Es handelt sich um kleine Gruppen, aber ihre Mitglieder sind radikale Sektierer. Die Salafisten wurden in Bosnien-Herzegowina erstmals vor circa 25 Jahren zum Thema. Im Jahr 2006 erklärte die Islamische Gemeinschaft (IG) erstmals durch eine Resolution, dass die Präsenz der salafistischen Bewegung eine Herausforderung für die Einheit der bosniakischen Muslime darstelle. Seither versucht die IG mit verschiedensten Maßnahmen gegen diese mittelalterliche Interpretation einzuwirken, die der traditionellen hanafitischen Schule auf dem Balkan fremd ist. Die Islamische Glaubensgemeinschaft, die in Bosnien-Herzegowina durch die österreichisch-ungarische Periode wie eine Kirche organisiert ist, ist für alle Moscheen und Imame im Land zuständig. Die Salafisten sind deshalb nicht in der IG vertreten. Aber sie haben sich andere "Räume" gesucht und finden sie vor allem bei Facebook, Youtube und Twitter.

Der Islamwissenschafter Nedim Begović von der Islamischen Fakultät in Sarajevo hat sich eingehend mit den Gruppierungen beschäftigt. Der Versuch der Islamischen Gemeinschaft, diese Gruppen in die offiziellen Strukturen zu reintegrieren, wurde vor allem dadurch gestärkt, dass bosnische Kämpfer in der IS größtenteils aus diesen Gruppen rekrutiert wurden. Zwischen Dezember 2015 und März 2016 initiierte die IG Diskussionen und Versuche, eine Einigung mit salafistischen Gruppen und Sufi-Gruppen, die nicht in der IG waren, zu erreichen.

Regierung zeigt kein großes Interesse

Insgesamt wurden 38 Gruppen interviewt, die nicht zu den offiziellen Gemeinden (Jamaat) gehörten und deswegen Para-Jamaats heißen. 19 dieser Gruppen nutzten eigene Gebetsräume. 14 dieser 38 Gruppierungen haben schließlich ein Protokoll unterzeichnet und wurden Teil der IG. Aber es gibt weiterhin Para-Jamaats, die eine solche Integration ablehnen, weiter. "Bisher hat die Regierung auch kein großes Interesse daran gezeigt, den Aktivitäten dieser Gruppen einen rechtlichen Rahmen aufzuerlegen oder sie zu zwingen, dichtzumachen oder sich als separate Religionsgemeinschaft registrieren, oder ihre Aktivitäten mit den Statuten einer NGO in Einklang zu bringen", meint Begović.

Unter den Salafisten gäbe es solche, die die IG als Autorität akzeptierten, und andere, die das Monopol der IG kritisierten. Die IG ist in Bosnien-Herzegowina die einzige Institution, die Imame zertifiziert, die verpflichtende Abgabe (Zakat) einsammelt und den Hadj organisiert. Den Salafisten gefalle nicht, dass die IG die Maturidi-Schule als offizielle Doktrin hat. Sie meinen, dass die hanafitischen Maturidis und Asharis nicht Teil des Mainstream-Islam (ahl al-sunnah wa al-jama’ah) seien, erklärt der Wissenschafter. Sie nutzten dafür mittelalterliche Polemik in der Islamischen Theologie und argumentierten etwa, dass es keine allegorischen Interpretationen der göttlichen Eigenschaften Gottes geben dürfe. In diesem Sinne sind Salafisten "Schriftgläubige" analog etwa zu den evangelikalen Fundamentalisten.

Von "Neuerungen" reinigen

Abgesehen davon wollten sie religiöse Praktiken bosnischer Muslime von verschiedenen "Neuerungen" (bid'ahs) "reinigen". Unter "Neuerungen" verstehen sie Praktiken, die nach dem Mittelalter entstanden. Sie akzeptieren zum Beispiel nicht, die Feier des Geburtstags des Propheten Mohammed, weil sie meinen, dass es im Quran oder in der Sunnah keine Beweise dafür gäbe. Einige salafistische Prediger (da'is) akzeptieren sogar das regelmäßige Zitieren des Koran während des Ramadan (Muqabala) zu bestimmten Zeiten nicht, so Begović.

