Döbling, "sodass es keine Verletzten gab." Alle seither gemessenen Erdstöße waren deutlich schwächer.

Häufige Katastrophenmeldungen

Lenhardt wird von Laien seit Jahren immer wieder gefragt: "Werden die Erdbeben häufiger? Steigt die Gefahr?" Man höre doch in jüngster Zeit öfter als zuvor von Katastrophen: Das Beben in Haiti 2010 wird dabei genauso genannt wie der Tsunami im Indischen Ozean 2004 oder das Seebeben vor der ostjapanischen Küste im März 2011, dessen Magnitude bei 9,0 lag und das einen Tsunami auslöste. Etwa 16.000 Menschen kamen damals ums Leben.

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Am Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam wird das Seismogramm des Erdbebens vor Indonesien 2012 präsentiert
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Der Experte verneint: "Die Anzahl der detektierten Beben wird schon mehr, allerdings nur, weil wir sehr viel mehr Messstationen haben als in früheren Jahren, besonders zwischen 1991 und 2000 war ein Anstieg an gemessenen Daten zu verzeichnen." Auf der Homepage des ZAMG, einer Forschungseinrichtung des Wissenschaftsministeriums, wurden seit Anfang Februar sogar rund 90 Beben innerhalb Europas verzeichnet. Das ist nicht außergewöhnlich. Lenhardt: "Weil wir alles registrieren." Das heißt im Umkehrschluss aber auch: Die meisten Beben sind gar nicht spürbar und bleiben ohne Folgen für Umwelt und Bevölkerung.

Fest steht: Die Erde bebt immer an oder in der Nähe sogenannter Störungszonen, sagt Lenhardt, dort, wo die Platten der Erdkruste aneinandergrenzen und somit Spannungen entstehen. Diese Energie kann zu groß werden, dann muss sie sich entladen, es kommt zu Erdbeben. Das bisher ungelöste Problem dabei: Man kann Beben im Gegensatz zu extremen Wetterereignissen nicht vorhersagen.

Entstehung im Chaos

Ewald Brückl, Geophysiker an der TU Wien, sagt: "Die Auslösung von Erdbeben entspricht Prozessen in einem deterministischen Chaos." Das heißt: "Minimale Unsicherheiten und Variationen in den Zustandsgrößen des Systems führen zu völlig anderen Ergebnissen. weshalb die Stärke einzelner Beben und ihr Epizentrum nicht vorhergesagt werden können." Man könne allerdings aufgrund von Erfahrungswerten das Risiko für Beben dokumentieren, "was die Gesellschaft zu einer vernünftigeren Bauweise bringen sollte", ergänzt Lenhardt. Doch leider werde die Gefahr in vielen betroffenen Regionen verdrängt. "Das Thema ist recht unbeliebt", sagt der ZAMG-Wissenschafter.

Die zerstörte japanische Stadt Ishinomaki nach dem Beben 2011.
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Was die Bauweise bringen kann, zeige ein Vergleich von Opferzahlen, sagt TU-Wissenschafter Brückl. Sowohl das Erbeben in der japanischen Großstadt Kobe 1995 als auch jenes in Haiti 2010 hätten Magnitude 7,0 erreicht. In Kobe musste man etwa 4500 Todesopfer beklagen, in Haiti waren es Schätzungen zufolge weit mehr als 200.000 Menschen, die starben.

Michael Strasser, Professor für Sedimentgeologie an der Universität Innsbruck, verweist auf ein internationales Forschungsprojekt namens Nantroseize, das Nankai Trough Seismogenic Zone Experiment, auf dessen Basis man in Zukunft vielleicht doch einmal Vorhersagen treffen kann. Hier wird am erdbebenverursachenden Teil der Erdkruste gebohrt – und zwar inmitten des Nankai-Grabens im Ozean vor der Südwestküste Japans, einer der aktivsten Zonen auf der Erde.

Hier soll über mehrere Jahre analysiert werden, welche Prozesse für Erdbeben und Tsunamis verantwortlich sind, wenn sich eine Platte aufgrund ihrer Schwere unter die andere legt. Langfristig sollte man dann aus Erfahrungswerten auf die Zukunft schließen können. Strasser, der erst kürzlich im Fachmagazin Nature Communications über Kohlenstoffansammlungen am Meeresboden nach Erdbeben publizierte, glaubt, dass das kaum vor zehn bis zwanzig Jahren passieren kann. (Peter Illetschko, 18.2.2018)