Pietro Parisi im Keller seiner Osteria Le cose buone di Nannina, wo er Salami und Käse reifen lässt.

Foto: Dominik Straub

Der ungebetene Gast erschien am späteren Abend im Restaurant. Pietro Parisi und seine Frau Magda waren gerade dabei, die Dekoration für das Geburtstagsfest ihrer dreijährigen Tochter abzuräumen. Er komme aus dem Gefängnis und sei der Sohn von einem Boss aus der Gegend, habe der junge Mann gesagt. Und er wolle Geld. "Ich sagte ihm: Verschwinde, ich habe weder Angst vor dir noch vor dem, der dich schickt. Wenn du Geld willst, dann geh arbeiten", schildert der 36-jährige Parisi die Begebenheit, die sich vor rund drei Jahren abgespielt hat. Danach hat Parisi die Carabinieri gerufen und Anzeige erstattet.

Aber Parisi hatte natürlich sehr wohl Angst gehabt. Auch seine Frau war nach dem Vorfall völlig verängstigt. "Das sind Leute, die können dich auch wegen eines falschen Wortes umbringen", betont Parisi. Nachdem er Anzeige erstattet hatte, gingen die Drohungen gegen ihn, seine Familie und sein Restaurant weiter. "Es ist eine nie endende Geschichte, und du bist mit diesen Leuten, die spätabends in der Türe stehen, ganz allein", sagt Parisi. "Ich erwarte jeden Moment, dass etwas passieren könnte, manchmal schlafe ich schlecht. Dann denke ich an meine Familie, an meine kleine Tochter, und frage mich, ob es richtig ist, was ich mache. Aber letztlich weiß ich: Es ist das Richtige."

Übelste Gegend

Parisis Restaurant befindet sich in Palma Campania. Die Kleinstadt liegt in einer der am übelsten beleumundeten Gegenden Süditaliens: im Avellino-Tal, das sich von Nola im Norden bis nach Sarno im Süden erstreckt. Im Volksmund und in den Medien wird das Gebiet am Fuße des Vesuvs auch als Terra dei Fuochi bezeichnet, als "Land der Feuer". Der Name bezieht sich nicht auf den nahen Vulkan, sondern die brennenden illegalen Abfallhalden der Camorra, die hier Sondermüll aus halb Italien ablagert, oft unter freiem Himmel. Dabei werden gefährliche Gifte wie Dioxin freigesetzt. Laut mehreren Studien liegen die Kindersterblichkeit und die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, in der Terra dei Fuochi weit über dem Landesdurchschnitt.

Parisi stammt aus einer einfachen Bauernfamilie in der Terra dei Fuochi. Seine Eltern hatten ihn schon als 14-jährigen gedrängt, die heimatliche Scholle zu verlassen. "Das empfand ich als sehr hart, aber heute bin ich meinen Eltern unendlich dankbar dafür, denn die Gefahr, dass man hier als Jugendlicher in die Fänge der Camorra gerät, ist groß", betont Parisi. Der 14-Jährige machte zunächst eine Stage beim unlängst verstorbenen Mailänder Spitzenkoch Gualtiero Marchesi und ging dann mit 16 Jahren in die Schweiz, wo er zuerst in Bellinzona und dann in Lausanne in Spitzenküchen arbeitete. Mit 18 wurde er Schüler des weltberühmten Alain Ducasse in Paris, mit dem er anschließend um die Welt und schließlich nach Dubai zog, um im Sieben-Sterne-Hotel Burj Al Arab die Küche zu führen.

Es war an der Zeit

Doch dann kehrte Parisi, der im Ausland gekrönte und ungekrönte Staatsoberhäupter wie Nicolas Sarkozy oder Michelle Obama bekocht hatte, zurück in seine kampanische Heimat. Statt wie zunächst geplant in Neuseeland ein eigenes Sternerestaurant zu eröffnen, kaufte er 2005 in Palma Campania eine alte, vor dem Bankrott stehende Pizzeria. "Das Gefühl der Zugehörigkeit zur Familie ist etwas, was den Süden besonders auszeichnet", sagt Parisi. "Wenn man fern von ihr ist, fehlt einem etwas." Sein Lokal nannte er vielsagend Era Ora ("Es war an der Zeit") – Zeit, nach Hause zurückzukehren. Und noch etwas beseelte den damals 25-jährigen Spitzenkoch: Er wollte seiner geliebten "Terra", seiner Heimat, etwas zurückgeben.

