Es gibt Fragen, mit denen Robert Azzi wirklich nicht gerechnet hatte, als er vor Publikum über den Islam zu sprechen begann. Zum Beispiel, was man unter Taqiyya versteht. Manchmal antwortet er darauf mit einem Scherz. Er sei den Bloggern dankbar, erwidert er dann, "denn sie haben mir ein Wort geschenkt, von dem ich bis dahin nicht einmal wusste, dass es existiert".

Das Prinzip der Taqiyya, erklärt Azzi sachlich, gestatte es Muslimen, ihren Glauben zu verheimlichen, wenn ihnen des Glaubens wegen akute Gefahr drohe. Vor allem Schiiten, die sich in der Frühzeit der Religion als Minderheit unter Sunniten bisweilen verleugneten, machten davon Gebrauch. Islamophobe Blogger, schiebt er hinterher, strickten daraus einen Generalverdacht. Den Verdacht, dass Muslime grundsätzlich lügen, um ihre Umgebung in trügerischer Sicherheit zu wiegen.

Robert Azzi antwortet auf jede ihm gestellte Frage.
Foto: Frank Herrmann

Schrille Thesen im Netz

Komisch, die Frage? Abwegig? Auf komische, abwegige Fragen Antworten zu geben, das bezwecke er ja gerade mit seiner Tournee, sagt Azzi. Er weiß, zumindest ahnt er es, wie es kommt, dass ihn bei den meisten seiner Foren jemand auf die Taqiyya anspricht. Das gehe zurück auf zehn, höchstens zwölf Blog-Autoren, die schrille Thesen verbreiten, deren Wirkung er dann wie in einer Echokammer spürt.

Eine der Thesen hat Donald Trump aufgegriffen. Im Wahlkampf hat er sie oft erzählt, die Geschichte von General John Pershing, der vor rund hundert Jahren eine muslimische Revolte auf den Philippinen erstickte. Pershing habe 50 Gewehrkugeln in Schweineblut tauchen und damit 49 Aufständische erschießen lassen, während der einzige Überlebende den Rebellen zur Warnung berichten sollte, was sich zugetragen habe.

"25 Jahre lang gab es kein Problem mehr", setzte Trump triumphierend den Schlusspunkt. Und neulich wollte tatsächlich jemand von Azzi wissen, ob er nicht auch finde, dass man sich solcher Techniken bedienen solle, um radikale Islamisten im Zaum zu halten. Statt genervt abzuwinken, hat er darauf geduldig geantwortet. "Im Irrenhaus", sagt er, "kannst du nur überleben, wenn du den Irren permanent widersprichst."

Donald Trump spricht über die Geschichte des General Pershing.
CNN

Kirchen, Gemeindezentren, Bibliotheken

Robert Azzi, Sohn libanesischer Immigranten, geboren in New Hampshire, später Fotoreporter im Nahen Osten, längst zurück in seiner Heimat, gibt seit zwei Jahren Antworten auf Fragen zum Islam. In Kirchen, in Gemeindezentren, in Bibliotheken. "Ask a Muslim Anything" hat er sich als Titel einfallen lassen. Fragt einen Muslim, was ihr wollt.

Ein Samstagnachmittag in der Bibliothek von Peterborough, einer Kleinstadt mit weißen Kirchturmspitzen, die wirkt, als habe sie dem Maler Norman Rockwell für eine Neuengland-Idylle Pate gestanden. Die meisten im Saal sind einfach neugierig, ohne Ablehnung oder Zustimmung erkennen zu lassen. Ob es stimme, dass Homosexuellen im Iran oder in Saudi-Arabien die Todesstrafe droht, will einer wissen.

Im Libanon kämpfen Homosexuelle um ihre Rechte – trotz Drohungen durch religiöse Gruppierungen.
Foto: APA/AFP/JOSEPH EID

Homosexuellenrechte

Azzi erzählt von einem Cousin im Libanon, der die größte Schwuleninitiative des Landes leitet. Er erinnert an Matthew Shepard, einen homosexuellen Studenten, der von zwei Gleichaltrigen verprügelt, an einen Zaun gefesselt und schließlich angezündet wurde. Nicht in grauer Vorzeit, sondern 1998. In Wyoming. Natürlich dürfe niemand für seine sexuelle Veranlagung bestraft werden, sagt Azzi. "Aber in Amerika haben wir zweihundert Jahre gebraucht, um dahin zu gelangen, wo wir heute sind. Und von anderen erwarten wir, dass sie es in Windeseile nachholen."

