Wien – Normalerweise geht sich so eine Karriere nicht aus. Wer im Musikbusiness nicht regelmäßig liefert, wird schnell vergessen. Doch für Kim Deal gelten keine herkömmlichen Regeln. Sie spielt nicht nach ihnen, sie unterliegt ihnen nicht. Gut, die 56-Jährige genießt einen beträchtlichen Vorteil: Sie gilt als Legende. Eine ramponierte zwar, aber Underdogs werden ja erst recht geliebt. Das zeigt sich gerade wieder.

Die US-Band The Breeders ist glücklich wieder vereint. Ihr am Freitag erscheinendes Album "All Nerve" schlägt eine Brücke aus den 1990ern ins Jetzt.
Foto: Marisa Gesualdi

Zehn Jahre lang gab es kein Album von ihrer Band The Breeders, doch diesen Freitag erscheint All Nerve. Es ist das erst fünfte in 28 Jahren. Da rücken in den USA alle aus. Die Wochenendausgabe der New York Times widmet allein der Bandchemie eine ganze Seite, dabei ist Kim Deal das genaue Gegenteil des coolen Rockstars. Die als Kimberley Ann Deal ins Rennen geschickte Musikerin ist keine lässige New Yorkerin, sie stammt aus Dayton, Ohio, wo sie bis heute voll Regionalstolz lebt. Dabei war gerade das Hinterwäldlerische einst der Grund für ihre Flucht in die Musik.

Punk als neue Religion

Als sie aufwuchs, herrschte ein kulturelles Vakuum. In dieses platzten Kassetten aus Kalifornien. Die stammten von einer Freundin ihrer Schwester Kelley und lösten die Vorliebe der Schwestern für Hardrock ab: Punk wurde zur neuen Religion der Deals, und die Zwillingsschwester begannen in der Garage zu musizieren.

Eine ihrer Bands nannten sie The Breeders. Doch bevor sie damit einen kulturellen Fußabdruck hinterließen, kreuzte eine andere Gruppe Kims Biografie: jene, der sie ihren Legendenstatus verdankt. 1986 bewarb Deal sich auf eine Annonce in einer Bostoner Zeitung: Band suchte Bassisten – Deal war die Einzige, die sich meldete. So stieg sie bei den Pixies ein.

Vorn mit dabei

Dieser Vierer zählte Ende der 1980er zu den aufregendsten Bands ihrer Zeit. Er beeinflusste den jungen Cobain Kurt genauso wie hunderte weniger bekannt gewordene Tunichtgute rund um die Welt. Doch bevor die Pixies in Verlegenheit kamen, großes Geld zu machen, waren sie zerstritten und aufgelöst. Doch parallel dazu hatte Deal die Breeders gegründet.

Diese debütierten im Jahr 1990, 1993 gelang ihnen mit dem Song Cannonball ein Hit, das dazugehörige Album Last Splash verkaufte sich über eine Million Mal, und Nirvana luden sie auf Tour ein. Erst letzte Woche postete Francis Bean Cobain ein Foto ihres Vaters zu dessen 51. Geburtstag auf Facebook. Auf dem Bild trägt er ein T-Shirt der Breeders.

Der 1993er-Hit der Breeders: "Cannonball."
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In der damaligen Umbruchzeit im Mainstream war das Quartett vorn dabei. Kurz. Denn auf den Erfolg folgte ein Rausch. Kim Deal wurde – wie ihre Schwester – Junkie. Sie checkte in die Rehab ein, wurde ein bisschen clean, doch der Zug in Richtung Weltstar fuhr ohne die Breeders ab.

Casual Girl von nebenan

Erst 2002 erschien wieder eine Platte – das Nebenprojekt The Amps warf 1995 noch das charmante Pacer ab, dann wurde es ruhiger um Deal. In den Nullerjahren ging sie mit den Pixies auf Reuniontour. Das bescherte dem Kontostand aller Beteiligten späte Gerechtigkeit, doch wieder überwarf sich Deal mit Black Francis, die Pixies machten ohne sie weiter. Doch eine Generation von Musikfans hatte ihr Herz an sie verloren. Und das Casual Girl von nebenan erwies sich auf ihre Art als treu.

Die in großen Abständen erscheinenden Platten der Breeders nimmt traditionell Steve Albini auf. Der hatte schon 1988 Surfer Rosa von den Pixies produziert. Seinem trockenen Stil vertraut Deal bis heute. Er prägt den Output der Breeders, ja Deal und Albini haben sogar so etwas wie ein Manifest des analogen Aufnehmens namens "All Wave" verfasst. Was man als Rockstar mit zu viel Tagesfreizeit halt so macht.

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Dementsprechend vertraut klingt All Nerve. Im basslastigen Sound des Albums schwingt etwas Pixies-Nostalgie mit. Doch statt der durchgeknallten Texte von Francis Black ertönt der (durchgeknallte) Gesang Deals. Die 56-Jährige wirkt bis heute wie das Indie-Postergirl von 1993.

BMX-Rad oder Auto?

Älter zwar, aber man kann sie sich immer noch eher auf einem BMX-Rad als am Lenkrad eines Autos vorstellen. Die süffige Poppigkeit von Cannonball ist ihr schon lange kein Anliegen mehr. Viel lieber produziert sie heute in einem Song wie MetaGoth atmosphärische Schwere: goschert und ein wenig entrückt.

All Nerve ist das erste Breeders-Album, für das die Erfolgsbesetzung von 1993 wieder zusammengefunden hat. Irgendwie hat man sich zusammengerauft, warum Deal damals mit Schlagzeuger Jim MacPherson gestritten hat, weiß heute keiner mehr. All Nerve hört man die Spiellaune des glücklich wieder vereinten Vierers an, gleichzeitig versagt er sich unnötigem Schnickschnack. Zwar fiept in Spacewoman ein Synthie, ansonsten balanciert die Band Bass, schwere Riffs und schwere Drums.

1990er-Revival

Hin und wieder entkommt ihr eine catchy Melodie wie damals, doch alles unterliegt dem Gesetz der Ökonomie. Elf Songs sind es am Ende, ein Album wie aus einem Guss, mit einem Sound, der in ruhigen Momenten wie ein fünftes Bandmitglied wirkt. Es ist ein alterslässiges Werk, bei dem Lässigkeit kein Auftrag ist, sondern als Nebenprodukt abfällt. In der Mode sollen die 1990er gerade ein Revival erleben. All Nerve schlägt dazu die akustische Brücke von damals ins Heute. (Karl Fluch, 28.2.2018)