Den Weg nach Vorarlberg, ätzte ein Freund, hätte ich mir sparen können, schließlich könne man ja auch in Wien Langlaufen: Acht Loipen gebe es hier. Und vergangenen Mittwoch habe Wiens Sportstadtrat Andreas Mailath-Pokorny höchstselbst die Saison für eröffnet erklärt, weil Wien doch Wintersportstadt sei. Klingt großartig, und ist es auch. Wenn man a) langlaufen kann und b) die dafür nötige Ausrüstung besitzt. Und außerdem c) das Kleingedruckte nicht liest.

Punkt a) ist rasch beantwortet: Ich habe vom Langlaufen keinen blassen Schimmer, in keiner Spielart, denn ich bin noch nie auf Langlaufskiern gestanden. Okay: 2009 machte ich in Tirol für eine Biathlonreportage eine 150-Meter-Schnupper-Strafrunde, bevor ich danebenschoss. Das fällt unter "Kann ich nicht".

Foto: Thomas Rottenberg

Punkt b) bedingt Punkt a), denn wer auf Wiens Loipen das Langlaufen ausprobieren will, findet dort, wo es ginge, keinen Materialverleih.

Aus gutem Grund, denn, wir kommen zu c), Wiens Loipen existieren de facto nur theoretisch: Sie werden gespurt, sobald 20 Zentimeter Schnee liegen, und das kommt in Wien fast nie vor: Das Foto oben stammt vom 23. Februar 2013. Auch heuer blieben die Praterloipe (acht Kilometer) und die auf der Donauinsel (zwölf Kilometer) "gesperrt" – obwohl da nichts war, was man hätte sperren können. Auch auf Cobenzl (vier Kilometer), Wienerberg (2,5 Kilometer) und Co dauert das Glück selten lang: durchschnittlich zwei Tage. Heuer könnte die Kältewelle den Schnitt heben.

Nebenbei: Die mit dem Spuren beauftragte Firma erhält laut Mailaths Büro jährlich 40.000 Euro – auch wenn es nicht schneit. Das ist nachvollziehbar: Der monatelange Standby-Modus für den seltenen Fall von Schneefall bindet Mensch und Material. Dennoch: Wer nicht Pointen, sondern Schnee sucht, fährt anderswo hin.

Foto: Thomas Rottenberg

Zugegeben: Zwischen Wien und dem Arlberg gibt es etliche Langlaufloipen. Aber da ich den Arlberg – auch weil er mit dem Zug gut erreichbar ist – liebe, widersprach ich nicht, als Markus Kegele meinte: "Langlaufen kannst bei uns auch. Komm nach Stuben." Kegele gehört in dem Ort, in dem der von den Nazis verjagte Skipionier Hannes Schneider das Fundament des modernen Skilaufes legte, das Hotel Mondschein. Ich kenne ihn seit Jahren – auch als Vor- und Querdenker zu touristischen Themen. Der lokale Tourismusverband organisierte über die örtliche Skischule einen Instruktor und über der lokalen Skiverleih die Leihausrüstung. Das fände (und findet) in jedem anderen Skiort nach den gleichen Spielregeln statt, auch wenn derlei nicht nur von den meisten Bloggern, sondern auch von "seriösen" Journalisten und Medien entweder unerwähnt bleibt oder höchstens verklausuliert im Kleingedruckten erwähnt wird. So viel zu Compliance und Setting.

Foto: Thomas Rottenberg

Als Skifahrer, erst recht als Offpisten-Freak, bin ich gewohnt, im Schnee Tonnen an Material herumzuschleppen: Schuhe, Skier, Helm, Felle, Notfallausrüstung, Airbag. Das wiegt. Beim Langlaufen reichen zwei Soletti, zwei Essstäbchen – und Schuhe, die gerade doppelt so viel wiegen wie Laufschuhe. Anziehen sollte man nicht zu viel, schließlich ist man ja konstant in Bewegung, erreicht aber nie jene Geschwindigkeiten, bei denen beim Skifahren der Fahrtwind einfriert: Baselayer und eine leichte Windstopperjacke tun es meist. Eine dünne Fleeceschicht hilft dabei, beim Stehen-und-Zuhören nicht auszukühlen: Winterlaufzeug genügt in der Regel für den Anfang, später braucht man meist weniger.

