Europameisterin Alina Sagitowa ist nun auch Olympiasiegerin.

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Sagitowa hat Gold. Ihren Vornamen bekam sie erst ein Jahr nach ihrer Geburt, ausschlaggebend war Alina Kabajewa, Olympiasiegerin der rhythmischen Sportgymnastik.

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Pyeongchang – Pyeongchang – Irgendwo in Moskau wuselt ein Chinchilla durch seinen Käfig, wie das Chinchillas eben gerne tun, und vermisst seine Besitzerin. Die ist 15 Jahre alt und hat neben dem Chinchilla auch mehrere Katzen, wie andere 15-Jährige auch, wenn es die Eltern denn erlauben. Die 15-jährige Chinchillabesitzerin heißt Alina Sagitowa, sie ist international aber nicht für ihre Liebe zum befellten Nager bekannt, vielmehr als neue Olympiasiegerin im Eiskunstlauf. Deshalb ist der Chinchilla derzeit auch in der Obhut von Sagitowas Großmutter – die Enkeltochter feierte in Pyeongchang den größten Erfolg ihrer Karriere.

Ganz konnte sie es nicht glauben, als nach der Kür ihrer Freundin und sportlich größten Rivalin Jewgenia Medwedewa die Zwei aufleuchtete. Sagitowa schaute mit zitternder Unterlippe ungläubig ihren Glücksbringer an, wischte sich das rechte Auge trocken, atmete tief ein und behielt mit Mühe die Fassung. Ihre Trainerin Eteri Tutberidse konnte ihr dabei nicht beistehen, sie war mit einem anderen Schützling beschäftigt: Medwedewa. Die 18-Jährige war im Vorfeld der Spiele favorisiert gewesen und vergoss Tränen einer Verliererin.

Tutberidse ist der Typ Trainerin, von der Zitate wie "Während des Trainings bringt Mitleid nichts" und "Ein Coach sollte nicht ständig loben" überliefert sind, garniert mit stechendem Blick aus kalten Augen. Es ist nicht die leichteste Schule, durch die Sagitowa und Medwedewa gehen, aber es ist eine erfolgreiche. Mit 13 Jahren verließ Sagitowa ihre Heimatstadt Ischewsk gen Moskau, dem Sport zuliebe. In der russischen Hauptstadt boomt der Kufensport.

Ein echter Hype

"In den letzten zehn Jahren sind bestimmt 20 neue Eishallen gebaut worden. Das hat zu einem ständigen Talentestrom geführt. Sie wachsen wie die Pilze", sagt Tutberidse. Medwedewa gewann zwei Jahre lang alles, was zu gewinnen war, bis sie bei der Heim-EM im Jänner 2018 nach überstandenem Ermüdungsbruch im Fuß "nur" Silber holte. Gold ging an Sagitowa. Dementsprechend war anzunehmen, dass sich die Trainingspartnerinnen auch in Südkorea Gold ausmachen würden.

Der olympische Bewerb startete am Mittwoch planmäßig, Medwedewa stellte im Kurzprogramm einen neuen Weltrekord auf, steigerte die eigene Bestmarke von 81,06 auf 81,61. Ihr folgte Sagitowa, sie zauberte eine überragende Darbietung aufs Eis der Gangneung Ice Arena und wurde mit 82,92 Punkten belohnt – Weltrekord. "Ich muss noch mit mehr Geschwindigkeit in die Sprünge gehen, die Landungen müssen sanfter werden, und ich muss mehr Emotionen zeigen", sagte die Perfektionistin.

Das Duo hatte die Erwartungen bestätigt, der drittplatzierten Kanadierin Kaetlyn Osmond räumte kaum jemand Goldchancen ein. Also das Duell mit Ansage. "Wir sind junge Mädchen, und nach dem Training reden wir über alles. Aber auf dem Eis kämpfen wir einen kleinen Krieg", sagte Medwedewa.

Ein kleiner Krieg, der auf der größten Bühne in seine vorerst letzte Schlacht ging. Sagitowa musste in der Kür vorlegen – und tat das. Die ganz großen Emotionen waren wieder nicht dabei, die Sprünge zu Don Quijote aber allesamt blitzsauber: 156,65 Punkte für die Kür. Die 15-Jährige hatte die schwierigen Sprünge an das Ende ihres Programms gelegt, das ist erschöpfungsbedingt schwieriger und gibt dementsprechend Bonuspunkte. Medwedewa lief zu Anna Karenina: Sehr gut, aber nicht überragend, und genau das hätte es gebraucht. 156,65 Punkte, damit blieb also der im Kurzprogramm aufgerissene Rückstand bestehen.

Das erste Gold

So ging die erste Goldmedaille für das Team der Olympischen Athleten aus Russland an Sagitowa. Zwei Wochen lang mussten die russischen Fans warten, umso höher war der Druck auf das Eiskunstlaufduo. "Gespürt habe ich den Druck schon. Ich wollte nicht daran denken, aber es ist mir nicht immer gelungen", sagte die Olympiasiegerin. Bei der Siegerehrung wurde freilich die olympische Hymne anstatt der russischen gespielt, Fragen dazu wollte Sagitowa nicht beantworten.

Auskunftswilliger war sie zu der aufblühenden, möglicherweise die nächsten Jahre prägenden Rivalität mit ihrer Trainingspartnerin. "Es gibt noch eine Menge Titel zu gewinnen", sagte Sagitowa, "Ich habe ein großes Sportleben vor mir", sagte Medwedewa. Fans des Sports können sich freuen, Mitbewerberinnen müssen Moskauer Stadtmeisterschaften bei kommenden Großevents befürchten. Und Sagitowas Großmutter kann sich wohl darauf einstellen, noch öfters auf das Chinchilla ihrer Enkeltochter aufpassen zu müssen. (schau, sid, 23.2. 2018)