Mit ihrem vereinten Auftreten hat die ungarische Opposition eine Bürgermeister-Nachwahl in der südostungarischen Kleinstadt Hódmezövásárhely überraschend deutlich gewonnen. Der parteilose Péter Márki-Zay setzte sich mit 57,5 Prozent der Stimmen gegen den interimistischen Amtsinhaber Zoltán Hegedüs von der Regierungspartei Fidesz mit 41,6 Prozent durch. Dies teilte die Wahlkommission am Sonntagabend nach Auszählung von 94 Prozent der abgegebenen Stimmen mit. Sechs Wochen vor der Parlamentswahl am 8. April kam dem Urnengang der Charakter einer "Testwahl" zu. Das Modell einer parteiübergreifenden gemeinsamen Kandidatur gegen das Regierungslager vermochte offenbar eine große Zahl von Menschen zu mobilisieren. Mit fast 62 Prozent lag die Wahlbeteiligung ungewöhnlich hoch.

Márky-Zay, der vor einiger Zeit die Fidesz-Partei des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán aus Enttäuschung verlassen hat, gilt als Katholik mit moderat konservativen Ansichten. Als er seine Kandidatur anmeldete, erklärten alle nennenswerten Oppositionsparteien, ihn unterstützen zu wollen. Das Spektrum reichte von der linken Sozialistischen Partei (MSZP) über die Öko-Partei LMP (Politik kann anders sein) bis hin zur rechtsradikalen Jobbik. Die Nachwahl war erforderlich geworden, weil der 2014 gewählte Amtsinhaber, ein Fidesz-Politiker, im Amt verstarb. Im Wahlkampf-Hauptquartier von Márki-Zay jubelten am Sonntagabend seine Anhänger: "Wir haben es geschafft!" und "Herr Bürgermeister, Herr Bürgermeister"!

Hochburg der Regierungspartei

Der klare Wahlsieg des Fidesz-Dissidenten gilt auch deshalb als spektakulär, weil Hódmezövásárhely eine Hochburg der Regierungspartei ist. Orbáns mächtiger Kanzleramtsminister János Lázár begann hier seine politische Laufbahn und war Jahre hindurch Bürgermeister der 47.000-Einwohner-Stadt. Hódmezövásárhely steht außerdem emblematisch für den korrupten Filz und die Klientelwirtschaft des Orbán-Systems. Zuletzt hat die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf einen landesweiten Skandal um neue Beleuchtungskörper für die Kommunen im Land aufgedeckt. Ein Firmengeflecht, das eng mit Orbáns Schwiegersohn István Tiborcz verknüpft ist, soll sich Euro-Millionen durch manipulierte Ausschreibungen zugeschanzt haben. Olaf empfiehlt der EU-Kommission, von Ungarn EU-Förderungen in Höhe von 39 Millionen Euro zurückzufordern. Das diesbezügliche Pilot-Projekt der Tiborcz-Firma Elios startete in Hódmezövásárhely. Es diente als "Referenz" für zahlreiche weitere Ausschreibungen mit überteuerten Preisen und gefälschten Lebensdauerdaten für Beleuchtungskörper.

Nach der Anmeldung seiner Kandidatur schlug Márki-Zay ein eisiger Wind entgegen. Sein Arbeitgeber, eine private Firma, kündigte ihm. Der Pfarrer einer der Kirchen in dem Ort wetterte von der Kanzel gegen den "Renegaten". In den letzten Tagen musste sich der Oppositionsmann auch noch mit Dirty Campaigning herumschlagen. Ein anonymes Flugblatt listete namentlich Bürger der Stadt auf, die Márky-Zay unterstützen und damit "Chaos und Plünderung der Stadtkasse" bewerkstelligen würden. Unter den "Angepatzten" war auch ein in hoher Wertschätzung stehender 92-jähriger pensionierter Gymnasiallehrer.

Koordiniertes Auftreten

Der Wahlsieg von Péter Márky-Zay weist in dieser Deutlichkeit möglicherweise weit über den Ort in Südostungarn hinaus. Das ungarische Wahlsystem beruht auf einem starken mehrheitsrechtlichen Element: 106 von 199 Mandate werden in Einzelwahlkreisen vergeben, die der gewinnt, der auf die relativ meisten Stimmen kommt. Bei der Parlamentswahl 2014 gewann die Fidesz in 96 von 106 Einzelwahlkreisen. Damals reichte dies knapp für eine Zweidrittelmehrheit – die im darauffolgenden Jahr durch Nachwahlen verlorenging. Das Ergebnis in Hódmezövásárhely zeigt, dass durch ein koordiniertes Antreten der Opposition eine Zweidrittelmehrheit der Orbán-Partei verhindert werden kann. Dass dabei auch die Jobbik eingebunden werden kann, gilt als unwahrscheinlich. Nur in zwei bis drei Wahlkreisen kann vielleicht ein parteiloser Kandidat antreten, der die Unterstützung aller auf sich vereint. Eine Absprache über das Antreten um die Direktmandate haben die MSZP und die linke Demokratische Koalition (DK) bereits getroffen. Gelingt es auch noch, die LMP und einige Kleinparteien mit punktuell populären Kandidaten einzubinden, könnten der Regierungspartei laut Wahlforschern bis zu 30 Mandate abgejagt werden.

Das würde für den Fidesz immer noch eine absolute Mehrheit, aber keine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit mehr bedeuten. (Gregor Mayer, 25.2.2018)