Ginevra (Chen Reiss) und Polinesso (Christophe Dumaux) in "Ariodante"

Foto: Michael Pöhn

Wien – Schmerzhafte Abweisung steht oft am Beginn kurzweiliger Tragödien. Die Schmähung ist im Sinne prickelnder Opernspannung besonders an diesem Abend hilfreich: "Ein Monster ist nicht hässlicher als du!", wirft die edle Königstochter Ginevra dem vor Sehnsucht platzenden Polinesso entgegen, dem Herzog von Albany. Und es wählt der zurückgewiesene Ehrgeizler, der Ginevra im Doppelpack mit Schottlands Krone begehrt, gottlob den Weg der hinterlistigen Rache.

Er ist ein schlechter Mensch, und er hat keine Moral: Polinesso wirft einen Dienstboten zu Boden und putzt sich an dessen Brust die Schuhe ab. Er ist der Vertreter einer diktatorischen Macht, die gern Bücher ins Feuer wirft. Ganz nebenbei instrumentalisiert er die ihm zugetane Dalinda (solide Hila Fahima): Sie möge als Ginevras Dienerin ein Kleid ihrer Herrin anlegen. Sodann würde sie von Polinesso besucht, und Ariodante würde irrtümlich Zeuge, wie seine Zukünftige sich auswärts körperlich vergnügt.

Opernkonvention

All dies wird bis zum Happy End – Polinesso fällt im Duell mit Ariodantes Bruder Lurcanio (Rainer Trost kultiviert, aber ohne Durchschlagskraft) – jedoch mit routinierter Opernkonvention erzählt. Den delikaten, melancholischen Raum, den Georg Friedrich Händels magisch-ausführliche Musik der Szene bietet, hat Regisseur David McVicar kaum genutzt.

Rund um das Kernpersonal immerhin etwas Leben: Vertreter eines schrillen Fantasie-Rokokos ergeben sich der Tanzlust (Choreografie: Colm Seery). Sie sind das muntere Ornament einer unbeweglichen Angelegenheit im Geiste höfischer Galanterie.

Der tote Hirsch

Die Intrige versprüht ihr Gift gemächlich zwischen hohen Burgmauern, die ein bisschen tanzen und von imposanten, mit Kerzen prall bestückten Kronleuchtern beleuchtet werden (Ausstattung: Vicki Mortimer): Eine historische Fantasiewelt, in der ein König (vokal etwas unscheinbar Wilhelm Schwinghammer) gern Uhren repariert, freut sich da auf die Vermählung Ariodantes mit Ginevra. Auch der Zukünftige ahnt nichts: Auf einem toten Hirschen sitzend, sauft er sich mit Widersacher Polinesso, der den Freund mimt, das Gedächtnis weg.

Später wird sich Ariodante todessüchtig dem Meer überantworten. Auftauchen wird er erst, wenn Polinesso nach urigem Ritterkampf tot herumliegt. Auch dann bleibt aber Sarah Connolly (als Ariodante) eher verhalten – szenisch wie vokal.

In dieser behäbigen Stehpartie ist aber auch Besonderes: Am Tiefpunkt ihrer Verzweiflung schafft Chen Reiss (als Ginevra) mit stilisierter Gestik tragisch-poetische Momente. Auch vokal ist da plötzlich große Klarheit und Schönheit der barocken Linien, die zunächst etwas flatterhaft gewirkt hatten.

Warum nicht mehr davon?

Markant die Albtraumszene dieser Frau, die zuvor schlaflos vor Glück schien: Sie erscheint sich selbst als Puppe; wie Olympia torkelt sie eckig über die Hochzeitstafel und wird mit allerlei beworfen. Ein Augenblick bewussten Gestaltens, ein Moment subjektiven Eintauchens in die Figur. Warum nicht mehr davon?

Grandios Christophe Dumaux (als Polinesso): Er vereint Eindringlichkeit mit Geläufigkeit. Vital, virtuos klingt das, wobei: Eine große Stütze sind Les Arts Florissants und Dirigent William Christie. Klangschönheit verband sich mit Prägnanz und Grazie der Phrasierung. Und all diese kostbaren Eigenschaften hatten etwas von der ausdauernden Verlässlichkeit einer historisch informierten seelenvollen "Maschine". Herzlicher Applaus – nur ein fast unhörbares Buh für die Regie. (Ljubisa Tosic, 25.2.2018)