Kaufen

Einen Tag nach der Eröffnung von Amazon Go, einem lokalen (analogen) Supermarkt in Seattle, tauchten wiederum im Netz die ersten Bilder von Menschenschlangen auf, die in ein Geschäft hineinwollen, das damit wirbt, ohne Kassen auszukommen. Betritt man den Supermarkt, wird man automatisch mit dem Smartphone eingeloggt, und alles, was man in den Einkaufswagen gibt bzw. beim Verlassen des Geschäftes bei sich trägt, wird registriert. "Sich einloggen" meint in dem Fall durchaus, dass Telefon und Person in eins gesetzt werden, denn ohne Smartphone funktioniert Amazon Go nicht. Es fühle sich wie Ladendiebstahl an, war in der Times zu lesen. Aber keine Sorge, abgerechnet und bezahlt wird – via Kreditkarte.

Illustration: Claudia Machado

Vor rund einer Generation bedeutete Einkaufen zum Beispiel, Klopapier, Milch und Spaghetti zu besorgen, Shoppen bezog sich auf Kleidung, Schuhe und Schmuck. Kühlschrank und Laptop galten als Anschaffungen, die nicht so häufig anstanden, die Ausgabe größerer Summen musste geplant, kalkuliert werden. Im Netz verschwimmen diese Kategorien, alles ist immer nur einen Klick entfernt. Es macht für mich, um halb neun auf dem Sofa, keinen Unterschied, ob ich Pinzgauer Käse, eine Handcreme oder eine Lederjacke um mehrere Hundert Euro kaufe.

Die Onlinehändler haben immer offen. Das ist bequem, wie die Möglichkeit, zu Hause zu probieren – Menschen, die nicht gerne in Umkleidekabinen stehen, oder Eltern von Kindern wissen, was ich meine. Die Auswahl ist grenzenlos, was vom Großteil der Käufer nicht als Qual der Wahl, sondern als Freiheit empfunden wird. Früher hieß es, der Kunde sei König. Jeff Bezos prägte den Satz, die Kunden seien Götter – eine interessante Formulierung, wenn es um Kundenbindung und Umsatzerhöhung geht. Allerdings war auch der analoge Markt niemals ein Reich souveräner Konsumenten, denn die Anbieter legten immer schon ihre Zielgruppe fest, die sie mit ihren Produkten erreichen wollen.

Das System der personifizierten Werbung, die man Einkaufssteuerung nennen kann, beeinflusst unser Konsumverhalten massiv. Aber Amazon ist nicht mehr nur der größte Warenhändler, der gigantische Warenströme bindet, eine Technikmacht und Mediengröße, sondern beeinflusst auch unsere Arbeitswelt, wenn er z._B. teilstaatliche Unternehmen unter Druck setzt, dass die Zustellung seiner Waren auch samstags garantiert sein müsse. Auch der chinesische Konkurrent Alibaba will die digitale Wirtschaft mit konventionellen Geschäften und personifizierten Diensten zusammenführen für eine maximale globale Gewinnspanne. Anders als Amazon verkauft Alibaba selbst keine Produkte, sondern ist eine reine Vermittlungsplattform für den globalen Großhandel (eine automatische Übersetzungsfunktion soll die Sprachbarrieren abbauen) – und verzeichnet damit um vieles höhere Gewinne als der ame rikanische Konkurrent.

Angelika Reitzer: "Beim Sharing geht es nicht ums Teilen."
Foto: Peter Rigaud

Alibaba wurde anfangs als Mischung aus Amazon, Ebay, Google und dem Bezahldienst Paypal beschrieben, nennt sich selbst gerne "Ökosystem" im Gegensatz zum Amazon’schen "Empire" (Jack Ma). An einzelnen wie eine Star Wars-Weltpremiere beworbenen Rabatt-Tagen wie dem Single’s Day am 11. November werden gigan tische Umsätze gemacht. Ausgehend vom hauseigenen Zahlungssystem Alipay vergibt Jack Mas Alibaba mittlerweile Kredite, und sein Geldmarktfonds zählt heute zu den größten weltweit. Die quasi monopolistischen Konzerne kennen keine Grenzen und entziehen sich der staatlichen Souveränität und damit verbundenen Pflichten wie Persönlichkeitsrechten, Arbeiterschutz und Steuern weiterhin recht einfach.

