Doron Rabinovici (li.) und Konrad Paul Liessmann sind, wiewohl befreundet, in vielen Fragen unterschiedlicher Meinung. Es brauchte also nur ein paar Stichwörter, damit die beiden über die Verfasstheit der Demokratie trefflich streiten konnten.

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STANDARD: Es ist jetzt viel die Rede davon, dass die Demokratie unter Druck oder in der Krise sei. Ist sie das, oder ist alles im grünen Bereich?

Rabinovici: Wir erleben Attacken auf unabhängige Journalisten und Journalistinnen, wobei Mächtige aus der Politik, sogar aus der Regierung, wie hierzulande, das ermöglichen und befeuern. Im Weißen Haus werden Journalisten zu Volksfeinden erklärt, weil sie von einem bestimmten Medium kommen. Der spätere Präsident sagte vor der Wahl, dass die Gegenkandidatin nachher ins Gefängnis gehört: "Lock her up!" Da sind Länder wie Polen und Ungarn, die nicht wie früher in eine Diktatur schlittern, aber in denen gegen die Justiz und die Medien vorgegangen wird. Ja, wir erleben eine Krise der liberalen Demokratie. Auch in Österreich. Etwa die Attacke auf Armin Wolf und den ORF.

Liessmann: Die Demokratie ist in der Krise, seit es sie gibt. Ich weiß aber nicht, ob es schon eine Krise der Demokratie ist, wenn Journalisten unhöflich behandelt werden. Das greift die Demokratie noch nicht in der Substanz an. Es gibt auch nicht nur den Druck auf die Demokratie von rechts, es gibt ihn auch von links. Der Marxismus hat Demokratie nur als Scheinveranstaltung der Bourgeoisie zur Absicherung ihrer Herrschaft gewertet. Und es gibt in der linken Intelligenz – ich denke z. B. an Jason Brennans Buch Gegen Demokratie - große Vorbehalte dagegen, dass Menschen, die keinen Job, kein Geld, keine Bildung haben, ein Mitbestimmungsrecht haben sollen. Diese Elitenherrschaftsmodelle sind mindestens so gefährlich für die Demokratie wie die autoritativen, illiberalen und völkisch orientierten Konzeptionen der Rechtskonservativen.

Rabinovici: Die antidemokratischen marxistischen Kräfte – sosehr sie auch abzulehnen sind – haben in den Ländern, über die wir jetzt reden, gar keine Mehrheitsbasis. Das Neue ist, dass man in den USA sehr wohl Angriffe auf das System an sich sieht. Trump sagt: "The system is rigged." Er sagte nach der Wahl, dass sie gefälscht sei. Die Freiheitlichen akzeptierten das Ergebnis der Präsidentschaftswahl auch nicht, weil nicht ihr Kandidat gewonnen hatte. Auch die AfD tut das. Das nimmt zu. Das sind Parteien, die erklären, dass das Volk eigentlich nur durch sie repräsentiert wird, doch wenn sie nicht die Mehrheit haben, dann wurde ihnen das Volk gestohlen.

Liessmann: Ich habe ein bisschen den Verdacht, dass wir diese intensive Debatte über die Demokratie schon auch führen, seit es eben Bewegungen, Parteien oder Wahlergebnisse gibt, die uns nicht gefallen. Ich kann nicht darüber hinwegsehen, dass diese Debatte ganz stark nach der Brexit-Abstimmung aufkam, als auch intelligente Kommentatoren schrieben, die Briten hätten falsch abgestimmt. Da habe ich ein prinzipielles Problem, weil es in der Demokratie nicht um richtig oder falsch geht. Wir haben die Erfahrung machen müssen, dass Demokratie auch bedeutet, zumindest für eine bestimmte Zeit von Menschen beherrscht zu werden, von denen man nicht beherrscht werden will. Das gehört zum Lehrstück von Demokratie, wie es sich unter einer Mehrheit lebt, die nicht meine ist.

