Am heutigen internationalen Tag der Muttersprache stelle ich mir die Frage, wie es um die vielen in Österreich gesprochenen Sprachen steht, und wie die neue Bundesregierung damit umzugehen gedenkt. Laut Statistik Austria werden in Österreich neben Deutsch 250 weitere Sprachen gesprochen. Für ein im europäischen Vergleich kleines Land stellt dies in meinen Augen eine große Bereicherung und ein Kapital dar, das viele Möglichkeiten kultureller, sozialer und auch ökonomischer Wertschöpfung bietet.

Dass die autochthonen Sprachen und die der zugewanderten Menschen ein gesellschaftlicher Mehrwert sind, wurde in den letzten zwanzig Jahren sukzessive erkannt. Entsprechend wurden sinnvolle Maßnahmen gesetzt. Zum Beispiel ist der positive Umgang mit der mehrsprachigen Schülerschaft heute zunehmend im Lehrplan verankert, auch in die Lehrerausbildung findet das Thema Mehrsprachigkeit als Querschnittsmaterie Eingang. Es hat einige Zeit für den Sinneswandel von einem defizitären zu einem wertschätzenden Blick auf die Sprachkompetenz von Migranten gebraucht. Und noch immer gibt es einiges an Sensibilisierungsarbeit zu leisten, aber letztendlich ist eine sehr positive Veränderung spürbar.

Sprachenvielfalt fehlt im Regierungsprogramm

Umso mehr überrascht das Regierungsprogramm 2017 – 2022 von Kurz/Strache. Darin findet man die Ausführungen zum Thema "Integration" nicht etwa im Abschnitt "Zukunft und Gesellschaft", sondern unter dem Stichwort "Ordnung und Sicherheit".

Zum Thema Sprache findet einzig und allein das Erlernen und Erwerben der deutschen Sprache Erwähnung. Auf Seite 37 heißt es etwa:

"Für eine gelingende Integration der bzw. des Einzelnen sind der Erwerb der deutschen Sprache, die Akzeptanz unserer Werte und die Teilnahme am Arbeitsmarkt Voraussetzungen."

Diese Maßnahmen sind für eine gelingende Integration sicherlich von zentraler Bedeutung. Doch wo verbleiben in dem solcherart definierten Integrationsprozess die vielen anderen Erstsprachen, wohin mit der sprachlich-kulturellen Vielfalt Österreichs? Hierzu findet sich im Regierungsprogramm nur ein mittelbarer Bezug, und zwar in dem mehrfachen genannten Begriff der "Parallelgesellschaft". Weiters wird suggeriert, dass das Gelingen einer pluralistischen Gesellschaft nur möglich ist, wenn der Zugewanderte die Anforderungen an ihn erfüllt. Das ist schon in sich ein Widerspruch, denn in einer pluralistischen Gesellschaft leben Menschen mit unterschiedlicher sprachlich-kultureller Prägung zusammen, bringen sich in ihrer Spezifik ein, tauschen sich aus, bereichern sich, sind auch manchmal miteinander im Konflikt, denn auch das gehört zur Pluralität dazu.

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Kanzler Kurz, Vize Strache.
Foto: REUTERS/Leonhard Foeger

Zur Definition von Integration im Programm der neuen österreichischen Bundesregierung schreibt der Sprachwissenschaftler Peter Cichon im Beitrag "Für eine Sprachwissenschaft, die sich einmischt" in der Fachschrift "Quo vadis, Romania?":

"Zum einen benennt sie die Integration ausschließlich als Bringschuld der Migranten, zum andern liefert sie eine Inhaltsbeschreibung von Integration, die in meinen Augen eher den Sachverhalt der Assimilation erfüllt. […] So fällt in den weiteren Ausführungen zum Thema Integration der wiederholte Hinweis auf die verpflichtende Teilnahme an Deutsch- und sog. Wertekursen und zugleich die mehrfache Warnung vor "entstehenden Parallelgesellschaften" auf, jedoch findet sich kein Wort darüber, was mit den von den Zuwanderern mitgebrachten Sprachen und Kulturen geschehen soll. [… ] Da in diesem Entweder-Oder gelebte sprachlich-kulturelle Pluralität nicht vorkommt und das Konzept Integration deutlich assimilatorisch angelegt ist, suggeriert der Text in meinen Augen, gelebte Pluralität den "entstehenden Parallelgesellschaften" zuzuordnen und sie entsprechend zu diskreditieren."

Emanzipation der Sprecher

Der Begriff Mehrsprachigkeit kommt in dem neuen Regierungsprogramm ein einziges Mal vor, in einer Klammer, wenn es um die Ausbildung der Pädagogen geht. Den Reichtum sprachlicher Vielfalt zu erhalten und konstruktiv zu nutzen wird anscheinend weder als politische noch als gesamt-gesellschaftliche Aufgabe angesehen. Wie so oft obliegt es den Sprechern, sich weiterhin zu engagieren und nicht zuzulassen, dass eine in meinen Augen nicht zukunftstaugliche politische Richtung zu einer nachhaltigen Rückentwicklung führt.

Einer meiner Deutschlehrer hat einmal meiner Mutter angeraten, sie solle Deutsch mit mir sprechen. Sie hat ihm höflich aber bestimmt geantwortet, sie spreche lieber perfektes Spanisch oder Bulgarisch mit mir als gebrochenes Deutsch. Menschen aus der Zivilgesellschaft, vor allem im Bildungs- und im wissenschaftlichen Bereich, haben wir es zu verdanken, dass solche Ratschläge fast zur Vergangenheit gehören. Und ich bin zuversichtlich, dass sie dort bleiben werden. Um es mit den Worten von Peter Cichon zu sagen:

"[…] Denn was legislativ fixiert wird, hängt in starkem Maße von der sprachenpolitischen Willensbekundung an der Basis des Sprechens ab. Mögen politische Verantwortungsträger auch nach ethischen Gesichtspunkten agieren, so reagieren sie gesetzgeberisch doch vor allem auf Forderungen gesellschaftlicher Interessensgruppen, d.h. auf sozialen Druck."

Denn Sprachenpolitik alleine gibt nicht den Ton an, sondern wir alle als Gesellschaft, und wir alle können uns stark machen, dass neben Deutsch viele weitere Sprachen in Österreich Platz haben dürfen. Gelebte Mehrsprachigkeit kann nur dann ernsthaft gelingen, wenn sie nicht nur hinter den vier Wänden passiert, sondern wenn sie in allen Teilbereichen des Lebens Platz hat, wenn überall unterschiedliche Sprachen erklingen dürfen. (Zwetelina Ortega, 21.2.2018)