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Der Mensch im Mittelpunkt: das Eröffnungsbild der Ausstellung "Kunst der Aufklärung", die von 2011 bis 2012 im Chinesischen Nationalmuseum in Peking gezeigt wurde.

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Donald Trump: Nach Konrad Paul Liessmann als "Medium der Erkenntnis" begreifbar.

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Es war einer dieser schwülen Tage im Pekinger Frühsommer. Das Nationalmuseum am Platz des Himmlischen Friedens versprach Abkühlung. Außerdem lief dort gerade "Kunst der Aufklärung", eine Ausstellung, um deren Zustandekommen China und Deutschland lange gefeilscht hatten. Die kommunistischen Kader hatten befürchtet, die Schau könne ihre Untertanen auf dumme Gedanken bringen. Eine begründete Annahme.

Das erste Gemälde zeigte das Porträt eines Mannes aus dem 18. Jahrhundert – von einer Frau umsorgt, mit Lichteffekten dominant in der Mitte des Bildes inszeniert, gerader Blick auf den Betrachter. Als der Autor dieser Zeilen davor innehielt, trat plötzlich ein Chinese aus dem Schatten hinter ihn. "Stimmt es, dass bei euch in Europa der Mensch im Mittelpunkt steht?", fragte der Mann auf das Bild blickend. Und ohne auf Antwort zu warten, verschwand er so schnell wieder in der Dunkelheit, wie er aufgetaucht war.

In der Frage des Unbekannten schwang vieles mit: der konfuzianische Kollektivismus, der es den kommunistischen Mandarinen vergleichsweise einfach macht, ein Milliardenvolk zu unterdrücken; der Respekt vor der europäischen Aufklärung, die den Einzelnen stärkt – ja ihn auffordert, selbst zu denken, zu handeln und auch Verantwortung zu übernehmen; und schließlich das Verlangen nach Autonomie des Bürgers und individueller Freiheit, durch die Demokratie – wahre Demokratie – erst möglich wird.

Feinde der Demokratie

Der Mensch, das schien dem Besucher in Peking damals gar nicht abwegig, könnte es irgendwann auch im autoritären China in den Mittelpunkt schaffen. Heute, ein paar Jahre später, mutet diese Hoffnung beinahe lächerlich an. China arbeitet an der Perfektionierung der digitalisierten Diktatur. Und selbst im sogenannten Westen sind Aufklärung und damit die Demokratie in Gefahr.

Sie hat Feinde wie den durch Wahlen legitimierten Autoritarismus, der weltweit Zulauf gewinnt und den man wie Konrad Paul Liessmann in der Person Donald Trumps auch als ein "Medium der Erkenntnis" begreifen kann, das "vermeintliche Wahrheiten und moralische Gewissheiten erschüttert" (schreibt er in der "Neuen Zürcher Zeitung"; siehe auch Interview). Sie leidet aber auch an innerer Auszehrung, weil – um es mit Immanuel Kant zu formulieren – die "Bedingungen der Möglichkeit" von Demokratie zunehmend fragwürdig werden.

Anders ausgedrückt: In funktionierenden, freiheitlichen Demokratien bedarf es einer kritischen Masse an mündigen Bürgern. Sie müssen selbstbestimmt, geschäftsfähig, verantwortungsbewusst, reif sein – vor allem aber müssen mündige Bürger informierte Bürger sein. Nur so können sie ihr Staatswesen bewusst gestalten. Wird der Anteil dieser mündigen Bürger in einer Gesellschaft kleiner, steckt die Demokratie moderner Prägung in ernsthaften Schwierigkeiten.

Die Entwicklungslinie lässt sich entlang folgender Punkte nachzeichnen: Mit der europäischen Aufklärung ist das Individuum in der breiten Masse zu sich gekommen. Es hat sich im Laufe der Jahrhunderte Rede-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, ein allgemeines Wahlrecht, Parlamente, Parteien und eine freie Presse erstritten. Aus Individuen wurden Bürger – Citoyens, die natürlich ihre eigenen Interessen, aber eben auch das größere Ganze im Blick hatten. Eine der besten Eigenschaften einer so verstandenen Bürgerlichkeit ist das Verantwortungsgefühl für das Staatswesen.

