Unerwarteter Jubel über Super-G-Gold bei Ester Ledecká

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Man hat sie schon dutzende Male gesehen, all die Olympiasiegerinnen und -sieger, die "es noch gar nicht glauben" können, die "es immer noch nicht realisiert" haben, obwohl sie längst mit Goldmedaille um den Hals in einem Fernsehstudio sitzen. Bei allem Respekt vor deren Leistung und vor der gewiss nur schwer fassbaren Aufwachphase zwischen Traum und Wirklichkeit: Wer die Differenz zwischen Realität und Realisieren in ihrer reinsten Form bestaunen will, sei fortan an die Tschechin Ester Ledecká verwiesen.

Samstagmittag (Ortszeit in Pyeongchang): Ledecká, Startnummer 26, steht im Zielraum des olympischen Super-G und fixiert die Anzeigetafel. Gesichtsausdruck: gar keiner. Wenn sie überhaupt irgendetwas ausstrahlt, dann geduldige Neugierde auf das richtige Ergebnis. Denn das, was da auf der Tafel steht, Platz eins für sie, die Snowboarderin, das kann natürlich nicht stimmen. Ledeckás Diagnose: Die Zeitnehmung spielt verrückt. Dann, so gibt sie später zu Protokoll, kommt ihr noch eine zweite Variante in den Sinn: Sie könnte ein Tor ausgelassen haben. Ja, so wird es wohl sein.

Eine Hundertstel brachte die Sensation

War es aber nicht. Die 22-Jährige hatte gerade für das gesorgt, was nicht nur tschechische Medien als größte Olympiasensation in der Geschichte des alpinen Skisports bezeichnen. Sie schlug die bis dahin führende Österreicherin Anna Veith um eine Hundertstelsekunde – und das reichte für Gold.

Auf dem Siegerradar hatte Ledecká wohl niemand. Ihre bisher beste Weltcup-Platzierung im Super-G ist ein 19. Rang. Als Stadtkind ist sie zudem schon als amtierende Weltmeisterin im Parallel-Riesenslalom der Snowboarderinnen eine Überraschung: Die gebürtige Pragerin maturierte 2014 in einem normalen Gymnasium im Bezirk Vršovice, ganz ohne sportlichen Drill und Skilift vor der Tür.

Von der Piste auf die Uni

Immerhin auf ein paar Sportlergene kann Ester Ledecká verweisen: Mutter Zuzana widmete sich einst dem Eiskunstlauf, Großvater Jan Klapáč war Eishockey-Nationalspieler. Auch Vater Janek Ledecký hat es zu einiger Berühmtheit gebracht – allerdings als Rocksänger und Gitarrist.

Nach ihrem Sensationssieg muss sie nun umschalten, sagt sie. Am Donnerstag beginnt die Quali fürs Snowboardrennen. Und irgendwann wird für Ester Ledecká vielleicht auch wieder der Alltag einer Marketingstudentin einkehren. Kein Problem: Im Vorjahr erhielt sie den Matteo-Baumgarten-Preis – für die Kombination von Sportkarriere und Uni-Studium. (Gerald Schubert, 18.2.2018)