Die Anfänge im Era Ora waren schwierig, nicht nur wegen der Camorra: Niemand in dieser Gegend hatte auf ein Gourmetrestaurant gewartet. Parisi war gezwungen, seinen Kochstil anzupassen: "Ich musste zurück zur einfachen Küche meiner Großmutter Ninnina – veredelt mit einem Schuss Ducasse-Technik", wie er sagt. Inzwischen ist das Era Ora längst zu einem landesweit bekannten Eckpfeiler der italienischen Slow-Food-Küche geworden, in der ausschließlich saisonale Produkte aus der Region verwendet werden. Der Kontakt zu den einheimischen Kleinbauern, zu den Hirten und Züchtern, ist dem "Bauernkoch", wie er sich nun nennt, wichtig. "Das hier war einmal die 'Campania felix', das glückliche Kampanien, mit seinen fruchtbaren Lavaböden und seinem idealen Klima", betont Parisi. Die kleinen Erzeuger hätten ihr Know-how und die Qualität in die heutige Zeit retten können.

Die Camorra und die von ihr zum Teil kontrollierten landwirtschaftlichen Großbetriebe hätten die Kleinbauern zwar an den Rand, aber nicht ganz verdrängt. Und so besorgt sich Parisi die Zutaten für seine Küche jeden Morgen auf dem Bauernmarkt von Sarno. Vor einigen Jahren, als wegen der Überproduktion der Großbetriebe die Preise für Auberginen eingebrochen und einige Kleinbauern in ihrer Existenz bedroht waren, hat ihnen Parisi kurzerhand die ganze Ernte abgekauft. Dann schuf er seine Parmigiana di melanzane, eine Art Soufflé aus Auberginen, Tomaten und Mozzarella, das er zwecks Verlängerung der Haltbarkeit in luftdicht verschlossene Glasbehälter abfüllte – und zu einem guten Teil an American Airways verkaufte, die das Gericht in der ersten Klasse dann einige Monate lang als "exzellente italienische Spezialität" servierten.

Ein Land der Köche

Parisi möchte aus der Terra dei Fuochi eine Terra dei Cuochi machen – ein "Land der Köche". Denn Parisi sieht sich letztlich nicht so sehr als Antimafiaheld, sondern vielmehr als Vorkämpfer für eine "neue Ethik" in der Landwirtschaft und in der Gastronomie. "Für qualitativ hochstehende Produkte, wie sie hier die Kleinbauern anbieten, müssen wieder vernünftige Preise bezahlt werden", betont der Spitzenkoch. Dafür müsste man als Erstes den mafiösen Großbetrieben das Handwerk legen, die illegal Migranten als miserabel bezahlte Erntesklaven anstellten. "Es ist ja klar, dass die Kleinen nicht mithalten können, wenn die Großen ihren Schwarzarbeitern zwei Euro pro Stunde geben." Die Konsumenten müssten sich einmal überlegen, wie es möglich sei, dass ein Liter Passata (passierte Tomaten) in einigen Supermärkten für 50 Cent angeboten werden könne.

Parisi hat es nicht beim "Era Ora" bewenden lassen. Im Nachbarort San Gennaro Vesuviano, dem Geburtsort seiner Grossmutter Nannina, hat er eine leerstehende Bäckerei gekauft und darin die Osteria "Le cose buone di Nannina" eingerichtet. Wegen der günstigen, einfachen Menus und den Pizzen ist die Osteria auch bei Jugendlichen beliebt. Direkt neben der Osteria hat Parisi ausserdem einen Fischladen eröffnet, wo ebenfalls warme und kalte Gerichte angeboten werden.

Nur ein Lichtblick

Alles in allem beschäftigt der "Bauernkoch" nun schon etwa 50 Angestellte; im Sommer sind es doppelt so viele. Allerdings: Parisis Erfolg ist nicht viel mehr als ein Lichtblick in einer Region, die nach wie vor von einer massiven Präsenz der organisierten Kriminalität und vom massenhaften Wegzug der Jungen gekennzeichnet ist. Das ist auch Parisi bewusst. Aber: "Wenn ich und viele andere nicht daran glauben würden, dass eine Veränderung möglich ist, dann hätten unsere Kinder hier keine Zukunft." (Dominik Straub aus Rom, 20.2.2018)