Bürger in Auflösung

Diese Art der Bürgerlichkeit löst sich nach der Zäsur des Jahres 1968 zunehmend auf, konstatiert etwa der amerikanische Politologe Mark Lilla. Der Individualismus würde auf die Spitze, Gesellschaften in extreme Fragmentierung getrieben. Statt gesellschaftlichen Zusammenhalts fänden sich immer mehr Identitätspolitiken, in denen Befindlichkeiten Einzelner zur allgemeinen Maxime erhoben würden.

Das Bedrohlichste an dieser Entwicklung aber ist, dass mit der Fragmentierung der Gesellschaft auch die weitgehende Zersplitterung von Wissens- und Informationsstand ihrer Mitglieder einhergegangen ist. Mochte Aufklärung der "Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" sein, lässt sich jetzt so etwas wie der freiwillige Eingang in eine selbstgewählte Filterblase beobachten.

Unmündigkeit, schreibt Kant, sei "das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen". Es scheint fast, als hätte der alte Königsberger die Funktionsweise von News-Algorithmen erahnt.

Brüchige Begriffe

Die Kombination aus menschlicher Unzulänglichkeit und technologiegetriebenem Determinismus bringt Bemerkenswertes hervor: Der belgische Historiker David van Reybrouck ("Gegen Wahlen") etwa schlägt Losverfahren statt Wahlen zur Entscheidungsfindung in Gesellschaften vor. Der israelische Zukunftsforscher Yuval Noah Harari ("Homo Deus") fragt sich indes, wozu Wahlen denn überhaupt noch notwendig seien, wenn Facebook ohnehin wisse, wie jeder Einzelne entscheiden werde.

Hätte das tatsächlich noch etwas mit Demokratie zu tun? Wäre das noch eine menschenwürdige Gesellschaft? Selbst Manager von Social-Media-Giganten zweifeln inzwischen daran: "Die kurzfristigen, dopamingetriebenen Feedbackschleifen, die wir geschaffen haben, zerstören die Funktionsweise unserer Gesellschaft. Es gibt keinen zivilen Diskurs und keine Kooperation mehr. Dafür Fehlinformationen und Unwahrheiten", sagte Chamath Palihapitiya, der frühere Vice-President of User Growth bei Facebook, Ende vergangenen Jahres bei einer Veranstaltung der Stanford Business School in Palo Alto.

Und: "Man merkt es nicht, aber man wird programmiert. Es war ungewollt, aber heute muss man sich entscheiden, wie viel der eigenen intellektuellen Unabhängigkeit man aufgeben will."

In der "Süddeutschen Zeitung" sagte der Chef des Büros für Technikfolgen-Abschätzung im Deutschen Bundestag, Armin Grunwald, unlängst: "Wenn wir nur noch funktionieren müssen, um der Technik hinterherzulaufen, dann ist irgendetwas verkehrt. Das hat schon Hegel auf den Punkt gebracht, mit der Beziehung von Herr und Knecht. Je mehr sich der Herr auf seinen Knecht verlässt, desto abhängiger wird er von ihm. Eigentlich hat der Knecht die Herrschaft: Er kann ohne den Herrn gut leben, aber umgekehrt nicht."

Es ist paradox: Lange wurde das Potenzial des Netzes, Menschen freier, autonomer und informierter zu machen, gefeiert. Nun drohen weite Teile der westlichen Gesellschaft in seine Knechtschaft zu geraten. Demokratie? Mensch im Mittelpunkt? Mündige Bürger? Das sind Begriffe, die in der Postaufklärung brüchig werden. (Christoph Prantner, 24.2.2018)