Rabinovici: Das Problem ist nicht, dass die anderen eine Mehrheit haben können. Das gehört zur Ambivalenz der Demokratie. Aber hier stimmen Leute für etwas, das die Substanz der Demokratie gefährdet. Mit Trump haben wir einen Präsidenten, der Neonazis in Charlottesville harmlos findet und Rassismus legitimiert. Rassismus korrumpiert die Demokratie.

STANDARD: Apropos Rassismus, Sie, Herr Rabinovici, haben mit der Demokratischen Offensive 2000 unter dem Motto "Nein zur Koalition mit dem Rassismus" gegen Schwarz-Blau demonstriert. 17 Jahre später haben wir Türkis-Blau. Ist diese ÖVP-FPÖ-Koalition für Sie auch ein demokratiepolitischer Störfall?

Rabinovici: Nun, eine Koalition mit einer Partei, die rassistisch ist, die immer wieder den Nazismus verharmlost und die parlamentarische Demokratie zu untergraben versucht und delegitimiert, ist ein Störfall.

STANDARD: Herr Liessmann, haben Sie demokratiepolitisches Bauchweh, wenn doch recht regelmäßig neue "Einzelfälle" mit problematischem Rechtsdrall aufpoppen?

Liessmann: Es gab unter Schwarz-Blau ziemlich widerwärtige, uns bis heute belastende ökonomische Skandale, auch Zeichen einer korrumpierten Regierung, aber das, was man befürchtet hat, dass in Österreich Rassismus und Nazismus ausbrechen, war einfach nicht der Fall. Auch wurden durch Schüssel und Co keine Grundbedingungen der parlamentarischen Demokratie ausgehebelt. Als diese Koalition abgewählt wurde, ist sie ohne großen Protest wieder verschwunden. Heute kann man sich natürlich schadenfroh zurücklehnen und sagen: Wenn Herr Kurz diese Koalition mit der FPÖ eingeht, dann musste er wissen, wie stark die FPÖ in Burschenschaften verankert ist, und muss die Suppe, die er sich eingebrockt hat, auch auslöffeln. Demokratiepolitisch würde ich erst dann eine Gefahr sehen, wenn auf das, was nun aufgedeckt wird, nicht, sehr zögerlich oder falsch reagiert wird – und den Eindruck habe ich noch nicht.

Rabinovici: Ich sehe das ganz anders. Wir haben diese Schreckensbilder nie entworfen. Wir haben nie gesagt: Jetzt kommt eine Diktatur. Wir haben gesagt, dass bestimmte Verhältnisse durch die Koalition legitimiert werden, und es war wichtig, mittelfristig, dagegengehalten zu haben, um aufzuzeigen, wo, wie man heute sagt, rote Linien überschritten wurden. Jetzt sind wir jedoch in einer viel gefährlicheren Situation. Damals war Österreich isoliert, teilweise zu Unrecht, aber heute ist Österreich nicht isoliert. Es gibt nicht nur hier eine beunruhigende Entwicklung gegen die EU als Friedensprojekt. Dagegen sind Burschenschaftsliederbücher Kinkerlitzchen. Wenn die Regierung in Südtirol die nationalen Konflikte schürt, wenn der Vizekanzler einen Orden von der Republika Srpska annimmt, dann wird diese Regierung von der FPÖ in Geiselhaft genommen. Das ist gefährlich, weil das jetzt auch in anderen Ländern Fuß fasst. Wir erleben den Aufstieg von Nationalismus und zugleich jenen der illiberalen, der gelenkten Demokratie. Etwa wenn in Polen ein Gesetz erlassen wird, wonach es verboten ist, die Beteiligung von Polen am Holocaust zu erwähnen.

Liessmann: Eine Regierung kann sich international auch blamieren. Die Südtiroler selbst haben ja auf diese Idee mehr als zurückhaltend reagiert. Aber was in Polen passiert – eine staatlich verordnete Geschichtsschreibung -, ist aus europäischer Perspektive wirklich unerträglich, und da müsste man auch auf EU-Ebene noch viel schärfer reagieren. Das kann man aber nicht mit dem vergleichen, was im Moment in Österreich passiert. Da muss man schon auch vor falschem Alarmismus warnen.

