"Kingdom Come: Deliverance" ist für Windows, Xbox One und Playstation 4 erschienen. Getestet wurde die PC-Version.

Screenshot: KCD
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Wir schreiben das Jahr 1403. Die Einwohner von Skalitz führen ein bescheidenes, aber friedliches Leben. Etwa 60 Kilometer südöstlich von Prag verbringen die Bürger den Tag unbehelligt von der großen Politik. Dass König Wenzel bei Teilen des Adels in Ungnade gefallen ist, ist kaum mehr als Tagesgespräch in der Dorfschenke – auch für Heinrich, den hitzköpfigen Schmiedesohn und Protagonisten von "Kingdom Come: Deliverance" (KCD).

Das Game gilt als eine der Rollenspielhoffnungen für 2018, und seine Umsetzung wurde auch durch die Hilfe der Netzgemeinde ermöglicht. Etwa 1,2 Millionen Euro trugen interessierte Spieler auf der Crowdfundingplattform Kickstarter zusammen. Versprochen wurde ihnen eine authentische und Welt und ein realistisch gehaltenes Abenteuer im Rahmen tatsächlicher historischer Ereignisse – ohne Monster, Magie und sonstiges Brimborium üblicher Mittelalter-Fantasywelten.

Trailer zu "Kingdom Come: Deliverance".
Deep Silver

Release-Vorspiel: Eine Kontroverse

Dieser Anspruch brachte dem Spiel auch eine Kontroverse ein. Nach der Anfrage eines Bloggers entspann sich eine teils hitzig geführte Diskussion darüber, ob und wie zahlreich eigentlich Menschen dünklerer Hautfarbe im europäischen Mittelalter präsent waren. Chefentwickler Daniel Vavra lieferte dabei die Aussage, dass es in ganz Mittel- und Nordeuropa keine Farbigen gegeben habe. Ein Statement, das andere Mitglieder des Entwicklerstudios Warhorse berichtigten. Dass eigentlich nie jemand gefordert hatte, farbige Menschen in das Spiel einzubauen, war da längst in den Hintergrund geraten.

Für "KCD" spielt die Debatte letztlich eine untergeordnete Rolle. Während man für Prag – immerhin Hauptstadt, Kulturmetropole und Handelszentrum des damals mächtigen Königreichs Böhmen – wohl annehmen kann, dass dort wohl immer wieder dunkelhäutige Wirtschaftstreibende präsent waren, darf man das für die im Spiel abgebildete Region, die rund 60 Kilometer südöstlich von Prag liegt, nicht reklamieren.

Kleine Region mit viel Leben

Die ländliche Idylle des Games zerfällt jedenfalls schlagartig, als ein Feldherr im Auftrag von Wenzels verfeindetem Bruder Sigismund einfällt, den Ort niederbrennt und den Großteil der Einwohner abschlachtet. Hier beginnt die Hauptgeschichte des Spiels.

Heinrich sinnt auf Rache für den Tod seiner Eltern und erforscht dabei auch die Vergangenheit seines Vaters. Es gilt, in eine auf historischen Karten und Zeichnungen basierende Nachbildung der Gegend, die bloß einige Quadratkilometer umfasst, einzutauchen.

Wobei "bloß" hier nicht falsch verstanden werden sollte: Denn die Entwickler haben das Areal nicht nur mit detailreich nachgebauten Ortschaften und Burgen gefüllt, sondern auch mit interessanten Charakteren, Aufgaben und Gefahren. Inmitten der atmosphärischen Landschaft gibt es immer wieder etwas zu entdecken.

Unser Gametalk zu "Kingdom Come: Deliverance".
WIRSPIELEN

Antithese zur Open-World-Leere

Dabei hält man sich an die Tradition von Games wie "Gothic": Entlang der wichtigen und oft bereisten Wege hat man wenig zu befürchten, aber auch nicht viel zu entdecken. Viel interessantere Dinge sind abseits ausgetretener Pfade zu finden, allerdings auch größere Gefahren – wie etwa Banditenlager.

Das Game erweist sich als eine Antithese zu den riesigen, oft leeren Open-World-Rollenspielen, die zuhauf auf dem Markt zu finden sind. Es zeigt sehr schnell, dass es nicht nur eine optische Augenweide ist, verlangt dafür aber auch Geduld. Denn das Überleben im fünfzehnten Jahrhundert will gelernt sein.

