Der Künstler tanzt, zu Swing-Musik, recht schüchtern. Und lächelt dazu charmant. Das erste Bild, das man in der ausgreifenden Retrospektive Jean-Michel Basquiats in der Frankfurter Schirn sieht, ist ein bewegtes. Ist ein Ausschnitt aus einem Privatfilm, das den 1960 in Brooklyn, New York, geborenen Künstler, die Eltern stammten aus Haiti und Puerto Rico, 1982 in seinem Atelier zeigt. Dann folgen 100 Arbeiten: von Gesprühtem über Postkarten und Musik, frühem Hip-Hop, zu detailopulenten großen Bildformaten.

Augen auf, Ohren auf! Jean-Michel Basquiat trägt einen American-Football-Helm und erinnert an eine heute nostalgisch als optimistisch verklärte Zeit, die 1980er-Jahre.
Foto: Edo Bertoglio / VG Bild-Kunst Bonn, 2018 & The Estate of Jean-Michel Basquiat

Basquiat war ein Shootingstar der frühen 1980er-Jahre. Er begann als Sprayer namens Samo in der damals heruntergekommenen Lower East Side, erregte sofort Aufsehen, begann zu malen, seine Bilder wurden ihm rasch aus den Händen gerissen, große Händler nahmen ihn unter Vertrag, Andy Warhol freundete sich mit ihm an, in Clubs hing er mit Madonna und Grace Jones ab. Mit 27, magisches Alter für Popheroen, war er tot. Heute hängen seine von Zeichen, Ideogrammen, Musikreferenzen überfließenden Bilder in großen Museen.

Mehr als nur Wunderkind

Diese Schau will ihn als mehr als nur ein Wunderkind präsentieren. In zwölf Stationen ist der Parcours unterteilt, anfangs noch biografisch-chronologisch, sehr bald nach Themen und Genres geordnet. In langen schmalen, dunkelanthrazit gestrichenen Gängen erhellen Lichtspots Fotografien seiner Tags, viele Zeichnungen und Objekte aus der New-Wave-Szene aus dem New York um 1980. Alles mündet in einem großen Saal. Hier sind der Boden dunkelanthrazit und die Wände schneeweiß.

Jean-Michel Basquiat, Untitled (Crown), 1982
Foto: © VG Bild-Kunst Bonn, 2018 & The Estate of Jean-Michel Basquiat, Licensed by Artestar,New York

Großformatige Arbeiten wie Ishtar oder Five Fish Species haben Raum, um zu wirken. Dann folgt ein Nachklapp, ein Film, den ein Freund von ihm 1980 drehte, Hauptfigur: ein junger, völlig unbekannter Künstler (Basquiat), der sich durch die Lower East Side und deren Musikclubs treiben lässt. Rührend und berührend ist dies, nicht nur wegen schrecklicher Föhnfrisuren, sondern weil der Film erst im Jahr 2000 öffentlich gezeigt wurde, als Basquiat schon zwölf Jahre tot war und weltberühmt. Und: weil man ihn nicht hört. Ausgerechnet seine Tonspur war unrettbar. So wurde er nachsynchronisiert.

Jean-Michel Basquiat, Untitled, 1982
Foto: Studio Tromp, Rotterdam / © VG Bild-Kunst Bonn, 2018 & The Estate of Jean-Michel Basquiat, Licensed by Artestar, New York, Courtesy Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam

Weitaus mehr als "nur" Streetart auf Leinwand und Papier sind Basquiats Werke. Er war vielmehr ein "artist's artist". Die aus dem erhaltenen Nachlass reich bestückte, sacht biografielastige Ausstellung zeigt nachdrücklich, wie sehr sich der Autodidakt von Museumsbesuchen inspirieren ließ, von Kunstbüchern seiner irrwitzig schnell anwachsenden Bibliothek, von LP-Covern und Filmen – er besaß 3000 Videokassetten -, wie er blitzschnell Bilder, Symbole, Sgraffiti, fremde Handschriften, Leonardo, Picasso, afrikanische Kunst und vielfach aufblitzende Epiphanien aufgriff, verwandelte, verschnitt, sampelte. In seinem Atelier zeichnete er etwa vor einem laufenden Fernseher.

Jean-Michel Basquiat, Dos Cabezas, 1982
Foto: Studio Tromp, Rotterdam / © VG Bild-Kunst Bonn, 2018 & The Estate of Jean-Michel Basquiat, Licensed by Artestar, New York

Eine Entwicklung Basquiats, dessen letzte Ausstellung zu Lebzeiten in Salzburg stattfand – sie endete drei Wochen, bevor er am 12. August 1988 an einer Drogen-Überdosis starb -, zeigt diese Schau nicht. Das kann sie auch gar nicht. Basquiats Karriere war nichts als eine sechsjährige Explosion, er selber ein Meteor am Kunsthimmel, der alles mitnahm, rasend schnell erlebte und rasend schnell verglühte. Man kann ihn sich eigentlich gar nicht gealtert vorstellen.

Jean-Michel Basquiat 1983 beim Malen
Foto: Roland Hagenberg

Explosion und Optimismus

Was wäre geworden aus dem Grundgefühl, dass mit Kunst, und zwar handgemachter, alles möglich wäre, vor allem aber: die Welt im Sturm zu erobern? Hätte der Technikfan schneller noch als David Hockney das iPad als Kreativinstrument entdeckt? Wie wäre er mit dem Wandel von Hip-Hop zu Kommerz umgegangen? Wäre er, der auch selber modelte, in die Mode gewechselt und hätte sich mit Vivienne Westwood zusammengetan? Oder hätte er sich mit einer Multimediabibliothek umgeben und würde für einen Internetkraken Digitales kreieren?

Uns heutigen digitalen Jederzeitzynikern mag Jean-Michel Basquiats Grundimpetus als heiler Optimismus der im Rückblick heilen Achtziger erscheinen. Aber genau dies zeigt diese Schau: den tiefen Glauben an Darstellbarkeit und an die Überwältigung durch Kunst. (Alexander Kluy, 22.2.2018)

BASQUIAT. BOOM FOR REAL", Crown im Frankfurter Stadtbild (Aktion)
Foto: Neven Allgeier, © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2018,