Der Angriff der Türkei auf die kurdische Region Afrin im Norden Syriens entwickelt sich für die Türkei zunehmend zu einem militärischen und politischen Problem. Eine der stärksten Nato-Armeen, ausgerüstet mit deutschen Panzern, einer modernen Artillerie und Drohnentechnologie, konnte in den letzten vier Wochen gerade einmal vier bis sechs Kilometer auf syrisches Staatsgebiet vordringen. Zwar gelang es im Norden und Westen einige Dörfer zu erobern, allerdings sind die türkischen Truppen und ihre syrischen Verbündeten – verschiedene jihadistische und politisch-islamische Milizen – der Stadt Afrin kaum näher gekommen. Zwar wurden bei türkischen Luftangriffen immer wieder Kämpfer der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) sowie Zivilisten getroffen, von der Stadtgrenze Afrins, ist die türkische Armee jedoch immer noch rund 18 Kilometer entfernt.

Afrin, hier am 31. Jänner, wurde von der türkischen Armee noch immer nicht eingenommen.
Foto: APA/AFP/AHMAD SHAFIE BILAL
Die kurdische Stadt Afrin bildet den Mittelpunkt und das politische Zentrum der Region.
Foto: Thomas Schmidinger

Militärische Probleme der Türkei

Die türkischen Probleme in Afrin dürften vor allem mit der Unterschätzung ihres Gegners und der Überschätzung der eigenen Verbündeten zu tun haben. Während es sich bei den kurdischen Volks- und Frauenverteidigungeinheiten um hochmotivierte und lokal verankerte Milizen handelt, stammen die jihadistischen und politisch-islamischen Verbündeten der Türkei aus anderen Regionen Syriens, sind schlecht trainiert und weisen wenig Motivation für die türkischen Kriegsziele auf, in Afrin zu sterben. Konflikte zwischen türkischen Einheiten und ihren syrischen Verbündeten zeigen, dass sich letztere nicht gerne in den vordersten Reihen verheizen lassen, während die türkischen Soldaten sich auf Luftangriffe und die Sicherung des Nachschubs beschränken, um eigene Verluste zu minimieren.

Bäcker in Afrin mit einem Bild verschiedener, oft gegeneinander agierender kurdischer Führer.
Foto: Thomas Schmidinger

Für die Zivilbevölkerung von Afrin waren die vergangenen Wochen trotz der mangelnden militärischen Erfolge der Türkei allerdings schwierig. Immer wieder wurden auch Zivilisten durch die türkischen Luftangriffe getroffen. Am Wochenende meldeten kurdische Quellen – allerdings auch die den Muslimbrüdern nahestehende Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte – einen türkischen Giftgasangriff auf das Dorf Sheikh Hadid westlich der Stadt Afrin.

Die Kriegspropaganda rollt weiter: Türkische Schlagzeilen am Sonntag, 18. Februar 2018.
Foto: Thomas Schmidinger

In der Türkei ist der Krieg derzeit vor allem ein Propagandakrieg gegen "die Terroristen". Seit Beginn des Krieges sind die längst gleichgeschaltenen Medien voll mit Kriegspropaganda. Kritische Zeitungen wurden seit dem Putschversuch ohnehin alle systematisch verboten oder unter Regierungskontrolle gestellt. Kritische Journalisten befinden sich im Exil oder in Haft. Wer öffentlich Kritik an den türkischen Angriffen übt, riskiert eine langjährige Haftstrafe.

Kriegspropaganda auch in österreichischen Moscheen

Die türkische Kriegspropaganda hatte von Anfang an auch die Moscheen des türkischen Amts für Religion (Diyanet) eingesetzt, um für die türkischen Soldaten zu beten. Der islamische Theologe Ali Erbaş, der seit September 2017 als Präsident dieses Regierungsamtes für Religion agiert, erklärte den Angriffskrieg gegen Afrin offen zum Jihad und damit zum religiös motivierten Krieg. So sind es denn in Deutschland auch die Moscheen der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) und in Österreich die Moscheen der Türkisch-islamischen Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich (ATIB), die von der Türkei massiv für die eigene Kriegspropaganda benutzt werden. Auch in Wien, Oberösterreich oder Tirol wird so für die türkischen Soldaten gebetet und zum vermeintlichen Jihad gegen Afrin aufgerufen.

Aufruf zum Gebet für die türkischen Soldaten in der ATIB-Moschee in Linz auf deren Facebook-Seite.
Screenshot: Thomas Schmidinger/Facebook

Weder von der ATIB, noch von der offiziellen Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), deren Mitglied die ATIB ist, gab es bislang zu diesem politischen Missbrauch der Moscheen eine kritische Stellungnahme. Dabei wäre das Thema durchaus eines, mit dem sich auch die Glaubensgemeinschaft befassen sollte: Immerhin stammt der seit 2016 amtierende Präsident der IGGiÖ, Ibrahim Olgun, aus der ATIB und wurde mit deren Stimmen zum Präsidenten gewählt.

Posting der ATIB-Reutte aus Tirol nach Beginn des türkischen Angriffs auf Afrin.
Screenshot: Thomas Schmidinger/Facebook

Scheitert der türkische Angriff?

Während die türkische Propaganda aus vollen Rohren schießt, kommen die militärischen Einheiten vor Ort nun in zusätzliche Bedrängnis. Am vergangenen Wochenende einigten sich Vertreter der kurdischen YPG und YPJ mit dem Regime auf eine militärische Zusammenarbeit gegen den türkischen Angriff. Schon in den letzten zwei Wochen gestattete das Regime immer wieder kurdischem Nachschub die Fahrt durch vom Regime kontrolliertes Territorium. Nun soll jedoch der türkische Angriff gemeinsam abgewehrt werden.

Kämpferinnen der Frauenverteidigungseinheiten YPJ stehen in Afrin an vorderster Front.
Foto: Thomas Schmidinger

Bisher war ein Abkommen zwischen YPG/YPJ und Regime an der Forderung des Regimes gescheitert, dann auch die Stadt Afrin und die zivile Verwaltung wieder zu übernehmen. Nun scheinen sich die Kurden insoweit durchgesetzt zu haben, als sie in Afrin allenfalls eine symbolische Präsenz des Regimes dulden werden und die syrischen Truppen nur direkt an der Grenze und damit in den Kampfzonen stationiert werden sollen.

Könnte Erdogan mit seinem Militäreinsatz vor Afrin scheitern?
Foto: APA/AFP/MAAN AL-SHANAN

Auch wenn damit eine Unterordnung Afrins unter das Regime vermieden wurde, bedeutet dies ein Zusammenrücken von Regime und kurdischer Verwaltung in Afrin. Erdoğan könnte nun versuchen die Rückkehr des Regimes als Erfolg zu verkaufen. Ob dies nach Wochen der Kriegspropaganda ausreichen wird, die militärische Niederlage gegenüber der eigenen Anhängerschaft als Sieg verkaufen zu können, bleibt jedoch abzuwarten. Das selbstgesteckte Kriegsziel, Afrin zu erobern, eine halbe Million syrische Kriegsflüchtlinge dorthin umzusiedeln – und damit wohl eine ethnische Säuberung der Region von den Kurden einzuleiten – und schließlich auch noch die weiter östlich gelegenen kurdischen Gebiete zu besetzen, wird die türkische Armee nun jedenfalls nicht mehr erreichen. Eine offene Konfrontation mit der syrischen Armee wird wohl vermieden werden. Türkische Soldaten werden Afrin wohl nicht mehr einnehmen. (Thomas Schmidinger, 19.2.2018)