Den Grünen geht es ein bisschen so wie dem Hirtenjungen in der Äsop'schen Fabel: Der hatte die Dorfbewohner ohne Not zu Hilfe gegen den bösen Wolf gerufen – und als der Wolf dann tatsächlich angegriffen hat, hat niemand mehr die Warnung ernst genommen. In ähnlicher Weise wurden jahrelang das "Waldsterben", die "Verseuchung" unserer Lebensmittel mit Gentechnik oder die "Klimakatastrophe" politisch vermarktet – bis die Menschen abgestumpft waren gegen den Alarmismus der Grünen. Bei der Nationalratswahl im Herbst wurde die Rechnung präsentiert: 192.638 Wähler oder 3,8 Prozent.

Zu wenige, um den 31 Jahre zuvor erreichten und sicher geglaubten Platz im Nationalrat zu behaupten.

Nach diesem Schock, nach diesem "historischen Versagen", wie es Parteichef Werner Kogler genannt hat, versucht die grüne Partei ihre Neuorientierung.

Sie versucht diese Neuorientierung mit dem alten Personal. Sie versucht sie auch mit den alten Ideen.

Das ist, auch wenn es für manche Häme sorgt, der richtige Zugang: Erst feststellen, was man will, wohin man will und wie man dorthin will. Und erst dann wählen, unter wessen Führung das passieren soll. Es wird, wie die Turbulenzen der vergangenen Monate gezeigt haben, schwer genug werden, überhaupt jemanden zu finden, der sich das antun mag – und gleichzeitig breite Unterstützung findet.

Mit den Inhalten ist es nicht viel einfacher. Klar: Die Grünen sind die Umweltpartei. Was aber, wenn die Umweltprobleme von den Österreicherinnen und Österreichern als nicht mehr so drängend empfunden werden wie in den Gründungsjahren der Grünen?

Das Waldsterben ist ja ausgeblieben – dass das zu einem Gutteil dem Druck der Umweltbewegung innerhalb und außerhalb des Parlaments zu verdanken ist, bringt heute keine Stimmen mehr. Auch sonst werden Umweltprobleme im besten Fall als gelöst angesehen. In einem weniger guten Fall werden sie als kaum vermeidbares Übel hingenommen. Und im (für die Umwelt ebenso wie für ihre politischen Schützer) schlimmsten Fall werden Umweltprobleme von der Dimension der Erderwärmung oder der Endlichkeit fossiler Energieträger und anderer Rohstoffe als ohnehin politisch nicht beeinflussbar wahrgenommen.

Das kann für die Grünen natürlich nicht heißen, dass man das Umweltthema aufgibt. Nur reicht es nicht mehr für Wahlerfolge – nicht einmal dann, wenn man es mit Wohlfühlimage à la Biorestaurant im Boboviertel kombiniert wie in den den vergangenen Wahlkämpfen.

Dazu kommt, dass das zweite Thema, das den Grünen seit Jahren mit mehr oder weniger positiver Konnotation zugeschrieben wird, auch kaum Stimmen bringt: Die Menschenrechtspartei schlechthin zu sein ist ehrenvoll, aber an der Wahlurne unergiebig. Viele andere Themen – Zukunft von Arbeit und Wirtschaft, Mobilität, Bildung, Verteilung des Wohlstands – sind schon von anderen besetzt. Einen grünen Zugang zu finden könnte dennoch lohnen. (Conrad Seidl, 18.2.2018)