Wien – Der Beginn ist eine Provokation: "Der deutsche Film ist tot. Totgefördert, totgescriptet, totgequatscht, totunterrichtet, totgelehrt, totkritisiert. Hat sich totgefeiert, hat sich totgelacht." Und so weiter.

Die radikale wie deprimierende Diagnose stellt der deutsche Filmregisseur und Paradekritiker Dominik Graf seiner eigenen Zunft. Graf sorgte mit Filmen wie "Die Katze", "Hotte im Paradies" und Serien wie "Im Angesicht des Verbrechens" für deutliche Lebenszeichen. Sein kritisches Statement kann allein deshalb nicht ganz gültig sein. Und es hat insofern Tröstliches in sich, als es immerhin voraussetzt, dass es einmal anders war. Aber war es je anders?

Filmplakat zu Dominik Grafs "Verfluchte Liebe deutscher Film".
Foto: WDR/Augustinfilm

Die Frage steht am Anfang des Filmessays "Verfluchte Liebe deutscher Film" von Dominik Graf und Johannes F. Sievert, zu sehen im Rahmen eines lohnenden Programmschwerpunkts im WDR ab Montag, den 19. Februar.

"Das Leben ist zu kurz, um sich einen deutschen Film anschauen zu können", wird Fritz Kortner zitiert. Das hat Tradition. Ein Bruch mit den Nazifilmen fand nach 1945 nicht statt. Der deutsche Film blieb der schlechteste der Welt zwischen "Wenn die Conny mit dem Peter", Arzt- und Försterfilmen, die heile Welt versprachen, die zum Vergessen war.

Eine erste Zäsur fand 1962 mit dem Oberhausener Manifest statt. Junge Regisseure forderten die Förderung des künstlerischen Films ein, erstmals gab es auch ein feministisches Statement.

Dieter Noss, Veith von Fürstenberg und Iris Berben in "Brandstifter" von Klaus Lemke.
Foto: WDR/Alexander von Mokos

"Das war alles Quatsch", sagt Klaus Lemke im Rückblick. "Söhne reicher Eltern" seien am Werk gewesen, denen es ums Abarbeiten, nicht jedoch um das Ausprobieren, Ausloten ging. "Vergangenheit, all dieser Unsinn."

Lehrhaft, ohne zu belehren, "spulen" Graf und Sievert die Geschichte des "neuen" deutschen Films ab. Dem Manifest folgte das Gegenmanifest: Freiheit der Unterhaltung, und davon präsentiert der Schwerpunkt einige selten im Fernsehen gezeigte Beispiele.

Helga Anders und Klaus Löwitsch in "Mädchen mit Gewalt" von Roger Fritz.
Foto: WDR/Roger Fritz

Dazu gehört ebenso die eine oder andere Anekdote, Klaus Kinski eignet sich dafür stets hervorragend. Mario Adorf erzählt von einer Begebenheit, da Kinski beim Dreh von "Der letzte Ritt nach Santa Fe" sein Pferd derart malträtierte mit Sporen, bis es blutete, und als er von Adorf zurechtgewiesen wurde, vom Pferd abstieg und sich entschuldigte: Er entschuldigte sich wort- und tränenreich, leckte das Blut von den Lefzen, kaufte das Pferd und brachte es an einen sicheren, wenn auch nicht unbedingt pferdegerechten Ort, nach Berlin. Wundern kann man sich auch über mafiösen Einfluss auf manchen Dreh.

Sie nennten es Skandal

Im Rahmen des Schwerpunkts kommt unter anderem Roger Fritz' "Mädchen mit Gewalt" mit Klaus Löwitsch, Rolf Zacher, Arthur Brauss, Helga Anders zur Ausstrahlung – 1969 nannten sie es "Skandal". "Zynisch-brutales Produkt der modernen Serienproduktion von sexuellem Missbrauch und Gewalt – Wir raten ab" lautete damals die Bewertung.

Marius Müller-Westernhagen in "Aufforderung zum Tanz".
Foto: WDR

Roger Fritz, damals 33 Jahre alt, führt die Folgen oder eher Nichtfolgen einer Vergewaltigung und Eskalation vor. Körperlichkeit, Umsetzen von Bild, Schnitt, Trommelwirbel und Motorengeräusch, Zweikampf, Blutbad zum Beispiel in einer rassigen Gokart-Fahrt mit Anklängen an "Ben Hur", Dichte und Tempo und Mut zum Trash, das gab es bis damals nicht – und wurde in seiner Radikalität bis heute einem Fernsehpublikum nicht zugemutet. "Mädchen mit Gewalt" erlebt 45 Jahre nach dem Kino am Mittwoch seine TV-Premiere.

Der Schwerpunkt dokumentiert trotz der (berechtigten) Graf'schen Mahnrufe ein Werkverzeichnis, das immerhin auf eine sehr lebendige Filmvergangenheit verweist und sie feiert. Eine Frage darf als Anregung gestellt werden: Wie sieht es mit dem Fernsehen aus? (Doris Priesching, 19.2.2018)