"IG Verlust"

Foto: hoelb/hoeb

"IG Verlust"

Foto: hoelb/hoeb

Wien – Wer einen schweren Verlust erlitten hat, dessen Leben wird aus der Bahn geworfen. Wie findet man danach wieder zu sich, und was bedeutet es, mit der Endlichkeit des eigenen Lebens umzugehen? Das Künstlerduo hoelb/hoeb blickt dem Tod ins abgründige Auge und untersucht, wie eine Gesellschaft, die dem Ableben üblicherweise mit Verdrängung begegnet, sich angesichts der letzten Dinge besser helfen kann: Mit ihrer künstlerischen Versuchsanordnung "IG-Verlust", die das Brut-Theater gerade und nur noch bis Sonntag in der Wiener Raumstation (Schikanedergasse 2) zeigt.

hoelb hoeb

Bereits im Jänner des Vorjahres hatten Barbara Hölbling und Mario Höber im Brut zu einer "Spurensuche durch die Trauer- und Erinnerungskultur" innerhalb ihrer eindrucksvollen Installation Lost_Inn. staging grief geladen. Dabei ist die "Internationale Gesellschaft für Verlust" entstanden, eine Kooperation zwischen Künstlern und unter anderen einer Palliativmedizinerin, dem Philosophen Thomas Macho, einem Bestatter sowie einem Gefängnisseelsorger. Die aktuelle Ausstellung bietet Gelegenheit zum Gespäch mit den einzelnen Experten über die Ergebnisse von Workshops, die im Lauf der vergangenen Monate vorbereitend stattgefunden haben.

Forschungsformat

Dass die "IG-Verlust" kein reines Sozialprojekt ist, sondern ein Forschungsformat mit künstlerischen Mitteln, hat sich gleich eingangs zur Eröffnung am Mittwoch in einem Gassenlokal naben dem Schikanederkino gezeigt. Da zog an der Innenseite der Auslagenscheibe ein Fensterputzroboter stoisch seine Bahnen. Das war kein Gag, sondern offensichtlich eine zart ironische Intervention zur Erweiterung des Blicks auf das dunkle Trauerthema. Denn hoelb/hoeb vermitteln über zusätzliche politische und künstlerische Reflexionen eine mehrdimensionale Perspektive auf den Verlust.

Daher sind in den Ausstellungsräumen auch Objekte wie ein 1:8-Modell des Hinrichtungsraums in einer Tokioter Vollzugsanstalt, ein gerahmtes Bestattungshemd oder Tom Perrottas Buch The Leftovers (dt. "Die Verlassenen") mit einem Hinweis auf die darauf basierende TV-Serie zu sehen. Zudem zeigt ein Foto von Robert Bösch die Abdeckung des Schweizer Rhonegletschers – als hilflos wirkenden Versuch, die Eisschmelze zu verlangsamen. Berührend wirkt auch ein kleiner Lautsprecher in Zylinderform, aus dem leise Cornelius Berkowitz' Komposition Im Sommer, als mein Gletscher starb erklingt.

Ohne Menschlichkeit

Zum Kunstwerk wird diese Präsentation erst durch das Publikum, wenn es die verschiedenen Bestandteile der Ausstellung subjektiv miteinander verknüpft. Hier folgen hoelb/hoeb dem Konzept der Sozialen Plastik von Joseph Beuys. Wie hängen, könnten Besucher fragen, verschiedene Aspekte von "Verlust" zusammen?

Die Gesellschaft kann als Subjekt gesehen werden, das seine Lebensräume (Klimawandel), Freiheit (durch die mit der digitalen Hochtechnologie verbundenen Kontrollmechanismen) und Menschlichkeit (Todesstrafe) verliert. Parallel dazu wird der Tod ausgeblendet oder soll – etwa durch Kryokonservierung von Körpern – überhaupt abgeschafft werden: Weil es unserem Will-haben-Konsumismus immer unerträglicher wird, mit Verlusten zu leben.

In diesem Sinn erscheint die "IG-Verlust" als Versuch, der Entmündigung durch autoritäre Politik und alles durchdringende Technologie entgegenzuwirken – mit konkreten Vorschlägen wie einer "Empathie-Apparatur" und feinem Witz wie im Perrota-Zitat: "We don't smoke for enjoyment, we smoke to proclaim our faith." (Helmut Ploebst, 22.2.2018)