Labour-Chef Jeremy Corbyn nach seiner Grundsatzrede.

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Die britische Labour-Opposition ändert ihren Brexit-Kurs und bringt damit die Regierung von Premierministerin Theresa May in Bedrängnis. Sein Land müsse auch nach dem EU-Austritt in einer Zollunion mit Brüssel verbleiben, um Zölle zu vermeiden und die offene Grenze in Irland zu sichern, sagte Parteichef Jeremy Corbyn am Montag in Coventry. Damit befindet sich die größte Oppositionspartei erstmals im Einklang mit der Gruppe EU-freundlicher Tory-Abgeordneter, die gegen Mays harten Brexit-Kurs rebellieren.

Corbyn, 68, zählt zu der kleinen Gruppe eingefleischter EU-Skeptiker in der Arbeiterpartei, deren Mandatsträger und Mitglieder mit großer Mehrheit proeuropäisch eingestellt sind. Beim Referendum im Juni 2016 stimmten aber zwei Drittel der durch Labour-Abgeordnete vertretenen Unterhauswahlkreise für den EU-Austritt. Dazu zählten deindustrialisierte Landstriche im Norden des Landes und in Wales ebenso wie traditionsreiche Industriestädte wie Coventry, die nach langer Durststrecke gerade erst wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen.

Bisher keine Festlegungen

Seit der Volksabstimmung (Ergebnis: 52:48 Prozent) haben Corbyn und seine engsten Brexit-Berater in der Europafrage laviert und sich möglichst alle Optionen offen gehalten. Mit großer Mehrheit stimmte die Fraktion im Unterhaus dem Austritt nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrages zu. Das Programm zur vorgezogenen Unterhauswahl sah aber die größtmögliche Nähe zur EU vor. Bei einem Treffen des Schattenkabinetts vergangene Woche setzte sich offenbar der Brexit-Sprecher Keir Starmer durch; der gelernte Anwalt hatte schon im Dezember europäischen Diplomaten zu verstehen gegeben, seine Partei wolle die Zollunion aufrechterhalten.

Damit positioniert sich die Arbeiterpartei erstmals diametral anders als Mays Konservative. Diese wollen den harten Brexit samt Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion, wünschen sich aber ein "maßgeschneidertes Zollarrangement". Letzteres stößt in Brüssel ebenso auf Ablehnung wie Premierministerin Mays sogenannte Drei-Körbe-Idee: Während die Insel in bestimmten Fragen wie Arzneimittelkontrolle und Luftfahrt die EU-Bestimmungen weiterführen werde, gebe es einen Bereich, in dem britische und EU-Regeln "annähernd gleich" bleiben sollen, sowie eine dritte Gruppe von Vorschriften, in denen man sich zukünftig unterscheiden werde. "Pure Illusion", nannte EU-Ratspräsident Donald Tusk derlei Vorstellungen vergangene Woche in Brüssel.

May redet am Freitag

May will am Freitag mit einer eigenen Grundsatzrede mehr Klarheit vermitteln. Bei einer Kabinettsklausur waren sich vergangene Woche die Brexiteers wie Außenminister Boris Johnson und EU-freundliche Ressortschefs, angeführt von Schatzkanzler Philip Hammond, darin einig, man strebe "die beste Lösung für Großbritannien" an.

Ähnlich butterweiche Rhetorik hatte am Montag auch Labour-Boss Corbyn zu bieten. Weder sei die EU "die Quelle all unserer Probleme", noch werde der Austritt "all unsere Probleme lösen. Brexit ist das, was wir gemeinsam daraus machen." Der Parteilinke machte deutlich, dass er einen klaren Politikwechsel anstrebe, "innerhalb oder außerhalb der EU". Zu Labours Programm gehören Milliardeninvestitionen in die öffentliche Infrastruktur, die Verstaatlichung privatisierter Versorgungsunternehmen für Wasser, Gas und Elektrizität sowie massiver Ausbau des sozialen Wohnbaus.

Während der Industrieverband CBI Corbyns Zollunion-Idee begrüßte, reagierten konservative Kabinettsmitglieder, eingefleischte EU-Hasser in der Labour-Fraktion sowie die Brexit-Medien giftig auf den Kurswechsel. Das Massenblatt "Sun" stellte Corbyn auf der Titelseite als Ratte dar und nahm damit eine Äußerung des Labour-Veteranen Frank Field auf. "Daily Mail" sprach von einem "Verrat" an all jenen Labour-Wählern, die für den Brexit gestimmt hatten. Außenhandelsminister Liam Fox sprach von einem gebrochenen Versprechen: "Labours Politik wäre schlecht für Arbeitsplätze und Löhne."

Weil mindestens ein Dutzend Tory-Rebellen den Verbleib in einer Zollunion mit der EU unterstützen und somit der Minderheitsregierung eine Abstimmungsniederlage drohte, haben Mays parlamentarische Manager einschlägige Abstimmungen um mehrere Wochen verschoben. (Sebastian Borger aus London, 26.2.2018)