Ikea hat auch in der Gastronomie die Latte hoch gelegt. Ein Drittel der Kunden kommt wegen des – Essens.

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Wien – Der Franzose von Welt sitzt an einer Bar des berühmten Kaufhauses Galeries Lafayette am Pariser Boulevard Haussmann. Er schlürft ein Gläschen Champagner, labt sich an ein paar Austern und bewundert die Jugendstilkuppel, während der Rest der Familie in diversen Abteilungen die Kreditkarte glühen lässt. Klischee hin oder her, es gibt schlechtere Arten, sich die Zeit während einer Shoppingtour um die Ohren zu schlagen.

Hierzulande geschieht dies, wenn auch eher mit Schnitzel statt mit Austern, fast ausschließlich in einem der unzähligen Möbelhäuser, die in Summe eine beeindruckende Dimension darstellen. Immerhin verfügt Österreich über den am stärksten konzentrierten Möbelhandelsmarkt Europas. Die Verkaufsfläche ist so groß wie das Fürstentum Monaco. Gemeinsam mit Deutschland hat Österreich den weltweit größten Pro-Kopf-Verbrauch an Möbeln, gekauft wird bei diversen Großketten, die allesamt über immer ausgereiftere Restaurantkonzepte verfügen. Dabei mauserte sich diese Sparte der Gastronomie immer mehr vom Beiwerk zum wichtigen Bestandteil einer Branche. Das Zauberwort heißt Verweilen, denn Verweilen schafft Bindung.

Soziologisches Phänomen

Der Wiener Christian Mikunda, Experte für Einkaufswelten und Begründer der "strategischen Dramaturgie", spricht im Zusammenhang von Gastronomie und Möbelhaus von einem soziologischen Phänomen. "Bei diesem Thema kommt der sogenannte 'dritte Ort' immer mehr zum Tragen, ein Ort, den man nicht nur besucht, um das 'Eigentliche' zu tun, also einzukaufen, sondern auch, um herauszufinden, wer man ist. Der Ort wird zu einer Art erweitertem Wohnzimmer. Es ist doch unglaublich, dass manche Menschen tatsächlich zum Frühstücken in ein Möbelhaus gehen."

Mikunda, der selbst zahlreiche heimische Möbelhäuser beraten hat, weiß, dass diesen Auftraggebern bzw. deren Kunden die Restaurants außerordentlich wichtig sind und Österreich nicht nur in Sachen großflächige Möbelhäuser, sondern auch betreffend die dazugehörige Gastronomie eine Vorreiterrolle innehat.

In diesem Zusammenhang sieht der Fachmann nicht nur die Ästhetik der Restaurantausstattungen in Möbelhäusern, sondern auch die Qualität der Möbelhauskulinarik und somit die Aufenthaltsqualität im Steigen. Die Zeiten von Schnitzel und Pommes sind zwar nicht vorbei, aber zu diesem Gericht gesellen sich mittlerweile auch viele andere Speisen bis hin zur frischen Wok-Küche. "Die Verschmelzung von Essen, Trinken und Kaufen macht durchaus Sinn", sagt Mikunda.

XXX-Gastronomie

Die österreichische XXXLutz-Gruppe gehört mit 4,2 Milliarden Umsatz und mehr als 22.000 Mitarbeitern in 255 Einrichtungshäusern neben Ikea und Steinhoff zu den drei größten Möbelhändlern der Welt. Thomas Saliger, ausgebildeter Tischler und heute Marketingleiter der Gruppe, weiß um die Bedeutung der Gastronomie für das Unternehmen. War diese anfangs lediglich als Service für die Gäste gedacht, entwickelte sich diese Sparte erst allmählich zum eigenen Wirtschaftszweig.

Über die Jahre hätten sich die Gastronomieabteilungen sehr positiv entwickelt, längst werden sie nicht mehr als Beiwerk gesehen und werden zusehends ausgebaut, modernisiert und um Sitzplätze erweitert. Summen möchte Saliger nicht nennen, mit zwei Zahlen rückt er dann aber doch heraus: Sechs Millionen Gäste, die sich im Schnitt zwischen einer und vier Stunden im Möbelhaus aufhalten, verputzen in den österreichischen Filialen rund 800.000 Schnitzel pro Jahr. Allein mit ihnen macht das Unternehmen in Österreich einen Umsatz von über 4,5 Millionen Euro. Hinzu kommen Linguine "Frutti di Mare", der Vitalsalat mit "Wirtshausdressing", der Hüttenspieß, der Apfelstrudel und einige Speisen und Getränke mehr.