Ich bin dagegen, dass jemand seinen Buchtipp im Internet mit Amazon verlinkt, weil jedes verkaufte Buch das Imperium stärkt, aber auch ich habe mir schon fremdsprachige Bücher ins Haus liefern lassen und hin und wieder eine CD. Airbnb nutze ich immer wieder einmal, und als die Auswärtsspiele des Sohnes sonntagmorgens sehr früh angesetzt waren, lieh ich regelmäßig eines der kleinen weißen Autos bei mir ums Eck, damit wir eine halbe Stunde länger schlafen konnten. Ich bin keine Technikgegnerin oder naive Feindin der Digitalisierung, aber ich bin davon überzeugt, dass wir beginnen müssen, bewusster und kritischer mit dem elektronischen Geschäft umzugehen. Und manches sollten wir vielleicht sogar verweigern!

Wohnen

Die Mehrheit der Airbnb-Gastgeber benötigt die Vermietungen eines Zimmers in den eigenen vier Wänden oder der ganzen Wohnung zum Begleichen der Miete. Es gibt Gastgeber, für die die Beliebtheit von Wohnvierteln für Touristen oder Geschäftsreisende ausschlaggebend für die eigene Wahl einer Mietwohnung ist. Dann bezahlt eine Woche Vermietung den ganzen Monat – dafür muss man allerdings selbst unterwegs sein oder sich eine Unterkunft nehmen, lebt tage- oder wochenweise als Nachbar seiner selbst sozusagen. Ganze Stadtteile werden durch die von Airbnb mitverursachten und v. a. auch akzeptierten hohen Mietpreise beeinträchtigt.

Mitwohnzentralen gibt es länger als das Internet. Es ist schon lange üblich, sich kurzfristig bei jemandem einzumieten oder bei Freunden von Freunden unterzukommen, weil man sich das Hotelzimmer nicht leisten kann oder will. Was macht es für einen Unterschied, dass ich mir die Gastgeber im Internet aussuche, die Lage ebenso wählen kann wie Alter und Geschlecht, sofern es sich um ein Zimmer in einer permanent bewohnten Wohnung handelt?

Als mir vor ein paar Monaten mein Gastgeber seine Kinder vorstellte, war ich ein bisschen irritiert. Der größere der beiden Buben heißt Bruce, der kleine – ja, richtig geraten – Lee. Eine junge Familie, die die Kreditraten für ihre Neubauwohnung in guter Münchner Lage mit Einnahmen aus Airbnb mitfinanziert. Zu diesem Zeitpunkt wusste meine Gastfamilie nicht, ob es sich lohnen würde, aber sie hätten schon spannende Leute kennengelernt, u._a. ein südafrikanisches Ehepaar, das zur Behandlung einer seltenen Krankheit des Ehemannes angereist war.

In die Bewertung meines Aufenthalts schrieb ich nicht, dass die Bettwäsche erst nach Aufforderung gewechselt worden war und ich in Sorge war, beim Nachhausekommen eines der kleinen Kinder aufzuwecken. In die Bewertung über mich las ich, dass ich jederzeit willkommen sei, eine offene und freundliche Person, und dass sie mir für meine Pläne die Daumen hielten (alles auf Englisch). Die ideale Internetpersönlichkeit ist mittelmäßig: freundlich, verlässlich, zurückhaltend, kontaktfreudig, aber nicht aufdringlich. Dass Gastgeber und Gast einander sympathisch sind, ist bedeutsam.

Manchem erscheint es wie Nä he, was zwischen Gastgeber und Gast entsteht, aber das Verhältnis basiert auf Angebot, Nachfrage und Notwendigkeit – die teilen auf ihre Weise beide Parteien, sofern es sich nicht um professionelle Anbieter handelt, die nur vorgeben, in der Wohnung zu leben, und ein paar Alltagsrequisiten bedacht drapiert haben.

Arbeiten

Aus Arbeit wurden Jobs, aus den Jobs werden nun Gigs. Die Gig-Economy ist jener Teil des Arbeitsmarktes, in dem kleine Aufträge kurzfristig an Freiberufler oder geringfügig Beschäftigte vergeben werden, wie einmalige Auftritte von Musikern. Online-Plattformen definieren die Bedingungen und kassieren Provisionen. In der Selbstdarstellung ästhetisiert sich die Gig-Economy, ihre Arbeiter werden als flexible, freie Macher (Doer) dargestellt, die sich weder mit Bürokratie noch mit fixen Arbeitszeiten herumschlagen müssen. Tatsächlich verdient der Einzelne weniger, fallen Versicherungsleistungen, Arbeiter- und Angestelltenrechte weg, nicht aber Steuern.

