Wien – Der Amtstitel Hofrat verrät, dass Norbert Gerstberger, Vorsitzender des Geschworenengerichts im Verfahren gegen Iulian Z., über eine gewisse Berufserfahrung und Abgeklärtheit verfügt. Der 20-jährige Angeklagte schafft es aber mit seinen Aussagen ohne große Mühe, dass Gerstberger um seine Contenance ringen muss und Beisitzer Daniel Rechenmacher bei einer Gelegenheit unbewusst die linke Hand so verkrampft, als würde er Z. am liebsten am Kragen packen und schütteln.

Es ist ein für Wien außergewöhnliches Verbrechen, das dem Unbescholtenen vorgeworfen wird. In der Nacht des 12. Oktobers 2016 soll Z. mit drei Mittätern in Wien-Simmering zunächst das Auto des 53-jährigen Gerald K. gestoppt haben. Anschließend soll das Opfer zunächst in seinem Auto schwer verprügelt, aus dem Fahrzeug gezerrt und auf der Straße weiter mit Schlägen und Tritten malträtiert worden sein, bis der Mann bewusstlos war. Die Bande fesselte ihn und platzierte ihn auf der Rückbank seines Wagens, fuhr in eine Seitengasse, lud ihn aus und verprügelte ihn nochmals, so die Anklägerin.

14 Wochen Krankenstand

14 Wochen war der Mann im Krankenstand, mehrere Gesichtsknochen waren gebrochen, im Brustbereich erlitt er beidseitige Serienrippenbrüche, auch ein Lendenwirbel war gebrochen. Die Angriffe waren derart heftig, dass der medizinische Gutachter zum Schluss kam, dass man davon sterben hätte können, daher ist ein Mordversuch angeklagt. Zusätzlich leidet das Opfer bis heute unter psychischen Problemen.

Dass der Prozess mühsam wird, zeigt sich bereits bei der obligatorischen Einstiegsfrage Gerstbergers an Z., ob er sich schuldig, nicht oder teilweise schuldig bekenne. "Die drei haben auf ihn eingeschlagen, ich war im Auto!", lässt der rumänische Angeklagte übersetzen. "Das können Sie nachher gleich erzählen, jetzt geht es darum, ob Sie sich schuldig, nicht schuldig oder teilweise schuldig bekennen." – "Ich möchte um Verzeihung bitten, aber die drei haben geschlagen ..." – "Es kann ja nicht so schwer sein, eine der drei Alternativen auszuwählen", unterbricht der Vorsitzende. "Ich fühle mich schuldig, ich war ja dabei", lautet schließlich die Antwort.

Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft

Zunächst erzählt er aber seine Vorgeschichte. Geboren und aufgewachsen ist er in Rumänien, im Alter von zehn Jahren kam er mit seinen Eltern nach Italien, wo er zuletzt als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft gearbeitet hat. In den Ferien verbrachte die Familie immer wieder mehrere Wochen in Rumänien, wo Z. auch die Frau kennengelernt habe, mit der er zwei kleine Kinder hat.

Im September oder Oktober 2016 habe Dragan P. ihn eingeladen, nach Österreich zu kommen, es gebe Arbeit auf einer Baustelle, sagt der Angeklagte. "Woher kennen Sie den?", will Gerstberger wissen. "Aus Rumänien." – "Ich dachte, Ihr Lebensmittelpunkt war in Italien?" – "Aus Facebook." Interessanterweise ist P. der Cousin des Angeklagten.

Z. kam nach Wien, Arbeit habe es keine gegeben. "Warum sind Sie dann nicht zurück nach Italien zu Ihrer Familie gefahren?", wundert sich der Vorsitzende. "Dragan hat gesagt, ich soll noch ein bis zwei Tage bleiben, um was zu machen." Den Verlauf der Tatnacht beschreibt der Angeklagte so: Man sei zu viert ziellos in Dragans Auto durch Wien gekurvt, in Simmering sei man von einem Opel Astra überholt worden.

"Dieser Opel geht nach Serbien"

"Das interessiert mich jetzt persönlich, ich bin auch einmal einen Opel Astra gefahren", verrät Gerstberger. "Wie kommt man jetzt auf die Idee eines Überfalls?" – "Dragan hat gesagt, dass dieser Opel nach Serbien geht." – "Und was haben Sie sich gedacht, wie das passieren soll?" – "Indem er gestohlen wird." – "Stehlen ist nicht einfach, wenn der Lenker gerade damit herumfährt. Meinen Sie rauben?" – "Ja." – "Und wurde besprochen, wie man das macht?" – "Nein."