Foto: Thomas Rottenberg

Langlaufen ist keine Geheimwissenschaft, das Meiste erklärt sich von selbst. "Learning by einfahring" beschränkt sich auf Kleinigkeiten. Aber aus dem Alter, in dem ich jeden Fehler unbedingt selbst machen muss, bin ich raus. Darum war ich froh, dass Stefan Winder mit mir das "Absolute Beginner"- Einmaleins für den DAU, den "dümmsten anzunehmenden User", durchging: Vom Einfädeln in die Bindung über das richtige Stehen auf den wider Erwarten wackligen Skiern hin zum Nicht-zu-kurz-und-nicht-zu-weit-Setzen des Schrittes. Alles "eh klar" – vorausgesetzt, dass man es hört oder gezeigt bekommt.

Foto: Thomas Rottenberg

Elegant sieht man da eher nicht aus. Schon gar nicht im Stehen. Wenn 15 Meter weiter eine "lustige" Gruppe Tiefschneefahrer beim zweiten Bier sitzt, braucht man ein bisserl Selbstbewusstsein, um wirklich in die tiefe Hocke zu gehen: Da man sich nicht weiterbewegt, wird man auf den schmalen Latten nicht bloß wackeln, sondern mit ziemlicher Sicherheit auch umkippen. "Eine der wenigen Möglichkeiten, sich beim Langlaufen zu verletzen", erklärt Stefan, "ist es, bei der Abfahrt umzukippen – und den Schwerpunkt zu hoch zu haben. Das geht auf Hüfte, Schulter oder Handgelenke. Drum: Geh in die Knie, das verkürzt den Hebel." Die generelle Verletzungsgefahr? Enden wollend: umknicken und umknöcheln, deppert verstolpern – eh klar. Aber sonst? Einer der Hauptunfallgründe des alpinen Skifahrens fällt weg: Raserunfälle. Und: Sturzbetrunken wäre man auf der Loipe für andere nicht sehr gefährlich. Wer im Suff die Balance halten könnte, erzielte mangels Gefälle und "Bewaffnung" wohl kaum jene verheerenden Einschläge, die unkontrolliert die Piste hinunterrasende Skifahrer haben.

Foto: Thomas Rottenberg

Worauf ich nicht von selbst gekommen wäre: dass Hinknien Stabilität und Kontrolle erhöht – und die Stöcke dann gut bremsen. Überhaupt die Stöcke: "Du machst den Einserfehler und setzt den Stock zu weit vorne. Die Hand soll nie hinter der Spitze sein: Wenn du mit der Hand über den Scheitelpunkt musst, kostet das Kraft und Schwung." Das sind die Kleinigkeiten, die einem selbst erst auffallen, wenn sie einem gesagt werden. Dann wird plötzlich aus Ruckeln Gleiten: Es fühlt sich an wie Langlaufen. Glaube ich jedenfalls: Ich habe ja keine Ahnung.

Foto: Thomas Rottenberg

Der Skilehrer lacht: "Für den Anfang okay. Versuchen wir eine Runde." Die Loipe in Stuben ist kurz und flach. Für ein erstes Schnuppern genügt das. "Langlaufen", erzählt Stefan, "wird immer wichtiger. Es ist eine Nische, aber sie wächst." Auch am Arlberg. Und nicht nur bei den Alten (statistisch gehen die Deutschen – und wohl auch die Österreicher – mit 65 in Skipension, auf Winterurlaub fahren sie aber weiter): "Meine Freundin fährt nicht Ski, wir gehen deshalb langlaufen", erzählt der 34-Jährige. Die Dame ist Kärntnerin. Aber das bedeutet nichts mehr: 62 Prozent der Österreich gehen mittlerweile nie Ski fahren. In Skigebieten sieht man das nicht: Es sind ja nur die da, die da sind.

Einer der Gründe: Kosten. Eine Liftkarte kostet 53 Euro. Skimiete: ab 29 Euro. Schuhe: 13 Euro. Helm: acht Euro. Für einen Tag, wohlgemerkt. Das Leihlanglaufenset (Skier, Stöcke, Schuhe) kommt auf 14 Euro. Loipenbenutzung: gratis. Überall am Arlberg. Loipengebühren, die andere Destinationen verlangen, sind im Vergleich zu Alpinskifahrkosten nicht der Rede wert.