Outsourcing-Plattformen machen aus Angestellten Selbstständige, verlagern lokale Arbeitsmärkte und verschärfen durch die geringeren Zugangsbarrieren den Wettbewerb. Will ich dauerhaft meine Arbeitskraft, eine Dienstleistung online anbieten, ist der eigene Ruf eines der wichtigsten Tools, die ausgestellte eigene Vertrauenswürdigkeit Teil des Geschäftsmodells. Ging es bis vor kurzem (in den sozialen Medien) noch um Selbstdarstellung, um Äußerlichkeiten, Erfolge, wird mittlerweile der ganze Mensch beurteilt. Wie gehen wir um mit der Anmaßung und dem Druck, von jedem bewertet zu werden und alle und alles zu raten?

Die digitalen (Arbeits-)Marktplätze wachsen immer schneller. Neben Airbnb und Uber zählen etwa Butlerdienste, Essenslieferanten, aber auch Putzkräfteportale (die sich nicht als Reinigungsfirmen, sondern als Softwareunternehmen bezeichnen) zur Sharing Economy. Der Fahrtendienst Uber gelangte in eine Krise, macht weltweit weiterhin viel Geld und sorgt auch für Unterhaltung: Mehrere Plattformen sammeln und kate gorisieren die Skandale (Sexismus, Diskriminierung, Technologiediebstahl usw.) des bösesten Unternehmens des Silicon Valley. Im Dezember 2017 urteilte der EuGH, dass der Fahrtendienst nicht zu seinem ursprünglichen Geschäftsmodell, Fahrten mit Privatleuten als Chauffeur zu vermitteln, zurückkehren kann und rechtlich mit klassischen Taxiunternehmen gleichgestellt wird.

Mitteilen, Teilen

Die großen Entwickler aus dem Silicon Valley gelten als Revo lutionäre und Weltveränderer, denen es doch in erster Linie dar um geht, ausgehend von einer coolen App das Unmögliche möglich zu machen – und es dann zum besten Preis zu verkaufen. Dass diese Wirtschaft – auch "kollaborativer Konsum" genannt – aber den Kapitalismus besser machen würde, weil ihr Gemeinschaft wichtiger sei als Besitz, das Teilen im Vordergrund stehe? Das Bewusstsein von Besitztum verändert sich in einer Zeit der zunehmenden gesellschaftlichen Mobilität. In westlichen Metropolen ist nicht mehr das eigene Auto das Statussymbol, sondern die Parti zipation an einem Carsharing-Dienst: Man ist ökologisch, nachhaltig und modern.

Aber Sharing-Modelle gründen nicht in genossenschaftlichem Gemeinbesitz, sondern (meist) in Privateigentum: Es geht also nicht ums Teilen, sondern ums Tauschen. Und ja, durch dieses Tauschgeschäft kann man Dinge (vorübergehend) besitzen (dar über verfügen), die einem nicht gehören. Dass aber die neue Ökonomie des Tauschens und Teilens einen Siegeszug über das bishe rige Wirtschaftssystem antreten und den Niedergang des Kapita lismus herbeiführen wird und in weiterer Folge gar eine sozialere Weltgemeinschaft, ist nur ein frommer Wunsch. Tauschen, Abgeben und Kooperieren gab es immer schon, wenn Menschen durch Kriege oder Krisen an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Vielmehr wird einfach alles, was dem Wirtschaftskreislauf bisher entzogen war, kapitalisiert – auch mehr und mehr die eigenen Talente, die persönlichen Charakterzüge.

Grundsätzlich ist an der Idee, über etwas auf Zeit zu verfügen, nichts auszusetzen, das betrifft die Ferienwohnung ebenso wie Carsharing oder den Speicherplatz in der Cloud. Solange man das Bewusstsein darüber nicht verliert, dass die Sharing Economy kein Teilen, sondern eine Ausweitung unserer Konsummöglichkeiten und zunehmende Kommerzialisierung des Zusammenlebens ist, und wir aufhören, Geschäften eine persönliche und pseudotransparente Aura zuzuschreiben.

