Markus Ragger steht vor einer großen Aufgabe.

Foto: Matthias Cremer

Graz – Österreich gegen Deutschland, das hat bekanntlich nicht nur im Fußball Brisanz. Läppische 108 Jahre ist es her, dass sich der Österreicher Carl Schlechter und der Deutsche Emanuel Lasker um die Schachweltmeisterschaft duellierten. Der Wettkampf endete nach dramatischem Verlauf bekanntlich unentschieden, Lasker blieb Weltmeister. Dafür startete fast ein Jahrhundert später der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic seine literarische Karriere mit einem den historischen Wettkampf fiktionalisierenden Roman namens "Carl Haffners Liebe zum Unentschieden".

Raggers Ziel

Im Grazer Hotel Novapark geht es ab Samstag, zwar leider nicht um den WM-Titel, aber doch immerhin um die schachliche Vorherrschaft im deutschen Sprachraum. Die österreichische Nummer eins, Markus Ragger, trifft dabei in sechs klassichen Partien auf die deutsche Nummer eins, Liviu-Dieter Nisipeanu. Und schenkt man Raggers Worten im Gespräch mit dem STANDARD Glauben, dann ist eine übergroße Liebe zum Unentschieden bei diesem Match eher auszuschließen: "Natürlich will ich den Wettkampf unbedingt gewinnen."

Der Papierform nach stehen die Chancen etwa Fifty-Fifty. Zwar hat Ex-Europameister Nisipeanu in der aktuellen Elo-Liste des Weltschachbundes FIDE die Nase mit 2682 zu 2666 vorn, das aber war nicht immer so: Etwa zwei Jahre lang steckte Ragger mit seiner Elo-Zahl sämtliche deutsche Spitzenspieler in den Sack, der Kärntner lag zeitweise sogar über der magischen Rating-Grenze von 2700. Erst in den letzten Monaten musste Österreichs Spitzenspieler elomäßig etwas Federn lassen, peilt aber bereits die Rückkehr zur vertrauten Stärke an: "Mein Ziel ist, mich dauerhaft über 2700 Elo zu etablieren."

Kandidat Mamedyarov

Unabhängig vom Ausgang des Matches sieht Ragger den bevorstehenden Wettkampf als einen weiteren wichtigen Schritt in seiner schachlichen Entwicklung: "Auch vom Match gegen den Weltklassemann Shakriyar Mamedyarov 2015 in Wien habe ich enorm profitiert. Ein Match gegen einen so starken Gegner fordert dich mehr als normale Turnierpartien, aber du kannst auch mehr ausprobieren und lernst ungeheuer viel dazu."

Apropos Mamedyarov: Raggers ehemaliger aserbaidschanischer Kontrahent ist auch beim in drei Wochen beginnenden Kandidatenturnier in Berlin dabei, bei dem aus einem achtköpfigen Feld der nächste Herausforderer für Schachweltmeister Magnus Carlsen ermittelt wird. Raggers Tipp? "Es wird extrem spannend. Schon die letzten Kandidatenturniere waren immer sehr ausgeglichen, aber diesmal kann wirklich jeder der acht Teilnehmer das Turnier gewinnen. Wenn (der russische Ex-Weltmeister, Anm. d. Red.) Wladimir Kramnik in Form ist, muss man mit ihm rechnen. Aber es ist alles möglich."

Schach lebt

Auch den kürzlich in Norwegen über die Bühne gegangenen Wettkampf im Fischer-Random-Chess zwischen Magnus Carlsen und Hikaru Nakamura hat Ragger natürlich verfolgt. Und er steht der Innovation durchaus aufgeschlossen gegenüber: "Würde sich das Fischerschach durchsetzen, wäre das für uns Schachprofis schön: Derzeit geht ungeheuer viel Energie in die Eröffnungsvorbereitung vor jeder Partie, die dann am Brett manchmal fehlt."

Das Ende des klassischen Schachs sieht der 30-Jährige deshalb allerdings noch lange nicht gekommen. Immer noch entwickle sich das Spiel weiter, auch im Eröffnungsbereich sei noch weitaus nicht alles erforscht. Einer Teilnahme bei einem Turnier im Fischerschach würde sich Ragger trotzdem nicht verweigern: "Wenn die Rahmenbedingungen passen, wäre ich gerne dabei."

Aber das ist Zukunftsmusik. Die Gegenwart heißt Graz, heißt Nisipeanu, heißt klassisches Schach. Bis inklusive kommenden Donnerstag spielen die beiden Großmeister täglich eine Partie, das Kiebitzen ist sowohl vor Ort als auch im Internet möglich und erwünscht. (Anatol Vitouch, 17.2.2018)