Foto: Thomas Rottenberg

Freilich sind Kosten und Pistenstress nicht die Hauptgründe dafür, dass immer mehr meiner laufenden Bekannten im Winter auf Langlaufskier setzen: "Wenn laufen im Namen steht, muss es super sein", flachst ein Lauffreund – und schwärmt vom Gefühl von "beinahe fliegen", von der Freiheit und der nur vom eigenen Atemgeräusch gestörten Stille im Wald. Von Leichtigkeit und Schwerelosigkeit – und dem meditativen Rhythmus im Gleichspiel von Arm- und Beinbewegung. Ich verstehe ihn ab den ersten Metern: Es ist fließendes Laufen – ohne den Impact des Aufsetzens. Das schont die Gelenke. Und noch etwas: Langlaufen ist wie Laufen: ein offener, demokratischer Sport. Jeder kann es in seiner Façon tun – und trotzdem ist es immer Sport, auch weil sich Intensität, Tempo und Dauer frei wählen lassen. Weil es, wenn man es nicht drauf anlegt, keine plötzlichen, unerwarteten Spitzen- oder durch Höhenwechsel bedingten Kreislaufbelastungen gibt. Weil der Bewegungsablauf gleichmäßig und rund ist – wenn man keine Vorbelastungen oder Krankheiten spazieren trägt, ist Langlaufen gesund und ungefährlich. Und wenn man nicht ganz patschert ist, ist es ab dem ersten Augenblick wunderschön: Ein Instant-Erfolgserlebnis. Freilich: Ob man daraus dann etwas Hochtechnisches macht, ist jedem selbst überlassen.

Foto: Thomas Rottenberg

Denn wie beim Laufen gibt es auch hier eine sehr lebendige, rapide wachsende Hobbysportler-Wettkampfszene. Wenig überraschend finden sich dort etliche Amateure, die meist auch versierte Läufer sind. Läufer wie Thomas Madreiter etwa: Der Planungsdirektor der Stadt Wien ist ein erfahrener (und schneller) Marathonläufer. Seine sportlichen Wurzeln liegen auf schmalen Brettern. Madreiter ist längst auch Langlaufmarathon-erprobt: "Eingestiegen bin ich mit circa sechs Jahren. Ich habe es gehasst, da ich die Technik nicht im Ansatz beherrschte." Auch das Material war problematisch: "Skating war noch nicht erfunden, und zusätzlich war die Steigwachsfrage zu lösen: Versuch dir vorzustellen, mit Skiern zu laufen, bei denen unter dem Schuh 20-Zentimeter-Schneekeile kleben. Gleiten? Fehlanzeige: Es war zum Heulen." Aber Aufgeben keine Option: "Ich habe es wie Gehen oder freihändig Radfahren gelernt, indem ich es wieder und wieder getan habe. Und bereits als Kind begann ich Langlaufen dann zu lieben." Laufen, erzählt Wiens oberster Stadtplaner, kam später. Viel später: "Mit meiner Standortverlagerung von Radstadt nach Wien vor 30 Jahren ist das Laufen in den Vordergrund getreten. Laufen ist schön und liefert tolle Erlebnisse. Langlaufen ist aber für mich nach wie vor die klare Nummer eins. Es beansprucht übrigens auch den Oberkörper – bei vielen Läufern eine Baustelle."

Foto: Thomas Rottenberg

Letzteres merkte ich sehr rasch. Langlaufen spricht Oberkörper, Schultern und Arme ganz anders an als Schwimmen oder Klettern. Das spürte ich binnen weniger Minuten: Ich war froh, dass ich mich nicht dazu überreden lassen hatte, meine Premiere auf einer der langen Loipen im Hinterland des Arlberges zu begehen. Dass man dort – etwa auf den malerischen Routen von Zug in Richtung Älpele – traumhafte Lauferlebnisse findet, sah ich aber tags darauf mit eigenen Augen, wenn auch auf den "falschen" Skiern: Wir waren, eh klar, auch Ski fahren. Fernab aller Pisten. Aus dem "Backcountry", wir kamen vom 2.652 Meter hohen "Mehlsack", geht es in der Regel über Forst- und Ziehwege zurück ins reguläre Skigebiet. Oder eben über die Loipe: Und als wird da – mit vollem Gepäck – auf der Skaterspur Richtung Lech unterwegs waren, verstand ich, was Stefan gemeint hatte, als er fragte: "Gehst du Skitouren? Ja? Das ist doch schon die halbe Miete!" Mag sein. Nur: Die andere, die neue Hälfte kann auch was. Und zwar verdammt viel. (Thomas Rottenberg, 28.2.2018)

Mehr Lauf- und Trainingsgeschichten gibt es auf www.derrottenberg.com

Hinweis im Sinne der redaktionellen Richtlinien: Der Aufenthalt in Stuben erfolgte auf Einladung von Stuben und dem Hotel Mondschein.


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Foto: Alexandra Madreiter