Kollerschlag, die kleine Marktgemeinde im oberen Mühlviertel, schrumpft. Etwa 1.500 Einwohner leben heute noch im Ort, deutlich weniger als vor zehn Jahren. Auch das letzte Gasthaus hat zugesperrt. Dafür hat der Ort jetzt ein "Basecamp": So nennen die Mitarbeiter von Loxone ihre Unternehmenszentrale, von wo aus sie Hightechlösungen für Einfamilienhäuser in der ganzen Welt entwickeln.

Loxone hat mit seinen Smart-Home-Produkten seit seiner Gründung 2009 ein beachtliches Wachstum hingelegt, Niederlassungen in den USA, dem Vereinigten Königreich, Deutschland, Frankreich gegründet und will nun nach Australien expandieren. Ist das ein Modell der Zukunft – das globale Unternehmen aus der Pampa? Eine Frage, die sich Loxone-Mitgründer und Hälfteeigentümer Martin Öller so nicht mehr stellt.

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STANDARD: Warum haben Sie Ihre Firmenzentrale hier mitten im Nirgendwo errichtet?

Öller: Die Frage muss man umgekehrt stellen: Warum nicht? Wir, also mein Partner, mit dem ich das Unternehmen gegründet habe, und ich stammen hier aus der Gegend. Für uns wäre es nie infrage gekommen, in ein Ballungszentrum wie Linz zu gehen. Unsere Region ist dominiert von Pendlern. Viele Menschen hier aus dem Mühlviertel arbeiten in Linz. Dieses Pendeln war bei mir immer negativ behaftet: Der Zeitverlust, der damit einhergeht, ist mit einem Verlust an Lebensqualität verbunden. Wenn man hier seinen Lebensmittelpunkt hat, seine Frau kennenlernt, sein Haus baut, seine Freunde hat, muss man sich fragen: Warum wechseln?

STANDARD: Aber Ihr Unternehmen ist global ausgerichtet. Ihre Märkte sind Deutschland, die USA.

Öller: Unser Ansatz war: Dort, wo das Internet ist, können wir Geschäfte machen. Internet spielt als Kanal für die Verbreitung unserer Botschaft die zentrale Rolle, und von welchem Ort der Welt wir das tun, ist für uns egal. Wir haben nie eine Messe besucht, Loxone hat auch wenig in Print gemacht. Wenn man Internet als sein Hauptthema hat, kann ich nicht kontrollieren, ob ich nun in Wien, Hamburg oder Paris mein Produkt verkaufe. Die Leute finden einen überall. Und der Ort hier ist fantastisch.

STANDARD: Die Stadt hat Sie nie gereizt?

Öller: Wenn man hier aus dem Fenster rausschaut, sieht mal einen Hasen oder ein Reh vorbeilaufen. Man kann zusehen und findet einen Moment der Ruhe. Das ist ganz anders als in der Stadt. Ich bin immer wieder gern in New York oder Wien, natürlich ist das fantastisch. Aber mir geht es da immer gleich, und am intensivsten gespürt habe ich das in Hongkong: Wenn man sich dort für ein paar Tage aufhält, spürt man die schnelle Taktart, den Pulsschlag, den Druck. Als wir in den Flieger gestiegen sind, habe ich mir gedacht: Endlich sind wir weg von da und fliegen nach Hause, wo Ruhe ist, wo ich mich viel stärker auf das konzentrieren kann, was ich mache.

Aus dem Fenster sieht man manchmal Hasen und Rehe vorbeilaufen: das "Basecamp" in Kollerschlag.
Foto: Alex Schwarzl

STANDARD: Wie waren die Reaktionen, als Sie gesagt haben, dass Sie in Kollerschlag ein international tätiges Hightechunternehmen hinstellen wollen?

Öller: Wir sind von vielen wegen des Standorts belächelt worden. Losgelegt haben wir 2009 in einem alten Gemeindehaus. Das war eine spannende Zeit. Die Fassade vom Gebäude ist runtergefallen, jeder zweite Raum war schimmlig. Wir hatten einen Werbespruch: "Willkommen im Haus des 21. Jahrhunderts". Er ist über einem Uralteingang gehangen, daneben ist der Putz von der Wand gefallen. Aber trotzdem haben wir uns gut entwickelt. Leidenschaft ist das Wichtigste für einen Unternehmensgründer, dann ist es nicht notwendig, dass man in ein Ballungszentrum geht. Vorausgesetzt, man hat ein Geschäftsmodell, das man dezentral betreiben kann.

STANDARD: Und eine Bank hat Ihnen dafür einen Kredit gegeben?

