Es vergeht keine Woche, in der der Krieg in Syrien – beziehungsweise einer der Kriege in Syrien – nicht eine neue Wendung nimmt, die nicht in die üblichen Syrien-Erklärungsmuster passt. Die jüngste Entwicklung könnte man so zusammenfassen: Die Kurden der PYD und ihrer Miliz YPG, die östlich des Flusses Euphrat gemeinsam mit US-Soldaten kämpfen, arbeiten westlich des Euphrat mit dem Assad-Regime zusammen. Die Kurden bitten die Regierungstruppen in die von ihnen verwaltete Stadt Afrin. Dieses Paradoxon ist ein Produkt des türkischen Angriffs auf die YPG, die für Ankara der syrische Arm der PKK ist.

Der Deal zwischen Kurden und Damaskus liegt schon länger in der Luft: Sowohl Russland als auch die USA zeigten Verständnis für die "Sicherheitsbedenken" der Türkei. Die Russen zogen ihre Präsenz aus Afrin zurück, die USA interessieren sich nicht für Nordwestsyrien, sondern nur für den Osten. Der Besuch von US-Außenminister Rex Tillerson in Ankara vorige Woche verlief ganz freundlich: zu freundlich auch für den Geschmack der Russen, denen die Entfremdung der beiden Nato-Partner USA und Türkei natürlich nur recht ist.

Das russisch-amerikanische Verhältnis ist, auch was Syrien betrifft, momentan besonders angespannt: Mittlerweile ist ja bekannt, dass die "das Assad-Regime unterstützenden" Soldaten, von denen die USA bei einem Luftangriff am 7. Februar bei Deir al-Zor vermutlich mehr als 200 getötet haben, russische Söldner waren, Angehörige der Wagner-Gruppe von Jewgeni Prigoschin, einem Vertrauten von Präsident Wladimir Putin.

Das erklärt auch den scheinbaren Widerspruch in der Position Russlands, das zuerst die Kurden in Afrin ihrem Schicksal überlässt, um dann ihrem Klienten Assad zu erlauben, sie zu "schützen". Die Russen sind einerseits verärgert über die PYD/YPG, dass sie sich in Ostsyrien von den USA umarmen haben lassen. Ebenso passt ihnen ein möglicher türkisch-amerikanischer Kompromiss in Manbij – er wurde beim Tillerson-Besuch angedeutet – nicht. Die Türken sollen gefälligst in den Rahmen des Astana-Formats zurückkehren, wo sich Russland, der Iran und die Türkei zusammengerauft haben und sich die Dinge ohne die USA ausmachen.

Wie die Türkei mittelfristig reagieren wird, ob sie nun von Afrin ablässt oder es angreifen lässt, ist noch unklar: Wenn die Assad-Truppen mit den "YPG-Terroristen" aufräumen, dann werde es Ankara recht sein, hieß es erst einmal. Aber ein "Deal" der Kurden mit Damaskus sieht natürlich mit Gewissheit anderes vor. Im Idealfall für die Kurden würden sie selbst die Verwaltungsaufgaben in Afrin behalten und dem Regime die militärische Seite überlassen. Diese Details waren vorerst noch unbekannt, ein endgültiges Arrangement wurde offenbar auf Nachkriegszeiten verschoben.

Innerhalb der PYD/YPG gab es auch Widerstand gegen den Pakt. Das zeigt die Sorge, in Afrin den Bock zum Gärtner zu machen: Der Freund und Helfer – und Kriegsgewinner – Assad könnte sich in einer nächsten Phase tatsächlich gegen die Kurden wenden. Aber die Situation ist offenbar so verzweifelt, dass sie diese unheilige Allianz für die Kurden rechtfertigt: Es muss gar kein Eroberungsversuch der Türken beziehungsweise ihrer syrischen Stellvertretergruppen von Afrin sein. Eine Belagerung würde für eine neue humanitäre Katastrophe in Syrien genügen. (Gudrun Harrer, 19.2.2018)