Daniil Trifonov beeindruckte im Wiener Konzerthaus.

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Pierre-Laurent Aimard reüssierte im Musikverein.


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Wien – Nein, man kann nicht behaupten, dass der Franzose Pierre-Laurent Aimard ein Pianist ist, der mit seinen Programmen vorrangig konventionelle Publikumserwartungen bedient. Seinen Soloabend im Großen Musikvereinssaal eröffnete der – muss man mittlerweile schreiben: ehemalige? – Spezialist für zeitgenössische Musik zwar mit einer Beethoven-Sonate. Jedoch mit der schwergewichtigsten, kunstfertigsten, vertracktesten der in Summe 32: ja, mit der Hammerklavier-Sonate op. 106.

Pierre-Laurent Aimard bot von den ersten, fulminanten Eröffnungsakkorden an eine Interpretation, die lebendig war und sinnlich, die Klugheit und Farbigkeit verband. Mit jugendlichem Elan und szenischer Anschaulichkeit erzählte er das epische Werk, mit höchster Genauigkeit und technischer Finesse. Und dennoch: Im epischen Adagio sostenuto riss die Konzentration des Publikums ab.

Aimard ist einer, der fordert – und in der zweiten Konzerthälfte forderte er seine Hörer weiter. Seine Grenzwanderung durch die russische Frühmoderne kannte keinen Halt: Der 60-Jährige spielte die von Schönbergs Drei Klavierstücken op. 11 inspirierten Sarcasms op. 17 von Sergei Prokofjew (1916), die mit Klangmystik à la Skrjabin aufwartenden Révélations von Nikolai Borissowitsch Obuchow (1915) sowie die zehnte und die fünfte Sonate Skrjabins. Er tat es zwar so prägnant und packend wie den Beethoven, jedoch en suite, ohne zwischendurch Applaus zuzulassen. War es eine Überforderung? Aimards Zugabe, die drei leisen Grüße an das Geburtstagskind György Kurtág (aus Játékok), wollten leider nicht mehr alle im Saal miterleben.

Persönliche "Winterreise"

Nicht unweit des Musikvereins, beim Nachbarn im Wiener Konzerthaus, schienen ebenfalls beträchtliche Ausmaße an Konzentration erforderlich: Der russische Pianist Daniil Trifonov bastelte mit dem grandiosen Bariton Matthias Goerne quasi an einer persönlichen "Winterreise". Ohne Pause und Applaus verband das Duo Lieder von Berg, Schumann, Wolf, Schostakowitsch und Brahms. Besonders der nahtlose Übergang zwischen Bergs Vier Liedern op.2 und Schumanns Dichterliebe entfaltete reizvolle Farbwechsel von dunkel zu hell.

Dazu Goernes Lyrik: Wie er die Linien im langsamen Liedtempo schweben lässt, erzeugt substanzvolle Poesie. Ich will meine Seele tauchen wiederum zeigte, dass Trifonov mit seinem quasi kontrapunktischen Mitdenken ein Pianist ist, der nicht nur dichte Atmosphäre zu erzeugen vermag.

Auch jenem romantischen Schleier, mit dem er Goernes Stimme umhüllt, steigt bei Brahms Vier ernsten Gesängen op. 121 eine eloquente Rhetorik empor, die den Pianisten zum gleichberechtigten Mitgestalter werden lässt. Ein besonderer, dichter Abend, dem Trifonov zuletzt noch einen folgen ließ. Mit den Symphonikern unter einem impulsiven Lahav Shani zelebrierte er Schumanns Klavierkonzert als ausgewogen zwischen intim und expressiv pendelndes virtuoses Abenteuer. (Stefan Ender, Ljubisa Tosic, 20.2.2018)