Dirigent Andrés Orozco-Estrada: "Ich will ein Spezialist der Interpretation sein."

Foto: Kmetitsch

Wien – Es war mit eher großem Bedauern hinzunehmen, dass Andrés Orozco-Estrada vor ein paar Jahren Österreich verließ, um das Houston Symphony zu übernehmen. Er hatte mit den Niederösterreichischen Tonkünstlern impulsiv für Qualität gesorgt. Und auch als spontaner Einspringer bei den Wiener Philharmonikern konnte er belegen, welche Substanz in ihm schlummert. Dann aber war der Mann aus Kolumbien weg. Wobei: Da er mittlerweile auch Chefdirigent beim deutschen HR-Sinfonieorchester ist, hatte er "nie das Gefühl, weggegangen zu sein".

Er sei schließlich immer einige Wochen "im Jahr da, ich versuche in Konzerte zu gehen, ich vermisse diese Säle. Man findet Räume wie das Wiener Konzerthaus und den Musikverein selten. Außerdem wohnt meine Familie in Wien, und ich dirigiere ja auch weiter österreichische Orchester. Ich fühle mich als Bürger Österreichs, hier bin ich zu Hause."

Mit seinen Musikern vom Houston Symphony gastiert Orozco-Estrada nun im Konzerthaus. Das Spezielle an den Kollegen sieht der 1977 in Medellín Geborene "in der Emotionalität, im Einsatz und dem technisch hohen Niveau. Das ist eine sehr schöne Kombination. Und dass das Emotionale eine große Rolle spielt, schätze ich besonders." Es entspricht ihm auch selbst, sein Ideal als Dirigent geht schließlich dahin, "aus dem Respekt vor der Partitur Emotion und klare Aussagen für das Heute zu schaffen. Geist und Herz sollen eine Balance bilden. Ein Komponist hat große Opfer gebracht, um sein Werk zu schaffen. Wir haben also die Pflicht, dessen Investition mit einem entsprechenden Aufwand unsererseits zu würdigen."

Wissen und Wollen

Orozco-Estrada, der 2003 sein Studium mit einem Dirigat des Radio-Symphonieorchesters Wien im Musikverein mit Auszeichnung abschloss, sieht sich nicht als Spezialisten. Jedenfalls nicht im Sinne einer Epoche oder eines Stils. "Ich will ein Spezialist der Interpretation sein. Ich will überzeugend sein durch eine klare künstlerische Aussage, durch Identität und Originalität. Worum es geht, ist, mit dem Werk eine subjektive Verbindung einzugehen, auf Basis dessen, was ich als Musiker wissen kann."

Das Subjektive sei nicht nur wichtig – es sei letztlich auch unvermeidlich: "Auch wenn wir sehr viel wissen, historisch informiert sind: Es spielen Menschen für Menschen, da kann es nur eine persönliche Sicht der Dinge geben. Sonst würde es ja auch trocken klingen – als hätte ein Computer gespielt."

Wobei Automatisierung in gewisser Weise auch auf Tourneen durchaus ein Thema sein kann: "Zu den Aufgaben, die zu lösen sind, gehört es zunächst, fit für das jeweilige Konzert zu bleiben, auch wenn man nahezu täglich an einem anderen Ort, in einem anderen Hotel landet. Das kann schon müde machen und Stress bedeuten." Zudem braucht es Flexibilität: Jeder Saal ist akustisch anders. Es gibt aber auch einen anderen Aspekt, der zu bedenken ist – und der hat mit Repetition zu tun: "Die Werke, die wir auf der Tournee spielen, wiederholen sich. Sie jeden Abend neu erscheinen zu lassen ist eine romantische Idee, aber auf jeden Fall anzustreben."

In Wien gastiert man mit Geigerin Hilary Hahn und Werken von Bernstein und Schostakowitsch (fünfte Symphonie). Wenn die Werke oft wiederholt werden, "könnte man in einem automatischen Modus laden. Das zu vermeiden ist eine Herausforderung auf der Tournee." In diesem Punkt sei der Wechsel der Städte "inspirierend. Nach der Tournee ist man dann zwar erschöpft, aber glücklich erschöpft. So eine Reise ist ein Highlight unserer Saison." (Ljubiša Tošić, 27.2.2018)