Der Bassbariton Florian Bösch (li.) ist als in Ungnade fallender Saul ein grandioser Wahnsinniger und ein Kraftwerk des Hasses.


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Wien – Dieser Gott ist ein launischer Typ. Eine Diva mit Tendenz zum Despotismus. Erst erhebt er den Bauernsohn Saul zum Fürsten, und dieser stürzt sich zum Wohle des Volkes Israel brav mit dampfendem Schwert in wüste Schlachten. Doch im Lauf der Jahre passieren dem Gesalbten kleinere Unbotmäßigkeiten, und zack, schon fällt er beim obersten Chef in Ungnade. Der hat eh schon längst zwei wohlwollende Augen auf David geworfen. Der bildschöne junge Mann aus Bethlehem ist sein neuer Hoffnungsträger, er metzelt die bösen Feinde noch erfolgreicher nieder als der alte König: David ist Saul 4.0. Für den ausgebooteten Regenten ist die Angelegenheit nur noch eines: zum Wahnsinnigwerden.

In Claus Guths szenischer Einrichtung von Händels Oratorium ist Florian Bösch Saul, und Bösch ist natürlich ein Wahnsinniger de luxe: ein Durchlauferhitzer der Wut, ein Kraftwerk des Hasses. Der Bassbariton hadert und geifert, wankt und taumelt, rauft sich die Glatze, spuckt Gift und Galle und Spucke und schleudert Speere. Nützt alles nix. Der Irrsinn bricht sich Bahn, Saul landet am Ende in der Klapse.

Als Operngast ist man froh, dass man den Orchestergraben zwischen sich und dem Bühnenberserker Bösch weiß. Sein familiärer Anhang ist den Anfällen des Zornpinkels ungeschützt ausgesetzt: der weichherzige Sohnemann Jonathan (Andrew Staples), die superliebe Michal (Giulia Semenzato) und die anfänglich dünkelhafte Merab (Anna Prohaska). Und der Rising Star und neue Familienliebling David weiß auch nicht wirklich, wie er mit dem bipolaren Verhalten des alten Königs umgehen soll: In einem Moment bietet ihm Saul eine seiner Töchter zur Frau an, im nächsten will er ihn umbringen lassen.

Ja, Guth hat die Geschichte um eine in Ungnade gefallenen Günstling spannend umgesetzt. Die Drehbühne hat zu tun, offeriert eine Wüstengegend, ein elegantes Speisezimmer und einen Nassraum (Ausstattung: Christian Schmidt); Nebelschwaden und Gegenlicht sorgen für stimmungsvolle Optik. 2009 hat Guth am Haus Händels Messiah erfolgreich bebildert, beim kurzweiligen Saul dürfte dem Routinier die Aufgabe noch leichter gefallen sein.

Händels reiche, bereichernde, wundervolle Musik präsentiert das Freiburger Barockorchester unter der Leitung von Laurence Cummings lustvoll und sinnlich. Speziell die tiefen Streicher und das Holz grundieren die wechselnden Klanggemälde saft- und kraftvoll. Der Arnold Schönberg Chor verbindet Gesang und Gebärdensprache auf virtuose Weise.

Gesungen wird hochklassig: Die Geschmeidigkeit von Andrew Staples entzückt speziell im 1. Akt, Semenzato berührt mit ihrem klaren Sopran. Intensiv: Quentin Desgeorges (Amalekite). Anna Prohaskas Arien fesseln, Jake Arditti singt den David mit einem weichen, dynamisch limitierten Counter. Doch der Schlussjubel der Israeliten scheint für seine Ohren eher eine Pein zu sein. Ob er schon ahnt, dass es ihm auch ergehen könnte wie Saul – wenn es den flatterhaften Gott und das noch flatterhaftere Volk nach einem neuen Helden dürstet? Begeisterung. (Stefan Ender, 18.2.2018)