Die Mode leidet gerade an einer seltsamen Form von Schizophrenie: In immer kürzerer Zeit wird immer mehr produziert, längst ist die Fashion-Industrie einer der größten globalen Umweltverschmutzer. Gleichzeitig wird sie nicht müde, das Mantra von den sogenannten "Wardrobe Essentials" herunterzubeten und einen neuen, nachhaltigen Minimalismus zu beschwören. Die Rede ist von Basics, die jeder im Kleiderschrank haben sollte, die weder unmodern werden noch schnell kaputtgehen: Jeans, Sweater und Jacken, denen Trends egal sind. Es sollen besondere Stücke sein, die man bewusst erwirbt, statt pure Massenartikel.

Das klingt zwar vielversprechend, aber leider kommen alle paar Wochen neue Essentials auf den Markt, die man noch unbedingt braucht, bevor man dann aber wirklich nichts mehr kaufen muss. Das ist natürlich absurd. Aber irgendwie schwingt bei den Designern auch eine gewisse Nostalgie mit, eben nicht nur für eine kurze Zeitspanne zu produzieren und Kleidung herzustellen, die ihre Träger lange begleitet. Fast alle prägenden Modemacher – von Helmut Lang bis Raf Simons – waren deshalb von Arbeitskleidung fasziniert, bei der es um altmodische Tugenden wie Handwerk, Liebe zum Detail und Qualität geht. Kleidung, die wie eine zweite Haut ist.

Das niederländische Label Kings of Indigo setzt schon länger auf langelebige Kleidungsstücke.
Foto: Kings of Indigo

Für die Ewigkeit

Dabei ist Workwear eigentlich das Gegenteil von Mode: Sie kennt keine Trends, ändert sich nicht einmal saisonal, sondern ist tendenziell für die Ewigkeit gemacht, auf jeden Fall möglichst unverwüstlich. Es geht auch nicht darum, mit ihr aus der Masse herauszustechen. Im Gegenteil: Individualität wird klein-, Funktionalität großgeschrieben. Natürlich passen diese Zuschreibungen perfekt zum nach wie vor anhaltenden Normcore-Trend. Gerade das Durchschnittliche ist für Hype-Labels wie Balenciaga das Exotische, das man ironisch überhöht zelebriert. Allzu unauffällig darf es dann aber doch wieder nicht sein: Das richtige Label sollte schon für alle sichtbar auf der extrem teuren Markenkleidung angebracht sein.

In den letzten Jahren hat die High Fashion nicht nur ihre Liebe zu Sportswear und Funktionsjacke, sondern auch zur Arbeitskleidung entdeckt. Latzhosen und Overalls sind wieder in, Lumberjack-Jacken aus Fleece und Sherpa-Westen dürfen in keiner aktuellen Kollektion fehlen.

Working-Men-Style

Vom Schafhirten zum Mechaniker zum Gärtner: Vor allem in der Herrenmode ist der Working-Men-Style angesagt. Das Berliner Kulturmagazin "032c", das heuer auch erstmals in Mailand als Label präsent war, hat sogar blaue Arbeitsanzüge samt Plastikgartenschuhen, wie man sie aus dem Lagerhaus kennt, im Sortiment.

Am besten, man sieht auf der Fashion-Week aus, als ob man gerade aus der Autowerkstatt oder dem Baumarkt käme. Traditionslabels wie Alpha Industries, bekannt durch kultige Bomberjacken, Dr. Martens und Champion stehen hoch im Kurs. Besonders beliebt sind Kooperationen, angesagte Fashion-Designer verpassen Klassikern ein Makeover.

Gerade hat der russische Shootingstar Gosha Rubchinskiy mit Carhartt eine coole Oversized-Kollektion entworfen, die als Hommage an die 1990er-Jahre zu verstehen ist. Das französische Hype-Label Vetements hat ebenfalls mit dem Detroiter Produzenten Carhartt, der ursprünglich für Stahl- und Eisenbahnarbeiter robuste Latzhosen herstellte, kooperiert – sowie mit dem Jeansgiganten Levi's, mit Alpha Industries und Champion. Opening Ceremony und Alyx haben bei Dickies im Archiv gewühlt. Und der Rapper Kanye West nimmt in seinen Yeezy-Kollektionen gerne Anleihen bei Helmut Langs tragbarem und sehr funktionalem Minimalismus. Sein festes Yeezy-Schuhwerk sieht aus, als wäre es für seine Bodyguards gemacht worden.

Die Oversized- Kollektion, die der russische Designer Gosha Rubchinskiy mit dem Label Carhartt WIP designte, ist zeitlos und robust.
Foto: Carhartt WIP

Selbstbewusst

"Unsere Mode soll den Körper schützen, ähnlich wie eine Rüstung", betonten auch die beiden Designer Serhat Isik und Benjamin Alexander Huseby des angesagten Berliner Fashion-Kollektivs GmbH, das bereits mit seinem Namen auf Unterstatement setzt und von der "Vogue" jüngst als "Berliner Vetements" gefeiert wurde. GmbH möchte Kleidung machen, die Stärke und Selbstverstrauen ausstrahlt und zudem funktional wie Arbeitskleidung ist: breite Schultern, PVC-Hosen, die von der Ästhetik der Techno-Szene beeinflusst sind, neutrale Farben (gerne Beige und Braun), kantige Schnitte und langlebige Materialien.

Mode zwischen Schwulenclub, Techno-Rave und Lagerhaus. Isik hat einen türkischen Background, Huseby ist norwegisch-pakistanischer Abstammung, Diversität ist dem Label wichtig. Die Stoffe sind übrigens allesamt Ladenhüter aus Mailand. Mehr konnte sich das junge Label nicht leisten, als die Reste anderer zu verwerten. Klugerweise haben sie daraus eine Tugend gemacht – und beweisen zumindest ansatzweise jene Nachhaltigkeit, von der andere nur gerne theoretisch reden. (Karin Cerny, RONDO, 16.3.2018)

Jeansstoffe sind nicht nur bei Levi's (unten), sondern auch beim Berliner Label GmbH angesagt.
Foto: Levi's, GmbH

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