Know-how gefragt

Dass sich die gut laufende Gastronomie in den Möbelhäusern auch auf andere Branchen auswirken könnte, möchte Saliger bezweifeln: "Die Frage lautet: Wie viel Raum stelle ich für ein Restaurant zur Verfügung? Schließlich benötigt man gewisse Mindestgrößen, damit sich so etwas rechnet. Bei einem Möbelhaus von einer Größe von 15.000 Quadratmetern spielen ein paar Hundert Quadratmeter keine so große Rolle. Ganz zu schweigen vom Know-how, das man sich aufbauen muss. Das funktioniert nicht von heute auf morgen."

Das Argument leuchtet ein, dennoch wird die Gastronomie auch in anderen Branchen immer mehr zum Thema, der Möbelhandel geht als gut funktionierendes Beispiel voran. Die Gründe dafür, auch in anderen Bereichen des Einzelhandels immer mehr auf das leibliche Wohl zu setzen, liegen auf der Hand. Erstens reicht es offensichtlich immer weniger aus, Waren nur zu präsentieren. Es wird auch in anderen Handelssparten zunehmend um Inszenierung und Lifestyle gehen, und Kulinarik ist längst ein Teil dieses Lifestyles. Hinzu kommt die rapide gewachsene Bedeutung des Onlinehandels. Auch dem kann die Attraktivität eines durchdacht inszenierten Kulinarikbereichs ein Schnippchen schlagen.

Kulinarische Flagships

Sosehr Österreich in Sachen Gastronomie und Möbelhandel die Nase vorn hat, so sehr hinkt es in anderen Branchen noch nach und hat Aufholbedarf. International gibt es immer mehr Branchen, die Gastronomie in ihr Verkaufskonzept integrieren, so gibt es in London, New York oder Tokio Flagshipstores von Marken wie Chanel oder Armani, in welchen Restaurants Teil des Konzepts sind. Auch die Modemarke Arket, Teil der H&M-Gruppe mit Geschäften in vielen europäischen Metropolen (Wien gehört noch nicht dazu), verfügt über Cafés, deren Idee auf dem "Nordic Food Manifesto" beruhen.

Der Gedanke dahinter lautet, hochqualitative Zutaten mit gesundem Lebensstil zu verbinden. Auch bei Arket geht es um Entschleunigung und Bindung. "Das Café soll den Kunden zum Verweilen einladen und eine Möglichkeit des Austauschs schaffen. Die Kunden sollen die Chance haben, herunterzukommen", heißt es seitens des Unternehmens. Auch bei Ikea tüftelt man mittlerweile an einer Ausweitung des Systems und denkt über Restaurants ganz ohne Möbel nach.

Laut Spiegel online kommt jeder dritte Gast des Ikea-Restaurants ausschließlich zum Essen in das Möbelhaus. Ein Food-Truck des Möbelriesen tourte ganz ohne Möbel im Rahmen einer Marketingaktion durch Deutschland, um mehr über den Gusto der Leute zu erfahren. In London, Paris oder Oslo wurden Restaurants auf Zeit getestet, und eine Untersuchung von Statista weist Ikea auf Platz acht der Top-Gastroketten in Deutschland, noch vor Vapiano, aus. Der Erlös steige jährlich.

Cooking School

In Österreich setzt das Möbelhaus an sieben Standorten mit Elchragout, Shrimpsbrötchen und natürlich Köttbullar mit Preiselbeeren rund 30,9 Mio. Euro brutto um, das sind 4,6 Prozent des Gesamtumsatzes. Von 2841 Ikea-Mitarbeitern arbeiten 369 in den Restaurants und Bistros.

Dass der Besuch eines Möbelhauses inklusive einer Mahlzeit vor Ort nicht jedermanns Sache ist, liegt auf der Hand, doch die Zahlen geben dem Konzept recht. Und das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht. International betrachtet, sieht Christian Mikunda einen interessanten Zukunftsaspekt, so gibt es zum Beispiel im riesigen Möbelhaus Wallach in Celle bei Hannover eine sogenannte Cooking School. Diese ist Teil des Restaurants, manchmal aber auch ein eigenständiger Bereich hinter Glas zum Zuschauen in der Nähe der Küchenabteilungen. Eine Kochshow zum Angreifen sozusagen.(Michael Hausenblas, 23.2.2018)