Eine alte Bekannte der Phytopharmazie: Primula veris, die Echte Schlüsselblume.

Foto: Kurt Stueber aus Otto Wilhelm Thomé "Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz" 1885

Innsbruck – Nutzer von E-Zigaretten vermeiden nicht nur die giftigen Inhaltsstoffe konventioneller Zigaretten. Sie haben auch die unendliche Vielfalt der Geschmacksrichtungen sogenannter E-Liquids, die in den kleinen Geräten verdampft werden, zur Auswahl. Ein Trend geht hier weg von synthetischen Aromen in Richtung pflanzlicher Extrakte.

"Diese Naturstoffe muss man auf ihre Unbedenklichkeit prüfen. In manchen können Substanzen entstehen, die stark toxisch sind. Firmen fragen bereits nach, um die Stoffe untersuchen zu lassen", sagt Günther Bonn. Der Leiter des Instituts für Analytische Chemie und Radiochemie der Universität Innsbruck sowie der Forschungseinrichtung Austrian Drug Screening Institute (ADSI) erklärt damit einen aktuellen Trend in der Phytoforschung, also der Suche und Analyse pflanzlicher Wirkstoffe für Pharmazie, Kosmetik und Nahrungsmittel.

Bonn ist einer der Architekten des "Phytovalley Tirol" titulierten Clusters, einer Ansammlung von universitären und außeruniversitären Einrichtungen, die in Innsbruck in den vergangenen Jahrzehnten entstanden sind. Im Zuge der universitären Beschäftigung mit dem Thema gründete der Phytopharmazie-Hersteller Bionorica eine Dependance, die mit dem schleimlösenden Sinupret eines der meistverkauften Produkte in diesem Bereich anbietet. 2012 stieß das ADSI dazu, eine 100-Prozent-Tochter der Universität, die von Wissenschaftsministerium und Land Tirol unterstützt wird und als "Übersetzer" zwischen Grundlagenforschung und Industrie gedacht ist.

Heilfaktoren entschlüsseln

Seit diesem Jänner verfügt das Phytovalley über eine weitere Forschungseinrichtung: An der Fakultät für Chemie und Pharmazie entsteht ein neues Institut für die Entwicklung pflanzlicher Wirkstoffe, gestiftet von Bionorica-Chef Michael Popp und dem Land Tirol. Eine erste Professur ist bereits ausgeschrieben, ein Christian-Doppler-Labor für Phytospektroskopie in Planung.

Die größte Herausforderung bei der Analyse pflanzlicher Wirkstoffe hängt mit ihrem größten Vorteil zusammen: Die vielen Komponenten machen es Forschern schwer, den genauen Beweis zu führen, welche Stoffe wie wirken. Dafür haben die Naturextrakte teilweise eine breitere Wirkung – Heilfaktoren verschiedener Stoffe wirken zusammen. An Bonns Uni-Institut werden etwa neue Methoden entwickelt, mit denen Extrakte besser getrennt und untersucht werden können. Am ADSI konzentrieren sich die Forscher auf Screenings von Pflanzen, bei denen ein relevanter Wirkstoff vermutet wird – auch weil sie als volkstümliche Heilmittel bekannt sind. Extrakte werden angefertigt und anhand von menschlichen Zellsytemen geprüft.

Im Fall der E-Liquids wird auf diese Art die Wirkung auf Lunge und Blutkreislauf untersucht. Bei Kosmetika werden Extrakte anhand einer "künstlichen Haut" beispielsweise auf faltenmildernde Effekte getestet. Und bei Nahrungszusatzstoffen ist es wichtig zu wissen, ob kleinste Bestandteile der Pflanzenextrakte Allergien auslösen können.

In der phytopharmazeutischen Forschung wird nicht nur in den geschätzt 400.000 Pflanzenarten auf der Erde nach neuen Wirkstoffen geforscht – etwa fünf bis zehn Prozent sind chemisch untersucht, 200 Extrakte als Pharmazeutika in Österreich zugelassen. Auch die Arbeit an selbst gut bekannten Pflanzen wie der Schlüsselblume, Primula veris, ist noch nicht zu Ende.

Identifikation per DNA

Ihre Extrakte sind aufgrund ihrer sekretlösenden Eigenschaften Teil einer Reihe von Präparaten. Primula veris ist aber nur eine von 500 Arten ihrer Gattung, die jeweils unterschiedliche Zusammensetzungen aufweisen, aber nicht immer gut unterscheid- bar sind, erklärt der Chemiker. "Immer öfter wird verlangt, dass in der Pharmazie eingesetzte Pflanzen von Beginn an eindeutig identifizierbar sind. Das erfolgt mittels DNA-Barcode." DNA-Forschung bei Pflanzen ist deshalb ein Schwerpunkt in Innsbruck.

Für die Maximierung der Wirkstoffe beim Anbau ist es wünschenswert, in die Pflanzen "hineinsehen" zu können. Möglich macht das die Infrarotspektroskopie. An der Uni Innsbruck wurden Algorithmen entwickelt, die den Bauern ermöglichen, mit einem portablen Gerät auf dem Feld die Pflanzen auf die jeweiligen Konzentrationen prüfen zu können. So können sie den optimalen Erntezeitpunkt identifizieren.

Wie bei jedem Medikament geht auch in der Phytopharmazie nichts ohne das Erfüllen komplexer Reglements – was vor kurzem auch ein Thema einer Phytovalley-Konferenz in Seefeld war. Anders sieht es bei kosmetischen Produkten aus, bei denen die EU-Regulierung erst am Anfang steht.

Die Möglichkeiten, die Naturwirkstoffe eröffnen können, wurden auch durch die Vergabe des Medizinnobelpreises 2015 an die chinesische Pharmakologin Youyou Tu unterstrichen. Ihre Karriere war von der erfolgreichen Suche nach einem Wirkstoff geprägt, der die malariaauslösenden Parasiten bekämpft. Er verbarg sich im Einjährigen Beifuß. (Alois Pumhösel, 22.2.2018)