Die Kämpfe weise wählen

Heinrich beherrscht anfangs nur einfachen Schwertkampf, ist Analphabet und verfügt kaum über Ansehen unter den Mächtigen der Gesellschaft. Der Aufstieg ist harte Arbeit. Es gibt viel zu lernen und zu erleben. Der Einsatz von Worten und Waffen sollte weise gewählt werden. Die falschen Feinde können schnell das Leben erschweren oder sogar kosten. Sich mit einem erfahrenen Kämpfer anzulegen, ohne über Kampfkenntnisse oder adäquate Ausrüstung zu verfügen, endet flott mit einem Game-over.

Mit gezogenem Schwert in einer Stadt herumzulaufen und es nicht auf Geheiß der Wache einzustecken ist ebenfalls keine gute Idee. Für Missetaten drohen Geldstrafen, Kerker oder auch der Tod. Dazu verliert man örtliches Ansehen, wenn man bei frischer Tat ertappt wird.

Komplexes Kämpfen

Für viele Aufgaben gibt es verschiedene Lösungsmöglichkeiten, deren Verfügbarkeit teilweise von den eigenen Fähigkeiten abhängt. Vom Bogenschießen bis zur überzeugenden Rede und sogar der Trinkfestigkeit lässt sich alles steigern und mit der Zeit über zusätzliche Skills verbessern. Basisfähigkeiten steigen mit der Zeit bei ihrer Verwendung. Für bestimmte Fortschritte braucht es wiederum Lehrmeister, die für Gefallen oder Geld ihre Dienste anbieten. Das Skillsystem von "KCD" ist eine Mischung aus dem bereits genannten "Gothic" und Bethesdas Postapokalypse-Rollenspiel "Fallout".

Insbesondere beim Kampfsystem merkt man das Bemühen der Entwickler, ihrem Realismusanspruch gerecht zu werden. Mit Hieb- und Stichwaffen kann man etwa aus acht Richtungen angreifen und einen Stoß vollziehen. Es gibt unterschiedliche Blocktechniken. Dazu sind verschiedene Kombinationen erlernbar, die helfen sollen, besonders kriegerische Widersacher schnell zur Strecke zu bringen.

Diese Umsetzung ist deutlich komplexer als übliche Nahkampfsysteme in vielen Rollenspielen, die sich üblicherweise auf zwei, drei Klickmöglichkeiten beschränken. Auch Bogenschießen ist vor allem zu Beginn eine ziemlicher Herausforderung, denn man muss unwillkürliche Armbewegungen ausgleichen und hat auch kein Fadenkreuz zur Verfügung.

Steile Lernkurve

Neben Trainingskämpfen und "sportlichen" Auseinandersetzungen kennt das Game freilich auch Kämpfe um Leben und Tod. In diesen trägt man schon einmal die eine oder andere Verletzung davon. Kleinere Wehwehchen kann man mit Verbänden und allerlei Heilmitteln begegnen, größere bedürfen professioneller Behandlung. Ramponierte Gliedmaßen schränken auch Fortbewegung und Kampfmöglichkeiten ein. Stark blutende Wunden sind tödlich, wenn sie nicht schnell genug versorgt werden.

Auch in anderen Belangen merkt man Liebe zum Detail. Wer sich in halbwegs eleganter, neuwertiger Kleidung und frischgewaschen mit Adeligen unterhält, hat oft eine deutlich bessere Ausgangsbasis, als wenn man mit dem Dreck der letzten Kämpfe im Gesicht in einem zerfetzten Hemd antanzt. Neben der Anschaffung entsprechender Textilien helfen hier Bottiche oder, noch besser, Badehäuser.

Die Lernkurve von "Kingdom Come" ist eine steile, insbesondere wenn man mit schwereren Vertretern des Genres wenig Erfahrung hat. Zumal hier noch hinzukommt, dass man mit Essen und Schlaf auch noch zwei Grundbedürfnisse regelmäßig stillen muss.

Problembär Speicherfunktion

Beim Realismusanspruch übernommen haben sich die Warhorse Studios allerdings, wenn es um das Speichersystem geht. Zwar gibt es fixe Speicherpunkte – entweder nach dem Aufwachen oder bei bestimmten Handlungsfortschritten –, doch wer frei abspeichern will, muss dafür sogenannten "Retterschnaps" verwenden. Den kann man finden, brauen oder kaufen, um bei Bedarf sichern zu können. Geht er zur Neige, hat man diesbezüglich Pech. Ärgerlich, wenn man deswegen einen wichtigen Spielfortschritt verliert oder einen schweren Kampf wiederholen muss.

