Vom OP-Saal in die heilige Messe

Wenn Gucci-Designer Alessandro Michele eine neue Kollektion zeigt, dann schauen alle ganz genau hin. Michele ist seit rund drei Jahren so etwas wie der Modepapst der Mailänder Modewoche. Diesmal gab er den Dr. Frankenstein: die opulente Gucci-Welt, wie immer ein irrer Zitatemix. Für den Herbst ließ der Designer Cyborgs mit Sturmhauben und Talaren auferstehen. Sie wurden in einem zahnpastagrünen OP-Saal im Headquarter serviert. Dem standen die anderen in nichts nach. Bei Prada wurde die Show-Location gewechselt. Statt die Kollektion wie sonst im Headquarter zu zeigen, fuhr die Modemeute raus aus dem Zentrum in die Fondazione Prada und kletterte fünf Stockwerke die Treppen hinauf (der Lift machte Probleme), um die Show im Betonturm von Rem Koolhaas über den Lichtern der Großstadt zu erleben. Auch Dolce & Gabbana ließen die Muskeln spielen. Ihr Show-Aufbau? Lehnte sich an ein barockes Gebetshaus in Palermo an, nach endlosen Chorgesängen (ausgerechnet dem digitalversessenen Label spielte das WLAN einen Streich) ließen die Designer eine Drohnenarmada mit angehängten Handtaschen über den Laufsteg schweben. Keine Frage: Dolce & Gabbana wissen, wie das Modebusiness funktioniert.

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Der OP-Saal bei Gucci

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Bei Dolce & Gabbana flogen erst die Drohnen aus einem barocken Kirchenportal, ...

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... zum Schluss dann Model-Endspurt bei Dolce und Gabbana.

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Eye-Candy für Instagram

Zu Beginn der Show ging ein langgezogenes Ohhhh durch die Reihen: Model Gigi Hadid mit einem Hundewelpen auf dem Arm, ach wie niedlich aber auch! Bei dem einen Ohhh sollte es nicht bleiben. Das Unternehmen Tod's ließ weitere Knautschgesichter über den Laufsteg tragen. Kein Einzelfall während der Mailänder Modewoche. Um Cat-Content kam kaum ein Unternehmen herum: Die Kollektionen wurden Social-Media-tauglich aufgehübscht. Im Showroom von Gucci zum Beispiel konnte ein kleiner Babydrache unter einer Glasglocke bewundert werden, auch er Bestandteil der neuesten Kollektion. Bei Marni marschierten Oversize-Mäntel, bedruckt mit Katzenaugen, über den Laufsteg, aus den Boxen tönten unzählige Miaus. All die süßen Tiere verfehlten ihre Wirkung nicht: Die Handys der Schauenbesucher glühten. Dabei hätten die Kollektionen das Instagram-Futter nicht unbedingt nötig gehabt. Tod's zeigte luxuriöse Ledermäntel und Marni kastige Kleider in Yves-Klein-Blau und Flaschengrün. Was braucht's da mehr?

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Babydrache bei Gucci

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Kätzchen bei Marni

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Das neue Power-Dressing

Die Moderedakteure und Streetstyle-Stars wissen es natürlich schon lange: In diesem Jahr müssen die Frauen stark sein. Das dürfte selbst den Schauspielerinnen in Hollywood gefallen. Sie haben zuletzt den tief dekolletierten Roben auf dem roten Teppich den Kampf angesagt. Für sie und all die anderen gilt: Tiefe Einblicke sind von gestern, jetzt werden die Schultern ausgefahren. Die Modeunternehmen in Mailand gingen schon einmal mit gutem Beispiel voran. Sie zeigten, wie Mäntel und Blazer mit breiten Polstern aussehen können: Bei Fendi (siehe Bild) wurden weiße Blusen mit Schulterpolstern verstärkt, der MSGM-Designer Massimo Giorgetti verordnete den Frauen kastige Jeansblazer, wie sie zuletzt in den 1980ern getragen wurden, bei Emporio Armani stemmten einige Models (in langen Mänteln und Cowboyboots!) die Hände selbstbewusst in die Hüften, selbst die elegante Damen- und Herrenkollektion der Designer Paul Andrew und Guillaume Meilland kam bei Salvatore Ferragamo nicht drum herum, hier und da die Schulter zu akzentuieren.

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Hände in den Hüften bei Emporio Armani

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Neuanfänge in Mailand

Wenn ein Österreicher in Mailand Karriere macht: Der Designer Arthur Arbesser zeigte während der Modewoche, dass er einen guten Lauf hat. Erst ließ er in seiner eigenen Show (der sechsten mittlerweile) flächige Blumenprints auf überarbeitete Backhausenstoffe und Wiener-Werkstätte-Muster treffen (unter den Models die Österreicherin Cordula Reyer), dann zeigte Arbesser wenige Tage später mit seiner Kollektion für Fay, dass er sich auch auf die Reanimierung klassischer Wachsjacken versteht.

Beim Label Jil Sander schaute das Fachpublikum ebenfalls genauer hin. Luke und Lucie Meier, er Spezialist für Streetwear (er designte für Supreme), sie für Luxusmode (letzte Station Dior), zeigten ihre zweite Show in Mailand. Zu den fließenden, japanisch angehauchten Entwürfen gesellten sich diesmal Blumenmuster in klarem Blau und Rot (siehe Bild oben links). Immerhin fiel hier die Verbeugung vor den Bedürfnissen von Social Media knapp aus. Null Cat-Content, dafür trugen die Models Kissen und große Taschen unter den Armen.

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Arthur Arbesser designte seine erste Kollektion für Fay

Foto: Fay

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Ein Hoch auf die 1990er-Jahre!

Um die aktuelle Mode der Mailander Modewoche zu verstehen, lohnt sich ein Rundgang durch die Modeausstellung "Italiana" direkt neben dem Mailänder Dom. Die Entwürfe italienischer Designer zwischen 1971 und 2001 bescherten zahlreiche Déjà-vus. Da wäre zum Beispiel das Nylonkleid aus den 1990er-Jahren mit den breiten Reißverschlüssen, das da auf einem Ausstellungspodest aufgebaut war: Der schwarze Entwurf sah wie die maßgeschneiderte Vorlage zur aktuellen Prada-Kollektion aus. Die Designerin führte in ihrer Schau vor: Die Funktionsmaterialien der 1990er sind wieder da – und wie! Kastige Nylon-Mäntel und -Westen wurden über Tüllkleider geschichtet, das rasante Flammenmotiv (aus der Autokollektion von Prada) fand sich an High-Heels wieder, dazu klemmten die Models gepolsterte Handtaschen in Neonfarben in die Hände. Unter den Models: Amber Valletta. Die mittlerweile 44-Jährige hatte in den 1990er-Jahren für Prada-Kampagnen stillgestanden. Mit ihrem modischen Bekenntnis stand Miuccia Prada nicht allein da. Donatella Versace, die in der letzten Saison die Supermodels der 1990er-Jahre aufleben lassen hat, stapelte Korsagenkleider über T-Shirts mit Versace-Schriftzug. Und die schrille Vogue-Redakteurin Anna della Russo? Sie feierte unter großem Tamtam die Versteigerung ihres illustren Kleiderschranks.

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Versace-Schriftzüge unter der Korsage

(feld, 27.2.2018)


Weiterlesen:

Modewoche Mailand, Teil 1: Invasion der Cyborgs

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