Rabinovici: Du sagst immer, die werden sich nicht durchsetzen, Österreich ist stabil genug. Mag schon sein, aber es gibt diese Traditionslinie seit 1945, und die poppt momentan auf und manifestiert sich zum Beispiel in der Südtirol-Gesetzgebung. Und es gibt Leute, die aus der Demokratie etwas ganz anderes machen wollen und die mit dem Plebiszitären nicht die direkte Demokratie meinen, sondern das Parlament an sich diskreditieren wollen.

Liessmann: Die Vorbehalte gegenüber dem Parlament sind tatsächlich eine wichtige Frage. Wahrscheinlich ändert sich auch die Perspektive, je nachdem, ob man in der Opposition oder Regierungspartei ist. Genauso, was Plebiszite betrifft. Mit der Demokratie ist es so wie mit dem Lesen. Ich kann den Menschen Lesen beibringen und hoffen, dass sie nur meine Bücher lesen. Aber ich kann sie nicht hindern, auch etwas anderes zu lesen. Und ich kann plebiszitäre Elemente verstärken in der Hoffnung, dass die Wähler nur nach meinen Kampagnen abstimmen werden, aber ich kann nicht verhindern, dass jemand anderer eine Kampagne initiiert und die Menschen das ziemlich gut finden – siehe aktuell das Antirauchvolksbegehren. Bei den einzigen Volksabstimmungen der Zweiten Republik, beim AKW Zwentendorf und beim EU-Beitritt, hat das Volk übrigens klüger entschieden, als Teile der Eliten es geglaubt oder gewollt hatten.

Rabinovici: Ein Argument gegen das plebiszitäre Prinzip ist, dass so komplexe Fragen auf ein simples Ja/Nein zurückgestutzt und von autoritären Populisten ausgenutzt werden. Auch darum sehe ich Türkis-Blau als Störfall. Menschen, die nur Freiraum in ihren verschiedenen Minderheitenpositionen wollen, werden es jetzt schwerer haben. Und weil Demokratie nicht nur Mehrheitsrecht ist, sondern eben auch abhängig ist von rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Prinzipien, stellt sich die Frage: Wann kommt das ins Kippen? Demokratie ist nie abgesichert. Immerhin: Die EU, doch auch wir als kritische Beobachter sind ein Alarmsystem, wenn wir aufschreien, weil wir erkennen, dass das in die falsche Richtung läuft.

Liessmann: Solang es Abstimmungen gibt, wird es auch Ja/Nein-Entscheidungen geben, und jedes demokratiepolitische Instrument kann auch missbraucht werden. Bei aller im Detail geteilten Kritik an den unappetitlichen Vorkommnissen ist es für mich prinzipiell noch kein Störfall der Demokratie, wenn sich eine legale und legitime Regierung bildet, die andere Positionen vertritt als ich. Das suggeriert genau die Haltung, die ich kritisiere: Wir wissen, was Demokratie ist, und die anderen stören nur. Ich halte unsere Verfassung und den Rechtsstaat für stabil und stark genug, auch etwaige autoritative Gelüste in die Schranken zu weisen. Der Entscheid des Verfassungsgerichtshofs in der Frage Ehe für alle wurde sofort akzeptiert, obwohl das weder im Programm der Bewegung Kurz noch in dem der FPÖ verankert sein dürfte. Man muss die Dinge von Fall zu Fall ganz genau beobachten, und bei den ersten Anzeichen, dass es wirklich an die Substanz des Rechtsstaats und der menschenrechtlichen Verfasstheit gehen könnte, haben wir die Verantwortung, alles zu tun, um diese und die Demokratie zu verteidigen. (Lisa Nimmervoll, 24.2.2018)