Dementsprechend verwundert es nicht, dass einer der ersten Mods, die für "KCD" aufgetaucht sind, diese Limitation aufhebt und ganz ohne hochprozentige Beigabe ermöglicht, jederzeit einen Spielstand anzulegen. Eine solche Funktion sollte das Game eigentlich von Anfang an mitbringen. Wer lieber "Hardcore" spielen möchte, kann schließlich auf die Nutzung der freien Save-Funktion immer noch verzichten.

Frustrierende Minigames und technische Hoppalas

Ausbaufähig sind auch Minispiele, die für manche Tätigkeiten vorgesehen sind. Umsetzungen gibt es beispielsweise für Taschendiebstahl und das Knacken von Schlössern. Insbesondere Zweiteres ist enorm frustrierend umgesetzt. Wer sich auf einen Schleichauftrag begibt oder sich unredlich an seinen Mitmenschen bereichern möchte, sollte starke Nerven und eine hohe Toleranz für Trial-and-Error mitbringen.

Neben diesen funktionalen Missetaten kämpft das Spiel auch noch mit technischen Problemen. Gelegentlich kommt es zu unerklärlichen Performanceeinbrüchen, die selbst auf einem durchaus guten Gamingrechner zu leichtem Ruckeln führen. Häufig zu sehen sind grafische Hoppalas – etwa in Form plötzlich aufpoppender Gegenstände und Vegetation und viel zu spät nachladenden Texturen.

Ganz selten stürzt das Spiel auch ab oder produziert Fehler (wie den Ausfall der Steuerung), die dazu zwingen, es via Taskmanager "abzuschießen" und neu zu starten. Auch werden manchmal Stimmen viel zu leise wiedergegeben. In einer Szene wurden zudem englische Dialoge abgespielt, obwohl das Game auf Deutsch eingestellt war. Man darf annehmen, dass "Kingdom Come" noch den einen oder anderen Patch erhalten wird.

Grandiose Inszenierung

Doch sowohl den schweren Einstieg als auch die technischen Defizite kann man dem Spiel verzeihen. Denn insgesamt ist die grafische Inszenierung absolut gelungen (mit Abstrichen für die teils etwas emotionslosen Gesichtsanimationen), und auch die akustische Untermalung überzeugt mit gut gesprochenen Dialogen und zeitgenössischer, passend gewählter Musik.

Die Handlung selbst wird oft in Form von Cutscenes weiterentwickelt, die absolut grandios inszeniert sind. Die erzählerische Qualität ist dabei fast immer hoch, wenngleich man manchmal in Sachen Pathos etwas gar dick aufträgt. Es gibt definitiv immer wieder traurige, beeindruckende, nachdenkliche, furchtbar lustige und definitiv erinnerungswürdige Szenen. Hier liegt das Rollenspiel mit vielgelobten Genrekollegen wie "The Witcher 3" auf Augenhöhe.

Gute Annäherung

Dabei transportiert das Spiel auch immer wieder und mehr oder weniger augenzwinkernd Kritik. Behandelt werden etwa kirchliche Doppelmoral im Umgang mit so manchem Laster wie auch der Umgang der Bewohner umliegender Städte mit den Flüchtlingen aus Skalitz – Themen, denen man durchaus auch aktuelle Relevanz zuschreiben kann.

Aber egal, ob man das tut oder nicht: Wer angesichts der Diskussion rund um die Repräsentation von Farbigen befürchtet hat, dass das Game sich seiner Epoche mit einer politischen Schlagseite annähert, darf beruhigt sein. Eine solche fiel im Rahmen der Spielzeit nicht auf. Weder scheint Vavra eine ihm von manchen Leuten unterstellte rassistische Agenda einzubringen, noch dürften Publisher oder Entwickler aufgrund der Debatte inhaltlich in das Spiel eingegriffen haben. "KCD" nähert sich seinem Setting angemessen kritisch an.

Übrigens: Wer sich für den historischen Hintergrund des Spieles interessiert, findet eine gelungene Aufarbeitung von Vorgeschichte und politischer Konstellation in Böhmen anno 1403 in diesem Video des Youtubers Steinwallen.

Steinwallen – Games & History

Fazit

Kingdom Come erweist sich trotz Mangels an Drachen, Magie oder sonstigen "fantastischen" Elementen als das vielleicht beste Rollenspiel seit "The Witcher 3". Als solches ist es natürlich auch ein früher Anwärter auf die Auszeichnung als "Rollenspiel des Jahres". Vorausgesetzt, man lernt den knackigen Schwierigkeitsgrad zu schätzen. (Georg Pichler, 19.02.2018)