Die Dinge aus der Perspektive der anderen zu sehen, das ist Azzis Anliegen. Wird er gefragt, warum die Iraner Amerika so abgrundtief hassen, dass sie dem Land in ihren Slogans den Tod wünschen, blendet er zurück ins Jahr 1953. "Wissen Sie, dass 1979 ohne 1953 nicht denkbar wäre?" Wer nicht verstehe, was Iraner empfanden, als ihr frei gewählter Ministerpräsident Mohammed Mossadegh mithilfe der CIA gestürzt wurde, der begreife nicht, was 1979 zur islamischen Revolution führte. "Es heißt immer nur, der Iran hasst uns. Aber könnten die Iraner dasselbe nicht auch über uns sagen?"

Bild nicht mehr verfügbar.

Viele fragen Azzi auch, warum US-Truppen im Irak stationiert sind.
Foto: REUTERS/Azad Lashkari

Reaktion auf Trump

Das mit den Fragestunden begann, als klar wurde, dass Donald Trumps Kandidatur fürs Weiße Haus kein Scherz war, sondern ernst gemeint. Im Jänner 2016 redete Azzi in einer Kirche in Salem, in der Stadt, die am Ende des 17. Jahrhunderts mit ihren Hexenprozessen für Aufsehen sorgte. Hinterher bestürmten ihn die Leute mit Fragen, die er seither immer wieder hört. Warum die islamische Geistlichkeit Terroranschläge nicht in aller Deutlichkeit verurteile. Ob die IS-Bande nicht doch für den Mainstream-Islam stehe. Wieso man im Irak einmarschiert sei, wo doch kaum einer wisse, was irakische Sunniten von irakischen Schiiten unterscheide. Nach dem Auftritt in Salem beschloss Azzi, regelmäßig den öffentlichen Diskurs zu suchen. Auch wegen Trump.

"Als er kandidierte, hat er auf meine Stirn einen Halbmond gemalt und auf meinen Rücken eine Zielscheibe", spitzt er es zu. Nie zuvor, nicht mal nach dem 11. September 2001, hätten sich Amerikas Muslime derart unwohl gefühlt. Vorangegangen war die Hetzkampagne gegen Barack Obama, die von Trump übernommene Behauptung der "Birther"-Bewegung, wonach der US-Präsident nicht auf amerikanischem Boden geboren worden sei und daher gar nicht im Oval Office sitzen dürfe.

Die "Birther"-Bewegung versuchte Ex-Präsidenten Barack Obama zu delegitimisieren, indem sie das Gerücht streute, Obama sei in Kenia zur Welt gekommen.
Foto: APA/AFP/CARL DE SOUZA

Obama als Fremder

Obama, hat Azzi beobachtet, sollte als Fremder abgestempelt werden. Nur war das N-Wort längst tabu, keiner traute sich mehr, vom "Negro" zu sprechen. "Also erklärte man ihn zum Muslim aus Kenia, und damit war er der Andere." Azzi hat das Motiv aufgegriffen. Tritt er auf eine Bühne, hat er vorher an eine Tafel geschrieben, dass er der Andere ist.

Dabei spricht er das Englisch der Gegend um Boston. Im Wahlkampf 1968 half er dem Demokraten Eugene McCarthy, der sich als Gegner des Vietnamkriegs um die Präsidentschaft bewarb. Danach flog er nach Beirut, um als Fotoreporter tätig zu sein. Er arbeitete für große Namen: Newsweek, Time, National Geographic. Oft fuhr er nach Saudi-Arabien, schloss Freundschaften mit Saudis, die er als liberaler charakterisiert, als man sich das heutzutage vorstellen könne. Mitte der Siebziger konvertierte er zum Islam.

Bild nicht mehr verfügbar.

Amerikas Muslime fühlen sich unter Präsident Donald Trump unwohl – noch unwohler als nach den Anschlägen 2001.
Foto: Reuters / AMR ALFIKY

Gebetsräume in Fabriken

Die Wurzeln seiner Eltern liegen im Libanon. Sein Vater, ein maronitischer Christ, kam als Kind in die Neue Welt, seine Mutter wurde schon dort geboren. In Manchester in New Hampshire gründeten sie eine Familie. In den Textilfabriken der Stadt, erzählt Azzi, habe es damals eigene Gebetsräume für Muslime gegeben. Ziemlich selbstverständlich und nun vergessen.

Etliche seiner Landsleute glaubten, der Islam sei erst am 11. September 2001 nach Amerika gekommen, mit den Attentaten über die USA hergefallen. Was mit den Sklavenschiffen aus Afrika sei, entgegnet Azzi, wenn er damit konfrontiert wird. Ob nicht auch Muslime auf den Schiffen in Ketten gelegen hätten? (Frank Herrmann aus Peterborough, 27.2.2018)