Orwell: Ignorance is Strength
Orwell: Ignorance is Strength
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Orwell: Ignorance is Strength
Orwell: Ignorance is Strength

Ein Kommentar unter einem Zeitungsartikel hier, eine Wortspende auf Social Media da, ein Profil bei einer Dating-Plattform und ein, zwei abgefangene E-Mails: Wie sich wenige, für sich allein harmlose digitale Spuren zu aussagekräftigen Nutzerprofilen verdichten lassen, die wiederum in den Händen staatlicher Überwacher drastische Folgen haben können, hat vor eineinhalb Jahren das Indiespiel "Orwell: Keeping an Eye on You" gezeigt.

Der Politthriller eines Hamburger Studios versetzte im Herbst 2016 Spielerinnen und Spieler in die Rolle von Big Brother: Als Mitarbeiter einer staatlichen Überwachungsbehörde eines dystopischen fiktiven Staates war es ihre Aufgabe, zu Verdächtigen Informationsschnipsel aus dem – vom Spiel vereinfacht nachgestellten – Internet zu verknüpfen und dieser Informationssammlung Taten folgen zu lassen.

Mit "Orwell: Ignorance is Strength" (Windows, Mac, Linux, 9,99 Euro) ist soeben ein Nachfolger des kritisch und kommerziell erfolgreichen ersten Teils erschienen. Die Macher sprechen allerdings nicht von einer klassischen "Fortsetzung", sondern von einer "zweiten Staffel" und auch der Veröffentlichungsmodus erinnert erneut ans TV-Serienformat: Bislang sind zwei "Kapitel" spielbar, ein weiteres, bereits im Kaufpreis inkludiertes Kapitel soll Ende März folgen und die Thrillerhandlung zum Abschluss bringen.

Spielmechanisch bleibt auch die zweite "Staffel" "Orwell" ihrem originellen Konzept treu: Als Staatsdiener haben Spielerinnen und Spieler eine simulierte Desktopoberfläche mit Internetbrowser und diversen Datenbank-Tools als Arbeitsplatz, die Sammlung, Bewertung und Verwendung von Informationsschnipseln sorgt in Kommunikation mit einer Vorgesetzten für das Vorantreiben der Handlung, die durch gut vertonte Audio-Einspielungen gewohnt dynamisch und mit beeindruckendem Spannungsbogen inszeniert ist.

"Wahrheitsanpassung" als Job

Lag in "Staffel 1" der Fokus eindeutig auf dem Thema Überwachung und verschwindender Privatsphäre, nimmt sich das kleine Entwicklerteam nun eines weiteren hochbrisanten politischen Themas an: Fake News, also die gezielte Einsetzung manipulierter Nachrichten, sind das Thema von "Ignorance is Strength", das sich selbst als "Truth Adjustment Thriller" bezeichnet. Neben der bereits aus Teil 1 bekannten Informationssammlung haben Spielerinnen und Spieler nun auch die Aufgabe, diese Informationen als Waffe im öffentlichen Diskurs einzusetzen – etwa um Zielpersonen gezielt zu schädigen oder unglaubwürdig zu machen.

Überwachungsstaat, "Fake News", Terror, Flüchtlinge: Die Thriller-Handlung von "Orwell: Ignorance is Strength" nimmt ausdrücklich Bezug auf die reale Welt, vermeidet aber penibel allzu offensichtliche Parallelen. "Wir haben uns zwar viel durch reale Ereignisse inspirieren lassen, wollten aber trotzdem im Orwell-Universum bleiben und somit auch bei der fiktiven Welt um ‘die Nation’ und ihre Nachbarländer. Unsere künstlerische Freiheit wäre auch stark eingeschränkt, wenn es um reale Ereignisse geht, die ja auch nicht irreführend dargestellt werden sollten", bestätigt Mel Taylor vom Hamburger Entwicklerstudio Osmotic.

Politische Aufklärung per Videospiel?

Selbst an den Stellschrauben komplexer politischer und gesellschaftlicher Mechanismen zu drehen, Zusammenhänge direkt und mitsamt ihrer Auswirkungen erfahrbar zu machen: Das interaktive Medium Videospiele hätte nach Ansicht vieler gewaltiges Potenzial, nachvollziehbarer zu informieren und aufzuklären als andere Medien, die "nur" passiv konsumiert werden. Seit Jahren versuchen sich "Serious Games" daran, komplexe Themen in Spielform zu verpacken. "Orwell: Keeping an Eye on You" wurde 2017 mit dem Deutschen Computerspielpreis als "Bestes Serious Game" ausgezeichnet. Tatsächlich hätten sich auch schon einige Schulen an das Studio gewandt, die das Spiel im Unterricht verwenden wollten.

"Wir selbst haben ‘Orwell’ immer weniger als Serious Game, sondern vielmehr als künstlerische Reflexion aktueller Ereignisse gesehen. Insofern wollen wir durchaus unsere Spieler zum Nachdenken bringen, aber ohne den Eindruck zu erwecken, mit erhobenem Zeigefinger daherzukommen", so Mel Taylor. "'Orwell' ist kein Lernspiel oder explizit zur politischen Aufklärung gedacht. Allerdings beschäftigen wir uns mit realen Ereignissen und Themen, die wir für unsere Gesellschaft als sehr wichtig erachten. Insofern ist es vielleicht auch an einer Schwelle zwischen 'bloßem' Unterhaltungsprodukt und Serious Game."

Trailer zu "Orwell: Ignorance is Strength".
GameSpot Trailers

Gesellschaftskritischer Politthriller

Die Mischung überzeugt: Auch "Ignorance is Strength" gelingt wie seinem Vorgänger die Gratwanderung zwischen spannend inszenierter Thriller-Unterhaltung und Denkanstoß zu dauerrelevanten gesellschaftskritischen Themen wie Überwachung und Medienmanipulation. Das erste Kapitel von "Ignorance is Strength" führt auch Neueinsteiger sanft ins Spiel; der neue spielmechanische Fokus auf Bekämpfung, aber auch eigene Verbreitung von "Fake News" macht sich erst im zweiten Kapitel so richtig bemerkbar und verspricht im letzten Kapitel ein spannendes "Staffelfinale".

Bedauerlich ist dabei nur, dass der hintergründige Thriller bislang trotz deutscher Macher ausschließlich auf Englisch spielbar ist und solide Sprachkenntnisse voraussetzt. "Orwell: Ignorance is Strength" ist ein wichtiges, weil mit den Mitteln des interaktiven Mediums gesellschaftskritisch erzählendes Spiel. (Rainer Sigl, 15.3.2018)