Öller: Wir sind bei allen Evaluierungen, die eine Bank so anstellt, um herauszufinden, ob ein Unternehmen kreditwürdig ist, durchgefallen. Bei der Kollerschlager Raiffeisenbank nicht, weil die handelnden Personen uns gekannt haben. Die haben gewusst: Wenn wir etwas machen, dann wird das Hand und Fuß haben. Das ist eine Art und Weise, ein Unternehmen zu finanzieren, wie das in Wien nur bedingt funktionieren würde.

STANDARD: Was genau bieten Sie an – was ist das Smart Home?

Öller: Bei Smart Home hat jeder ein anderes Bild vor Augen, viele denken da wohl an einen Kühlschrank, der selbst weiß, wann die Milch aus ist und nachbestellt werden muss. Unser Ansatz ist ein anderer. Smart Home ist für uns das Heim, das selbst weiß, was zu tun ist, und uns das ganze Jahr über viele Tausend Handgriffe abnimmt, indem es sich um die Heizung, um das Licht, um die Sicherheit kümmert. Ich fahre in Urlaub und muss umdrehen, weil ich vergessen habe, ob alle Tore zu sind: All das übernimmt das Smart Home und schafft dadurch Komfort für uns. Unser Ziel ist nicht, Apps zu schaffen, um damit Komponenten manuell zu bedienen, etwa Licht damit ein- und auszuschalten. Wir wollen nicht mehr, sondern weniger Technik in das Leben der Menschen bringen. Wir fokussieren uns daher auf Komplettlösungen.

STANDARD: Und was ist ihr wichtigstes Produkt?

Öller: Unser kleiner grüner Miniserver. Das kann man sich wie ein Gehirn des Hauses vorstellen, wo alles zusammenläuft, Temperatur- und Lichtfühler. Hier treffen wir die Entscheidungen: Müssen wir jetzt heizen oder kühlen? Was tun wir, wenn jemand hereinkommt, Licht machen oder Alarm schlagen? Am Miniserver hängen alle Komponenten wie Beschattung, Heizung, Licht, Musik.

STANDARD: Wie finden Sie Mitarbeiter? Die Bevölkerung im Ort schrumpft ja.

Öller: Wir haben am Standort rund 90 Mitarbeiter und sind beständig seit unserer Gründung gewachsen. Das Thema Recruiting ist immer eine riesen Herausforderung. Sie gestaltet sich auf dem Land bloß anders als in der Stadt. In der Stadt leben viele Menschen, und es gibt viele Jobs. Dort wechseln Mitarbeiter öfter. Die Herausforderung in der Stadt ist, Mitarbeiter zu halten. Bei uns auf dem Land ist es schwieriger, gute Leute zu finden. Aber wenn die mal bei uns im Team sind, bleiben sie. Die Loyalität ist hoch. Ich glaube, dass das Land da oft unterschätzt wird.

STANDARD: Wieso?

Öller: Berlin ist jetzt die neue gehypte Start-up-Szene. Für mich klingt es in den Zeitungsberichten so, als könnte man nur in Berlin ein tolles Unternehmen gründen. Wir müssen da selber unsere Grenzen im Kopf niederreißen. Für mich gab es einmal ein prägendes Erlebnis dazu.

STANDARD: Und zwar?

Öller: Wir wollten einen Mitarbeiter rekrutieren und haben niemanden gefunden. Ich dachte, schon mit jedem im Bezirk einmal gesprochen zu haben, und war sicher, alle genialen Köpfe in der Umgebung kontaktiert zu haben. Dann hat mich ein Nachbar im Ort angesprochen: Kennt ihr schon diesen Erfinder aus Hofkirchen? Siehe da, da sitzt einer, der für große Konzerne Patente und Erfindungen macht auch in der Pampa. Wir haben ihn zu uns geholt. Wenn man an die ganz kreativen Köpfe denkt, kommen einem Silicon Valley oder andere Metropolen in den Sinn – und nicht Orte wie Kollerschlag oder Hühnergeschrei. Dabei sitzen viele der genialsten Köpfe um uns herum.

Bild nicht mehr verfügbar.

Muss es immer das Silicon Valley sein? Das Headquarter von Google in Mountain View, Kalifornien.
Foto: AP

STANDARD: Allerdings gibt es doch viele Hürden. Hier im Ort Kollerschlag gibt es ja nicht einmal mehr ein Gasthaus, wie ich gehört habe, wo ihre Mitarbeiter essen könnten.

