Der Faden der Geduld ist gerissen. Meghan Remy alias U.S. Girls führt dem Kampfruf "Fight The Power" auf ihrem neuen Album frisches Blut zu – Herzblut.

Foto: Colin Medley / 4AD

Wien – Die wichtigste Botschaft dauert bloß 27 Sekunden lang. Sie ist das vom Unglück geschriebene Manifest dieses Albums: Mit heißerer Stimme sagt eine Frau "Why do I lose my voice when I have something to say?". Es ist das Eingeständnis der Ohnmacht in der Konfrontation mit Macht. Die Stimme wird dünn, bricht, versagt. Meghan Remy will es nicht so weit kommen lassen. Nie wieder.

Meghan Remy veröffentlicht unter dem Namen U.S. Girls seit zehn Jahren Musik. Eben ist ihr neues Album erschienen, es heißt "In A Poem Unlimited". Dass sie ihre Stimme verliert, ist nicht zu befürchten. Remys Organ klingt fest, ein wenig görenhaft, wie Girl-Groups aus den Sixties, wie die Shirelles oder die Ronettes. Diese Gruppen aus der Frühzeit der Popkultur besangen das Boy-meets-Girl-Thema meist im Büßergewand. Nicht Remy.

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Schon ihre Vorgängeralben positionierten sie als Kämpferin, die Machtverhältnisse und Rollenverteilung im Alltag wie im Musikgeschäft kritisch betrachtet. Seit ihrem vor zwei Jahren erschienenen Album "Half Free" hat sich die Aufmerksamkeit ihr gegenüber vervielfältigt. "Half Free" war ihr erstes Album auf dem britischen Edel-Independent-Label 4AD. Darauf verfeinerte sie ihre Musik.

Produzierte sie früher allein in der Isolation ihres Heimstudios, wagte sie sich ein wenig heraus, baute auf Samples, Elektronik und ihre, zwischen "Material Girl" Madonna und schmollenden Sixties-Girls angesiedelte Singstimme.

Daraus entstand eine gesellschaftspolitisch positionierte Musik mit Trailerpark-Ästhetik, der Soulsamples Eleganz injizierten. Etwa der Hit des Albums, "Window Shades", der auf Gloria Ann Taylors Soulmonster "Love Is A Hurtin' Thing" bestens gedeihen konnte.

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Soul und Funk sind seit der US-Bürgerrechtsbewegung bekannte musikalische Vehikel für Forderungen nach Veränderung. Dort setzt Remy an – und geht musikalisch und inhaltlich einen Schritt weiter. Sie ist nicht mehr bereit, zu warten, dass sich etwas ändert, sie verändert und setzt, wenn es sein muss, auf das alttestamentarische Racheprinzip von Auge um Auge. Als "Mad As Hell" zeigt sie sich im gleichnamigen Lied. Das ist ein Stück 1980er-Jahre-Disco: der Pop von Abba, von Madonna und ein wenig gerechter Zorn.

#MeToo als Album

"In A Poem Unlimited" ist ein Album der Stunde. Was online hinter dem Hashtag MeToo an Diskriminierung und Missbrauch zum Vorschein kommt, präsentiert Meghan Remy in ihren Songs als weiblichen Alltag. Doch die Zeit als Leiche im Keller der Machos ist vorbei. Dem 1975 von den Isley Brothers formulierten Aufruf "Fight The Power" führen U.S. Girls neues Blut zu – Herzblut. Die Musik zur Stimmung hat die in Kanada lebende US-Amerikanerin mit zwei Dutzend Musikern aufgenommen: U.S. Girls sind nun eine Band.

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Das veränderte ihren Sound. U.S. Girls spielen modernen Pop, bei dem die Gitarren Brücken zwischen Elektronik und Tanzboden bauen. Damit stellt sich Remy auf einer Stufe mit Künstlerinnen wie St. Vincent oder Joan As Police Woman. Remys Duktus der passiven Chronistin ist einem stärker involvierten Gesang gewichen. Es geht um etwas, das spürt man.

Doch der erhöhte Puls geht nicht auf Kosten der Anmut. "Rage Of Plastic" schunkelt scharf am Wind, in "Incidental Boogie" dröhnen die Gitarren, "L_Over" schleicht wie ein abgebremstes Stück der New Yorker Minimal-Funker ESG um die Ecke. Und mitten drinnen klagt Remy mit glockenheller Stimme an, kippt ins Säuerliche, unterstreicht, dass der Geduldsfaden schon gerissen ist. Der Weg von der Geringschätzung zur Vergewaltigung, vom verbalen Missbrauch zum tatsächlichen, ist kurz. Darum geht's in "Pearly Gates". Selten war zuletzt ein Stück so poppig und düster zugleich: "Give it up, you're just some man's daughter", heißt es darin. Doch Meghan Remys Stimme wird nicht dünn, sie versagt ihr nicht. Es ist klar, sie hat was zu sagen. Etwas, das wir hören sollten. (Karl Fluch, 22.2.2018)