Szene aus "Sand" des Alonzo King Lines Ballet aus San Francisco, zu Gast im Festspielhaus St. Pölten.

Foto: Chris Hardy

St. Pölten – Warum nicht Kunst genießen, die einfach nur schön ist? Zum Beispiel formvollendeten Tanz, choreografiert von einem "wahren Meister" respektive einer wahren Meisterin des Balletts, umgesetzt von hochtalentierten Tänzerinnen und Tänzern mit sozusagen "perfekten" Körpern.

Was, bitte schön, soll daran falsch sein, sich etwa den fein geschliffenen Stücken des Alonzo King Lines Ballet aus dem fernen San Francisco im nahen Sankt Pölten ohne großes Wenn und Aber hinzugeben? Zwei dieser Werke hat das Festspielhaus am Samstag gezeigt, und das Publikum war ausgesprochen angetan von der Aufführung.

Als schön wird üblicherweise die Erfüllung einer idealen Norm empfunden. Darüber, was das heißen soll, wird in der Philosophie seit der Antike diskutiert. In den Vereinigten Staaten hält sich ein seltsam homogenes Idealbild davon, wie modernes Ballett zu sein hat. Es kommt auf äußerste Beweglichkeit, leistungsfähige Eleganz, höchste Konzentration und absolute Involviertheit der Tänzer genauso an wie auf eine Choreografie, die hohe Dynamik mit atmosphärischer Mystik verbindet.

Das Ballett in den USA jongliert ausgesprochen konsumentenfreundlich mit – um an Immanuel Kant zu streifen – der Normidee und dem Ideal der stets erotisch angehauchten Schönheit seiner Formen. So wird die Sache, um andererseits eine amerikanische Kritikfloskel zu zitieren, "poignant" (ergreifend).

Ergreifendes, das berührt

An diese eingefleischte Norm hat sich auch Alonzo King zu halten, und der 1952 geborene Choreograf tut das mit Erfolg. Beide Stücke, die er nach St. Pölten brachte, sowohl Biophony als auch Sand, haben etwas Ergreifendes an sich, das selbst skeptische Europäer berührt. Vor allem, weil innere Widersprüche, Risse oder Verwerfungen völlig fehlen – und doch ein schlichter Sinn mitschwingen darf. Bei Biophony bewegt sich die elfköpfige Company zu einer Klangwelt aus Tierlauten elegantest animalisch. Und in Sand rieseln verspielte Jazzmusik und gekonnte Bewegungskombinationen so ineinander, dass die Zuschauer spüren, wie aufwühlend flüchtig das menschliche Miteinander sein kann.

Das Glück, ach, ist ein Vogerl. Wem ginge es nicht nah, dies aus angemessener Entfernung zur Bühne und bei verallgemeinernder Abstraktion echt mitzufühlen? Zu all diesem Überfluss fürs randvolle Herz hat King auch noch eine Tänzerin mitgeschickt, die – auch wenn sie im Festspielhaus sichtlich nicht in Höchstform war – so ziemlich alles in den Schatten stellt, was sich seit Sylvie Guillem auf der Ballettbühne bewegt.

Adji Cissoko, 1991 in München geboren, ist ein Wunder der tänzerischen Artikulation. Lang- und feingliedrig, impulsiv und doch beherrscht, charismatisch und überraschend im Timing ihrer Bewegungen bringt sie ein atemberaubendes Surplus ins Geschehen – als jenen Überschuss, der etwas Gutes zur Brillanz steigert. Es wäre schön, sie auch in anderen künstlerischen Zusammenhängen zu sehen. (Helmut Ploebst, 25.2.2018)