Die bosnischen Muslime sind – gerade weil sie eine alte europäische Geschichte haben – durch die neuen salafistischen Strömungen besonders herausgefordert. "Wir haben unsere eigene Tradition und befinden uns in einem bestimmten historischen und kulturellen Kontext. So waren die bosnischen Muslime Teil der orientalischen islamischen Zivilisation unter der osmanischen Herrschaft, aber dann waren wir Teil der westlichen Zivilisation unter der österreichisch-ungarischen Herrschaft und später in Jugoslawien. Bosnische Muslime haben also Erfahrung damit, in säkularen Gesellschaften zu leben", so Begović zum STANDARD. "Es ist notwendig, unsere islamische Tradition zu bewahren, um die Einheit der Muslime in Bosnien und Herzegowina zu erhalten", meint der junge Mann.

Imageschaden durch Salafisten

Offensichtlich ist, dass die kleine Gruppe der Salafisten den bosnischen Muslimen insgesamt schadet, weil das Image der Muslime als radikale, teils gewaltbereite Sektierer durch die Salafisten geprägt wird. Zudem gäbe es auch Politiker, die mit diesem Diskurs über Muslime insgesamt, ihre Ziele erreichen wollten. "Die Islamische Gemeinschaft trägt Verantwortung für die Auslegung des Islam und kümmert sich um die Auswirkungen auf die Gesellschaft. Dies wird von den Salafi-Predigern vernachlässigt, sie handeln als Individuen und berücksichtigen die Gesellschaft als Ganzes nicht", erklärt Begović.

Der salafistische Diskurs entwickle sich in den letzten zehn Jahren kontinuierlich weiter. Er sei in den letzten Jahren systematischer geworden, seine Prioritäten würden klarer. Dies könne zum Teil als Reaktion auf intellektuelle Reflexionen und konkrete Aktivitäten der Islamischen Gemeinschaft gesehen werden, die das Ziel hätten, die islamische Tradition der Bosniaken theoretisch zu untermauern, zu bewahren und weiter zu bekräftigen. Eine dieser Aktivitäten war die Gründung des Instituts für Islamische Tradition der Bosniaken (IITB).

2051 Fatwas in einem Jahr

Salafistische Prediger seien hauptsächlich auf das Medium Internet ausgerichtet, weil sie sich damit einer großen Anzahl von Adressaten annähern könnten, meint Begović. Wie sehr sich der salafistische Diskurs verdichte, sei daran zu merken, dass im Jahr 2015 auf der Website www.islampo.ba 2051 Fatwas von pro-salafistischen Autoren veröffentlicht wurden. Im Vergleich dazu wurden auf der offiziellen Website der Islamischen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina von Februar 2010 bis Februar 2013 nur 1643 Fatwas veröffentlicht.

Interessanterweise würden Salafisten aber etwa für die zivile Ehe sein. Begović denkt, dass sie damit wahrscheinlich das Ziel hätten, die Autorität der Islamischen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina zu schwächen. Denn die religiösen Hochzeiten werden von den anerkannten Imamen durchgeführt. ER plädiert dafür, dass die verschiedenen islamischen Schulen kritisch hinterfragt werden und Imame sollten über die verschiedenen Schulen lernen sollten. "Wir sollten versuchen, die Salafisten zu entmystifizieren, da gewöhnliche Muslime dies hier nicht verstehen." Mittlerweile gibt es ein Lehrbuch für alle bosnischen Imame, wo vor allem auf die gefährlichen salafistischen Interpretationen der Verurteilung von "Ungläubigen" hingewiesen wird.

Einfluss von salafistischer Seite durch arabischen Touristen in Bosnien-Herzegowina sieht Begović nicht. "Der salafistische Diskurs wird von bosnischen Muslimen produziert, die im Ausland studiert haben, aber nicht von Ausländern." (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 20.2.2018)