Bei der Polizei hatte Z. noch zugegeben, der Raub sei schon vorher abgemacht gewesen, und er habe das Opfer auch einmal gestoßen. Nun gibt er sich als völliges Unschuldslamm. Es seien nur die anderen gewesen, er selbst sei im Auto geblieben, versucht der Angeklagte es zu Beginn. Kurz darauf sagt er, einer des Trios habe ihn geschlagen, daher habe er den Sitzplatz gewechselt, sei also doch kurz draußen gewesen.

Er will auch nach dem Überfall, als er mit Dragan im ursprünglichen Auto dem geraubten hinterherfuhr, kein Wort über die für ihn angeblich völlig überraschenden Vorfälle verloren haben. "Ich habe nur beim zweiten Stopp gefragt, was sie machen, da hat Dragan gesagt, ich soll das Maul halten." Im Endeffekt bekennt er sich also nur dazu schuldig, zufällig vor Ort gewesen und aus Angst vor den anderen nicht eingegriffen zu haben.

Geraubtes Auto vor Wohnung des Angeklagten

"Und was machen Sie dann mit dem Opel, wenn er vor Ihrer Wohnung in Rumänien steht?", fragt ihn die Staatsanwältin. Dort wurde das Fahrzeug nämlich gefunden. Das habe ein Mittäter dort abgestellt, lautet Z.s Erklärung. "Ist das nicht merkwürdig?", mischt sich Gerstberger wieder ein. "Da soll das Auto nach Serbien gebracht werden, und dann endet es vor Ihrem Haus in Rumänien?" – "Wir wussten den Weg nach Serbien nicht." Hier ist der Moment, wo Beisitzer Rechenmacher zu krampfen beginnt.

Und überhaupt: Er habe das geraubte Vehikel ja gar nicht gelenkt, sondern nur als Mitfahrgelegenheit benutzt, beteuert der Angeklagte. "Das wird ja immer grotesker!", platzt nun Gerstberger der Kragen.

Das ungefähr 1,60 große Opfer kann sich eigentlich nur noch erinnern, in dieser Nacht auf dem Weg zur Arbeit gewesen zu sein. Er sei bei einem langsam auf der zweiten Spur fahrenden Golf vorbeigefahren, nachdem er angehalten hatte, seien von beiden Seiten Männer in sein Auto gestiegen und hätten ihn verprügelt. Seine Erinnerung setzt erst wieder ein, als er im Spital liegt.

Liveschaltung nach Rumänien

Nach der Aussage des Opfers wird live nach Rumänien geschaltet – zur Videoeinvernahme der anderen drei Verdächtigen. Die sitzen dort nämlich wegen eines anderen Raubes in Strafhaft. Die österreichische Staatsanwaltschaft will auch ihre Auslieferung: Nicht nur wegen des aktuell angeklagten Deliktes, die drei sollen unter anderem – ohne Z. – nur vier Tage zuvor in Korneuburg mit derselben Masche einen alten Mercedes geraubt haben.

Dem Geschworenengericht erzählen alle drei aber, im aktuellen Fall habe es keine Raubabsicht gegeben. Der Opel-Fahrer habe durch sein Fahrverhalten und seine Gesten provoziert und sollte nur zur Rede gestellt werden, die Situation sei dann eskaliert, und das Auto habe man nur aus Fluchtgründen mitgenommen. Wer aber genau wann was gemacht hat, bleibt offen – alle drei Zeugen widersprechen sich, nur einer gibt zu, alle vier seien in den Überfall involviert gewesen.

Dragan P., angeblich Kopf der Bande, weist den Vorwurf des geplanten Raubes empört zurück. "Wenn, dann hätte ich ein Auto gestohlen, dass 100.000 Euro wert ist, nicht eines um 500 Euro!" – "Der Astra ist aber ein gutes Auto", verteidigt Gerstberger seine persönliche Präferenz, ehe er vertagt. Ein Urteil soll am Mittwoch fallen. (Michael Möseneder, 27.2.2018)