St. Gallen/Wien – Seit Jahrhunderten sind Geigenbauer und Wissenschafter dem Klang der berühmten Instrumente auf der Spur. Was macht die Einzigartigkeit einer Stradivari, einer Amati oder einer Guarneri aus? Eine ganze Reihe von Faktoren steht im Verdacht, am besonderen Klang dieser Geigen beteiligt zu sein: Spezialbehandlungen des Holzes und andere geheime Tricks der berühmten Hersteller könnten eine Rolle spielen. Klar ist aber, dass das kühle Klima im 17. Jahrhundert Bäume langsamer wachsen ließ als heute – und dadurch eine charakteristische Holzstruktur entstand.

An der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa in St. Gallen forschen Materialwissenschafter daran, modernes Holz künstlich so zu verändern, dass es dem der wertvollen Instrumente ähnelt. Schon vor Jahren wurde man dabei auf vielversprechende Helfer aufmerksam: Pilze, die die sogenannte Weißfäule in Bäumen verursachen.

Geigen aus pilzbehandeltem Holz gelten schon länger als mögliche Klangwunder. Ein neues Forschungsprojekt untersucht ihr Potenzial von Grund auf.
Foto: Empa

Veränderte Struktur

Empa-Forscher um Francis Schwarze konnten nun einen großen Erfolg bei der Holzimitation erzielen: Sie nahmen sich für ihre Arbeit eine antike Meistergeige von Guarneri del Gesù zum Vorbild, die "Caspar Hauser" aus dem Jahr 1724. Im Labor experimentierten Schwarze und Kollegen mit Holzpilzen, die sonst als Schädlinge gelten. Wie sie berichten, zersetzte die Weißfäule in Versuchen das Lignin der Zellwände im Holz und verändert so dessen Struktur – langsam, aber wie gewünscht. "Sobald die Holzstruktur den gewünschten Zustand erreicht hatte, wurden die Pilze durch ein keimtötendes Gas entfernt", sagte Schwarze.

Im nächsten Schritt stellten Geigenbauer aus dem Laborholz auf Basis von computertomografischen Daten exakte geometrische Kopien der Guarneri-Geige her – und schließlich erfolgte der erste Test: Die Forscher ließen ein nachgebautes Instrument, die Forscher nennen es Mycowood-Geige, von professionellen Musikern vor Publikum spielen – mit Erfolg: "Die Mycowood-Geigen haben einen warmen, farbenreichen Klang, der in die Richtung der alten italienischen Instrumente geht", urteilte der Violinist Oleg Kaskiv von der International Menuhin Music Academy in Gstaad. Obwohl die Instrumente noch neu und nicht eingespielt seien, sei ihr Klang jetzt schon außergewöhnlich.

Weißfäule kann Bäume massiv schädigen. Geigenbauer könnten aber vom Ligninabbau im Holz profitieren.
Foto: Warnburg [cc;3.0;by-sa]

Messungen im Klanglabor

Schwarzes Kollegen von der Abteilung für Akustikforschung suchen jedoch nach objektiveren Kriterien, um den Klang der Mycowood-Geigen zu bewerten. Sie wollen nun in einem Forschungsprojekt untersuchen, wie sich Schallwellen im Holz der Geigen ausbreiten. Bei dieser Körperschallmessung regt ein Elektromagnet die Saiten der Instrumente an, damit der individuelle Bogenstrich eines Musikers die Ergebnisse nicht verfälscht.

Der Versuch soll in einem speziellen Raum durchgeführt werden, der den austretenden Schall nicht auf die Geige zurückwirft. Ein "Scanning Laser Doppler Vibrometer" zeichnet dabei die Schwingungen des Materials auf. An etwa hundert unterschiedlichen Stellen am Geigenkörper soll das Vibrometer Frequenz und Amplitude messen. Dabei sollen die Mycowood-Geigen auch direkt mit dem Original verglichen werden und Testpersonen im Klanglabor ihr Urteil abgeben. "Es wird sich herausstellen, ob ein kausaler Zusammenhang zwischen Holzstruktur, Schallmessung und Hörempfinden nachweisbar ist", so Akustikforscher Reto Pieren. (red, 23.2.2018)