Leitete einst das Basler Theater und schlägt sich in Köln mit Bauproblemen herum: Stefan Bachmann.


Foto: Reinhard Maximilian Werner

STANDARD: Die "Jedermann"-Überschreibung von Ferdinand Schmalz weist eine Menge Tücken auf. Gott Vater erscheint innerweltlich als Mensch, dafür wird Hofmannsthals Vorlage mit neuesten Theorien zu Geld und Kapitalwirtschaft angereichert. Was waren Ihre ersten Lektüreeindrücke?

Bachmann: Ich war zunächst einmal positiv überrascht, dass die Transzendenz noch ein Thema ist. Gibt es Gott noch? Wer ist Gott, und fehlt er uns überhaupt?

STANDARD: Gott bildet für uns eine Leerstelle?

Bachmann: Mit dieser Frage wird in jedermann (stirbt) zumindest gespielt. Schmalz hätte das Thema Gott auch komplett ausklammern können. Macht er aber nicht. Gott tritt auf, es gibt Teufel. Der ganze Hofmannsthal'sche Kosmos ist noch vorhanden. Nur kann man sich nicht mehr auf ihn verlassen. Die Dinge werden von Schmalz aufgerufen, um im Nu wieder zu verschwinden. Gott erscheint in Gestalt des armen Nachbarn. Es wird eine Wette um Jedermanns Seele abgeschlossen, die aber niemals zur Gänze aufgelöst wird.

STANDARD: Ein Täuschungsmanöver?

Bachmann: Das Stück oszilliert sehr stark. Wie sehr sind wir schon säkularisiert? Inwieweit wünschen wir uns die Kategorie des Religiösen zurück? Vielleicht ist eine solche Rückkehr gar nicht mehr möglich. Der Figur wird eine Reihe von Angeboten gemacht, die sie aber nicht annimmt.

STANDARD: Jedermann verpasst seine Chance?

Bachmann: Hofmannsthal Jedermann bereut zerknirscht. Das tut die Figur bei Schmalz nicht. Man wird dafür stärker mit der Dimension der Sterblichkeit konfrontiert. Wir alle wissen über den Tod Bescheid, zugleich verdrängen wir ihn. Unsere neoliberale Gesellschaft funktioniert, indem sie sich todesfeindlich verhält. Jede Denkfigur, die Vorstellungen von Morbidität, Schwäche und Endlichkeit umfasst, ist offiziell nicht vorgesehen. Weil sie ineffizient ist. Die marktwirtschaftliche Ordnung zielt demgegenüber auf Entgrenzung. Dadurch ist der Tod im Grunde ein feindliches Konzept.

STANDARD: Hat Hofmannsthal für Sie eine Rolle gespielt?

Bachmann: Ich habe mir den Jedermann in Salzburg angeguckt. Am meisten fasziniert hat mich daran das rituelle Drumherum. Tatsächlich handelt es sich bei Schmalz' Stück um einen neuen Text aus eigenem Recht. Ich finde es bemerkenswert, dass damit endlich wieder einmal ein jüngerer, lebender Autor im Wiener Burgtheater Einzug hält. Seit den Uraufführungstagen von Bernhard, Handke und Jelinek ist einige Zeit vergangen. Vielleicht half der Trick, einen derart mit Tradition beladenen Stoff auszuwählen. Für mich war es wichtig, mich auf den Text zu konzentrieren, ohne mit der Vorlage zitierend herumzuspielen. Schmalz ist das Eichmaß.

STANDARD: Den göttlichen Gnadenerweis gegenüber dem reuigen Sünder leistet Schmalz nicht mehr.

Bachmann: Er ist viel unerbittlicher. Mag auch der Gnadenerweis fehlen, moralisch ist Schmalz' Stück allemal. Und es ist stark politisch besetzt. Thema ist die Armut vor unserer Haustüre, ist der Flüchtlingsstrom.

STANDARD: Der Brief der Burgtheaterbediensteten zum Thema Machtmissbrauch in der Ära Hartmann wird von vielen als Signal für einen Umbruch gesehen. Stehen wir, mit Blick auf überkommene Hierarchien, vor einer Wende?

Bachmann: Erst einmal finde ich es sehr gut, dass der Brief überhaupt aufgesetzt worden ist. Ich halte den Vorwurf der Verspätung um vier Jahre für unangemessen. Wer den erhebt, hat von der Thematik nichts verstanden. Die ist nämlich unendlich schambesetzt. Es ist furchtbar schwierig, Formen des Machtmissbrauchs, ob es sich nun um Erniedrigungen handelt oder um sexuelle Übergriffe, zur Kenntlichkeit zu bringen.

STANDARD: Es wurde folgerichtig vorgegangen?

Bachmann: Ich war geradezu überrascht, wie behutsam man die Missstände zu Gehör gebracht hat. Man muss doch bedenken, wie tief die Problematik sitzt. Ich halte das in dem Brief monierte Verhalten für unentschuldbar. Ein solcher Machtmissbrauch beschädigt Menschen. Er beschädigt die Atmosphäre, in der Menschen miteinander arbeiten, und er beschädigt die Kunst. Es geht ganz klar um die Benennung der Personen, die sich solcher Übergriffe schuldig gemacht haben. Nur darf man gleichzeitig nicht vergessen, dass es etwas im System gibt, das die Existenz solcher Leute sehr stark befördert.

STANDARD: Die Tradition?

Bachmann: Die Fatalität besteht in der Neigung, ein solches Verhalten zu bewundern. Oder es wird zur Voraussetzung dafür erklärt, dass jemand "genial" arbeiten kann. Das halte ich für fast noch gefährlicher als den betrüblichen Einzelfall. Von diesem Missstand müssen wir uns schleunigst emanzipieren. Es ist gute, radikale, wahnsinnige, anarchische oder eben auch erotische Kunst möglich, ohne mit den Mitteln des Machtmissbrauchs zu arbeiten.

STANDARD: Energischer Umgang mit Zimperlichkeit ist nicht nötig?

Bachmann: Das ist ein totaler Quatsch, dessen suggestiver Wirkung viele erliegen. Dem Bedürfnis, sich davon beeindrucken zu lassen, eignet der Mechanik nach etwas nahezu Faschistoides. Daher müssen wir Intendanten alle die nämliche Diskussion führen: Sind wir vollkommen frei von dieser Allüre? Mein proklamiertes Ziel war es immer, davon loszukommen. Meine Antrittsrede am Schauspiel Köln enthielt den Satz: "Ich möchte einen angstfreien Raum installieren!" Ob mir das in jeder Phase gelungen ist, mögen andere beurteilen.

STANDARD: Womit Sie nicht für das Mitbestimmungstheater sind?

Bachmann: Da muss man sich außerordentlich klar darüber werden, was das bedeutet. Es ist absolut okay, dass jemand die Entscheidungshoheit besitzt. Es ist für die Kunst geradezu vonnöten, dass man nicht alles basisdemokratisch bestimmt. Man darf bloß die Kategorien nicht durcheinanderbringen. Autorität muss ja nichts Schlechtes sein. Solange sie nicht missbraucht wird. (Ronald Pohl, 20.2.2018)