Deutschland will jetzt mehr.

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Nach der Sensation gegen Rekord-Olympiasieger Kanada träumen die deutschen Eishockey-Herren von Olympia-Gold. "Der Glaube ist da. Man merkt: Die Jungs wollen mehr, und da kann man sie auch nicht abhalten. Wir wissen: Wenn wir genau so weiterspielen, dann haben wir eine gute Möglichkeit, Gold zu erreichen", betonte Teamchef Marco Sturm vor dem Finale gegen Favorit Russland am Sonntag (5.10 Uhr).

Die nicht für möglich gehaltene 4:3-Überraschung gegen Kanada hatten die deutschen Spieler in der Kabine und im Mannschaftsbus überschwänglich gefeiert. "Man muss den Moment genießen, das haben wir auch gemacht nach dem Spiel", sagte der zum deutschen Schlussfeier-Fahnenträger auserkorene Ex-NHL-Spieler Christian Ehrhoff und bekräftigte vor dem Endspiel: "Wir wollen wieder das aufs Eis bringen, was uns stark gemacht hat."

"Alles ist möglich"

Sturm ging noch weiter. "Alles ist möglich. Unser Weg ist immer noch nicht zu Ende. Wir wollen mehr." Die glanzvollen Auftritte seiner Mannschaft schlagen im Land des Fußball-Weltmeisters enorm hohe Wellen. Für das Endspiel wird eine Rekord-Einschaltquote erwartet. Eine ganze Sportnation fiebert plötzlich mit den "Puck-Jägern" mit. Auch Fußball-Weltmeister Bastian Schweinsteiger war im fernen Chicago begeistert. "Yes, come on! Let's go for gold", schrieb er auf Twitter. Tennis-Ikone Boris Becker reihte sich ebenfalls euphorisiert unter die Gratulanten: "Wahnsinn, auf gehts Männer!" Und NHL-Crack Tom Kühnhackl meinte: "Ihr seid ja völlig wahnsinnig."

Sogar das Amt für auswärtige Angelegenheiten setzte eine leicht ironische Empfehlung für deutsche Nordamerika-Reisende ab: "Seid nett, seid nicht hämisch, umarmt Leute, bezahlt eine Runde heiße Schokolade. Stellt euch einfach mal vor, wie es sich anfühlen würde, im Fußball gegen Kanada zu verlieren."

Euphorie

Die Tatsache, dass der 35-jährige Verteidiger Ehrhoff die Fahne bei der Schlussfeier (12.00 Uhr MEZ) tragen darf, verdeutlicht den Erfolg der Eishockey-Asse im auch sonst enorm erfolgreichen deutschen Team mit 13 Goldmedaillen. "Wenn man da einen Spieler des Wunder-Teams heraus nimmt, repräsentiert das auch das ganze Team Deutschland", sagte Franz Reindl, Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes.

Mit dem Einzug in das erste olympische Finale überhaupt und der garantierten Silbermedaille ist der größte Erfolg des deutschen Eishockeys bereits perfekt. Den deutschen Zeitungskommentatoren gingen deshalb im Wortsinn die Rufzeichen aus. "Gibt es eine Steigerung von Wahnsinn", fragte sich die "Süddeutsche". Der Reporter des "Spiegel" legte sich nach einem der "über zweieinhalb Drittel größten Spiele der deutschen Eishockey-Historie" fest: "Eiskalt!" Die "Bild-Zeitung" war wie die meisten der DEB-Helden einfach nur "fassungslos".

Weniger "amused" reagierte die kanadische Presse auf die Enttäuschung des Jahrzehnts. "Es gibt gute Gründe, weshalb die meisten dieser Spieler unbekannt sind. Im Bronze-Spiel werden keine Legenden geboren", spottete die auflagenstärkste Zeitung "The Toronto Star".

Sturm

Bei vielen Analysen auf der Suche nach dem Erfolgsgeheimnis rückte Teamchef Sturm ins Zentrum. Der frühere NHL-Spieler übernahm die Truppe 2015 auf Weltranglisten-Position 13. Zwei WM-Viertelfinali und ein Olympia-Märchen später käme keinem Kritiker mehr in den Sinn, seinen Job als Himmelfahrtskommando zu betiteln.

Mit einem Sieg über die Russen würden Ehrhoff und Co. dem Ganzen die Krone aufsetzen, die ausschließlich mit Spielern aus der starken KHL bestückte Sbornaja gilt freilich als klarer Favorit. "Olympiasieg wäre die absolute Krönung. Olympiasieg mit Deutschland – das ist höher zu setzen als den Stanley Cup zu gewinnen", sagte Ehrhoff, der den Stanley Cup 2011 mit Vancouver nur knapp verpasst hatte. "Wir haben nichts zu verlieren. Es ist Russland, wir spielen gegen die Top-Jungs der KHL und sie haben auch viele NHL-Erfahrung", weiß auch Kapitän Marcel Goc.

Mit 23:5 Toren fegte die Sbornaja mit ihren Stürmerstars Pawel Dazjuk und Ilja Kowaltschuk bisher durch das Turnier, verlor aber immerhin das erste Spiel gegen die Slowakei mit 2:3. "Wir sind der Underdog. Die Russen sind auf dem Papier einfach besser. Aber so war es das ganze Turnier über schon und wir haben immer einen Weg gefunden", merkte der deutsche Teamchef Sturm an.

Die beiden Mannschaften haben seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der deutschen Wiedervereinigung bei Olympia erst einmal gegeneinander gespielt. 1994 in Lillehammer gewann Deutschland 4:2, davor hatte die Sowjetunion gegen Westdeutschland eine 4:0-Bilanz. Für die wegen des Sotschi-Dopingskandals unter neutraler Flagge spielenden Russen geht es am Schlusstag um das erst zweite Gold bei den Spielen in Südkorea. (APA, 24.1.2018)