Die Erben (Sebastian Wendelin, li) warten schon, dass der Tod (Barbara Petritsch) bei Jedermann (Markus Hering) endlich zuschlägt.

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Wien – Nach eindreiviertel Stunden "jedermann (stirbt)" blickt das Publikum in ein schwarzes Loch. Das muss das Ende sein, der Tod, in den es alle Erdenbürger irgendwann hineinzieht. Den Kampf an dieser Schwelle trägt die Figur des Jedermann aus, bei Hugo von Hofmannsthal wie auch in der Neufassung von Ferdinand Schmalz.

Alle Religionen haben sich diesen Point of no Return sinnstiftend in ihre Mythologien eingeschrieben. Nach christlichem Glauben werden die Guten zu Gott in den Himmel geholt. Diese theozentrische Jenseitsdeutung war auch Grundlage von Hofmannsthals auf mittelalterlichen Mysterienspielen basierendem Theaterstück, in dem "Gott, der Herr", in Erscheinung tritt, wenn auch nicht mehr mit Rauschebart, sondern – wie zuletzt bei den Festspielen – nur als hörbare Stimme.

Mehr und mehr hat man in den Interpretationen der vergangenen Salzburger Jahre versucht, sich von den katholischen Koordinaten des Dramas zu lösen, bis schließlich Burgtheaterdirektorin Karin Bergmann auf die Idee kam, den "Jedermann" neu dichten zu lassen. Ferdinand Schmalz, von Elfriede Jelinek und Werner Schwab geprägt, hat in seinem Auftragswerk nun Schritte in Richtung Säkularisierung eingeleitet. Zwar gibt es dem imposanten Bartwuchs nach noch eine göttliche Figur, aber sie heißt "armer nachbar gott" (Oliver Stokowski) und ist eine kleinlaute Fusion aus Hofmannsthal-Protagonisten: ein vom Thron gestürzter Herr, der mit seinem prinzipientreuen Verhalten (kein Alkohol!) in der "(teuflisch) guten gesellschaft" recht allein dasteht.

Gewissenstrübung

Den moralischen Zeigefinger, dessen Mechanik von Drohung und Läuterung/Buße immer gleich abläuft, scheut Schmalz nicht. Er hat vorderhand die Inhalte modernisiert (Wirtschaft als Ausbeutungssystem: Coltanminen, Mastviehbetriebe, Fahrradboten etc.) und mit Andeutungen auf die Flüchtlingsnot das Schwelgen im Reichtum um aktuelle Gewissenstrübungen geschärft. Dieser neue Jedermann (Markus Hering) ist ein von alldem profitierender Börsenspekulant, der jede Regung als Geschäftsmöglichkeit betrachtet. Seine Rede auf die Gottgleichheit des Geldes gehört zu den erhellendsten Momenten im Kunstfigurenkabinett von Regisseur Stefan Bachmann; Olaf Altmann (Bühne) und Esther Geremus (Kostüme) haben es in Goldfarben getaucht.

In Bachmanns formalisiert-märchenhafter Inszenierung werden Fratzen geschnitten (Mavie Hörbiger als Mammon / Gute Werke, Elisabeth Augustin als Mutter) und es wird slapstickhaft gewitzelt (Markus Meyer und Sebastian Wendelin als Vettern). Die schematische Künstlichkeit wirkt aber auch schwerfällig, das schablonenhafte Spiel manchmal albern.

Im Lustgarten, der freilich nie zu sehen ist, sondern wie jede Realität in diesem Gespensteraufmarsch bloß als Idee behauptet wird, soll Jedermanns rauschendes Fest stattfinden. Die Gemahlin (Katharina Lorenz) ist weniger begeistert, hat aber einen interessanten Gast eingeladen: "die buhlschaft tod" (Barbara Petritsch), die den Todeskuss verabreicht.

Ferdinand Schmalz' Könnerschaft besteht darin, dem Original dicht auf den Fersen zu sein, aber sich in einer eigenen, weltlich-unsentimentalen Verssprache die Bigotterie vom Leib zu halten. Die zentrale Umdrehung nimmt er am Ende vor, indem er den Fokus von Jedermann auf die Gesellschaft richtet, deren Mitglieder sich wie Aasgeier auf das Erbe stürzen. Sich an einem Sündenbock abzuputzen genügt also nicht.

Bei Bachmann reißt sich Jedermann sogar selbst vom Totenbett los und beschwert sich: "die eigentliche lehr, / die wir aus diesem spiel hier ziehen können, / ist, dass einer hier geopfert wird, / um unsere gemeinschaft rein zu waschen." Das hat getroffen. Euphorischer Applaus. (24. 2. 2018, Margarete Affenzeller)