Es wäre ungerecht, innerhalb der hunderttägigen Schonfrist, die sich eine neue Regierung gern verschreibt, auch schon die Einlösung jener großspurigen Wahlkampfversprechen zu urgieren, die sie ins Amt brachten: Österreich zu erneuern, koalitionäre Blockaden abzubauen, erstarrte Systeme aufzubrechen und was es noch an markigen Ankündigungen gab. Wenn aber die Schonfrist verrinnt und vieles, was angeblich in bester partnerschaftlicher Abstimmung reibungsloses Regieren vom Start weg ermöglichen sollte, allen Versprechungen Hohn spricht, drängt sich die Frage auf, was erst werden soll, wenn der erste Rausch verflogen ist. Um bei den Personalpaketen zu beginnen: Wäre es nur der alte Stil der parteilichen Umfärbung, es würde zwar den hehren Versprechen eines neuen Stils widersprechen, aber sonst das Übliche sein.

Unverhüllte parteipolitische Versorgung

Doch die schamlose Brutalität, mit der etwa bei den Uni-Räten gefuhrwerkt wird, ist schlimmer, geht es doch nicht nur darum, ob der oft unverhüllten parteipolitischen Versorgung auch ein Hauch einschlägiger Qualifikation innewohnt. Nein, es werden Leute in Positionen gehievt, von denen vielleicht schon demnächst unter allgemeiner Entrüstung bekannt wird, aus welchen Liederbüchern sie singen. Die erlesenste Perle hat sich mit Eva Dichand die Volkspartei gesichert. Dass die Herausgeberin eines Gratis-Schundblattes über eine Med-Uni wachen soll, hat sicher nichts mit dem Wiener Wahlkampf zu tun, sondern nur mit akademischer Qualität. Gaudeamus igitur!

Ein Populist stolpert über seinen Populismus

Eine Gelegenheit, im Geiste ihrer Wahlversprechen zu handeln, haben Kurz und Strache damit verpasst. Eine andere sind sie eben dabei zu verpassen, nämlich die Gelegenheit, den Willen des Volkes und als dessen Ausdruck die direkte Demokratie über alles zu stellen. Es ist fast schon tragikomisch, wie da ein Populist über seinen eigenen Populismus stolpert. Er würde ja nur zu gerne eine Volksabstimmung in Sachen Rauchverbot machen, so Strache, aber dem steht leider ein schier unüberwindliches Hindernis entgegen – das Regierungsprogramm. Offenbar hat sich die Koalition bei Verfassung desselben in der Einschätzung des Volkswillens ein wenig geirrt, das gibt dem Volk aber noch lange nicht das Recht, gegen den Willen der Regierung abstimmen zu wollen. 2021 vielleicht, sollte es ihr dann genehm sein.

Duldungsstarre

Verpasst ist schließlich die Gelegenheit, Österreich vom Schandfleck des Antisemitismus wenigstens im Regierungsumfeld freizuhalten. Daran ändert auch die angekündigte Historikerkommission nichts mehr und die vom Bundeskanzler demonstrierte Duldungsstarre gegenüber den Verharmlosungs- und Beschönigungsversuchen des Partners erst recht nichts. Kurz hat das der FPÖ innewohnende rechtsextremistische Potenzial in Gestalt der Burschenschaften entweder unterschätzt, oder es hat ihn nicht interessiert, obwohl gerade nach dem Scheitern der ersten schwarz-blauen Koalition die Frage eine Antwort erfordert hätte, woraus die FPÖ diesmal Personal schöpfen könnte, das nicht nur intellektuellen, sondern auch gesetzlichen Voraussetzungen entspricht. Politiker werden nicht nur an Taten gemessen. Auch an Tatenlosigkeit. (Günter Traxler, 23.2.2018)