Öller: Der Vorteil, den man in der Stadt hat, ist, alles, was man braucht, ist um einen herum. Restaurants sind da, der Bus fährt. Dafür ist das Investment höher, weil in der Stadt alles teurer ist. Hier auf dem Land muss man sich ein paar Gedanken machen, wenn man die besten Köpfe anlocken will. Wir betreiben ein Restaurant in unserem Unternehmen. Eine andere Herausforderung ist Kinderbetreuung. Wir diskutieren immer wieder über die Gründung eines Betriebskindergartens. Vor kurzem haben wir erhoben, wie viele Kinder unsere Mitarbeiter haben. Für einen Betriebskindergarten wären es noch zu wenige. Gerade in der Ferienzeit ist es aber schon eine sehr große Herausforderung für unsere Mitarbeiter, Kinderbetreuung zu finden.

STANDARD: Wobei auch die öffentliche Infrastruktur generell passen muss, damit so ein Unternehmen gut überlebt. Das unterscheidet Österreichs ländliche Regionen doch von vielen anderen Ländern. Verödete Landstriche wie in den USA gibt es hier nicht.

Öller: Ja. Wir profitieren von einer HTL, die hier in der Nähe ist, und einer Fachhochschule. Das ist für unser Recruiting enorm wichtig. Auch die Internetverbindung ist hier exzellent, das muss man sagen. Was auf dem Land sehr zählt, ist zudem, sich gut ins Umfeld zu integrieren. In Kollerschlag gibt es Sportvereine, eine Feuerwehr, einen Musikverein. Wenn man sich da etwas engagiert finanziell als Sponsor, ist das für das Klima sehr gut.

Mitarbeiter zu bekommen ist auf dem Land schwieriger, sagt Firmenboss Öller.
Foto: Alex Schwarzl

STANDARD: Entsteht da ein Zukunftsmodell für den ländlichen Raum? Können also Regionen, in denen die Bevölkerungszahl sinkt, von einem Modell wie ihrem nachhaltig profitieren? Unternehmen müssen dank des Internets nicht mehr in einer Stadt oder Industriezone sein müssen.

Öller: Dass es Potenzial dafür gibt, sieht man an uns. Wobei aus unserer Sicht gar nicht so gut wäre, wenn zu viele andere hierherkommen, dann ist die schöne Aussicht weg. Natürlich gibt es auch praktische Grenzen und Herausforderungen. Für uns ist der Flughafen Linz so ein Fall: Von Linz kann man nach Frankfurt fliegen, nach Wien und nach Ägypten und in die Türkei. Das ist ein Problem, weil wir unsere Niederlassung in Paris nicht direkt anfliegen können. Aber mit dem Internet ist der Informationsvorsprung, den man in der Stadt hatte, weg. Global gibt es zudem eine sehr starke Strömung in Richtung Vereinfachung und Simplifizierung. Allein wenn ich mir anschaue, wie viele Meditationsapps es heute gibt. Und eigentlich unser Umfeld, wo wir arbeiten, trägt dem voll Rechnung.

STANDARD: Die Karrierechancen wird die Jugend auch hier eher in der Stadt wittern?

Öller: Sicher. Aber nach und nach dringt schon die Botschaft durch, dass es das nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land gibt. Ich habe Softwareentwicklung hier im Umland studiert. Wenn das Studium zu Ende geht – so wie bei mir vor vielen Jahren –, dann schlagen die großen Firmen auf und bemühen sich um die Absolventen. Der Weg in die Städte ist damit schon fast vorgegeben. Was soll man sonst machen? Das Angebot, dass man hier seinen Job machen kann, muss es erst geben, dann ändern sich auch Wege. Die Jobs, die wir hier bieten, hat es bisher nicht gegeben auf dem Land: Früher gab es hier vielleicht ein, zwei Softwareentwickler in der Region. Heute haben wir bei uns im Haus allein 20 davon.

STANDARD: Wer sind Ihre Mitbewerber? Ist das Amazons Alexa?

Öller: Nein, wir haben da einen anderen Zugang. Von 100 Häusern, die neu gebaut werden, wie viele sind davon echte Smart Homes? Also nicht nur Spielereien, wo ich die Glühbirne mit dem Handy einschalten kann, sondern echte Smart Homes, wo das Haus weiß, was ich will. Das sind drei oder zwei Prozent. Für uns als Unternehmen wäre es falsch, darüber nachzudenken, wie wir jemand anderen etwas von diesem Kuchen wegnehmen können. Viel spannender ist es zu überlegen, wie wir an die anderen 97 Prozent herankommen. Der größte Mitbewerber für uns ist der Kupferdraht, der eingezogen wird vom Schalter zur Glühbirne. Überall, wo der Kupferdraht gewinnt, weil wir unser Produkt nicht gut genug erklären konnten, haben wir verloren. (András Szigetvari, 25.2.2018)