Wenn mehr und mehr immaterielle Güter, Dienstleistungen, Wissen unsere Welt bestimmen, ist nicht Besitz vorrangig, sondern der Zugriff auf das Superinternet der Dinge. Was höchstwahrscheinlich nicht die Nivellierung, sondern eine Verschärfung der Ungleichheiten nach sich zieht. Haben wir uns damit abgefunden, dass die meisten Dienste nur noch via App in Anspruch genommen werden können? Denn das bedeutet ja auch, dass jemand, der kein Smartphone besitzt oder bestimmte Funktionen wie die Nachverfolgung des eigenen Standortes nicht aktivieren möchte, davon ausgeschlossen ist.

In diesen Tagen kann man den Wettbewerb einzelner digitaler Player um intelligente Sprach assistenten, sogenannte Echo-Produkte, verfolgen. Die Unterhaltung mit Computern wird den Alltag bestimmen, wir werden mit dem autonomen Handeln von Maschinen und Programmen konfrontiert sein – im positiven Fall innerhalb der Grenzen, die wir ihnen dafür setzen. Computerbildschirme und Displays verschwinden zugunsten dieser unsichtbaren Rechenzentren, auf die wir mit unserer Stimme zugreifen und die unser Leben erleichtern sollen. Das Zukunfts- oder Horrorszenario (je nachdem) vom eingepflanzten Chip unter der Haut, der einen Menschen steuert, wurde zu einem mehr oder weniger minimalistischem Lautsprecher.

Möglicherweise verschwindet mit den Echo-Produkten die letzte noch sichtbare Grenze zwischen der Konsumentin und Programmen und Apps, denen Algorithmen zugrunde liegen, die das persönliche (Kauf-)Verhalten lenken. Wie aber kann es möglich bleiben, zwischen Einflüssen und Implementierungen einerseits und eigenen Bedürfnissen und Wünschen zu unterscheiden? Wie verhindern wir, dass Konsum unsere Persönlichkeit unter- und determiniert?

Am Ende

Vor drei Jahren starteten chinesische Studenten ein stationsloses Bikesharing (Ofo) in der Hoffnung, sich damit zu einem Uber für Fahrräder zu entwickeln. Und wirklich überfluteten in kurzer Zeit Millionen Leihräder rund 50 Städte. Der Unterschied dieses Unternehmens zur Sharing Economy ist natürlich, dass die Unternehmen (wie Uber) die Räder besitzen. Die Nutzer von O-Bike, dem Anbieter, der in Wien, Zürich und zehn weiteren Städten Räder verleiht, akzeptieren mit den Geschäftsbedingungen, dass ihre Daten und ihr Bewegungsprofil an Dritte weitergegeben werden, nämlich an eine Tochterfirma von Alibaba.

Für die Wahl der ersten stationären Standorte Alibabas sind Informationen darüber, wie sich die Menschen in der Stadt bewegen, und persönliche Daten wie Alter und Geschlecht derjenigen, die sich mit ihrem Facebook-Account anmelden, sicher nützlich (zudem möchte Facebook demnächst die Nutzer nach sozialen Kriterien sortieren, um deren Kaufkraft noch genauer zu bestimmen). In gut frequentierten Geschäftsvierteln (nicht den verödeten ehemaligen Einkaufsstraßen) bieten Onlinehändler auch offline Waren an. Die wenigen Angestellten in der Bedienung kümmern sich um Altersfreigaben für Alkohol, vielleicht auch um Einlogg-Probleme. Der Kunde holt sich seine Sachen nun endlich auch selbst im Lager – äh, Store – ab, auch ein Vorteil.

Auf die Frage nach der Tiefe der Amsterdamer Kanäle las ich als Antwort: ein Meter Wasser, drei Meter Fahrräder. Noch sind die häufig gelben und klobigen Leihräder von Ofo und Co, die an allen möglichen und unmöglichen Orten zurückgelassen werden, Fremde im Stadtbild. Ich denke aber, mehr und mehr werden Menschen, die sich dem digital verordneten Kaufzwang verweigern, die echten Ufos im Leben sein. (Angelika Reitzer, Album, 24.2.2018)