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EU-Chefverhandler Michel Barnier glaubte in Brüssel, dass er eine "pragmatische und kreative Lösung" für die Nordirland-Frage vorgetragen habe. Die Reaktion von Premierministerin Theresa May fiel in London sehr hart aus: "Völlig inakzeptabel".

Foto: AP / Virginia Mayo

Seit dem offiziellen EU-Austrittsantrag der britischen Regierung vor knapp einem Jahr hat es zwischen London und Brüssel bereits einige schwere Vertrauenskrisen gegeben, was die Bedingungen für den Brexit anlangt. Aber so schrill wie am Mittwoch war der Krieg der Worte zwischen den Verhandlungspartnern dies- und jenseits des Ärmelkanals selten.

Auslöser war der erste Entwurf für einen EU-Austrittsvertrag, den Chefverhandler Michel Barnier zu Mittag in Brüssel präsentierte, abgestimmt von EU-Kommission und Mitgliedstaaten. Inhaltlich sei daran nichts Neues, sagte er, er habe versucht, die bisher getroffenen Vereinbarungen und Erklärungen beider Seiten bei den Brexit-Gesprächen in einen auch juristisch klaren Text zu fassen.

Denn: Wolle man bis Oktober zu einem Ergebnis kommen, "müssen wir schneller werden", sagte Barnier. Einen geordneten Austritt müssten die Regierungen, das EU-Parlament und das britische Parlament rechtzeitig vor dem für 30. März 2019 geplanten EU-Austritt ratifizieren. Die Zeit dränge. Beim Entwurf seien unter anderem drei wesentliche, von Premierministerin Theresa May und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kurz vor dem EU-Gipfel im Dezember 2017 schon abgestimmte Garantien enthalten: die Sicherung der Rechte der EU-Bürger in Großbritannien wie der Briten in der Union; die Budgetverpflichtungen Londons über den Austrittstermin hinaus; und der Umgang mit der offenen Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland.

Letzteres kristallisiert sich als größter Stolperstein für ein mögliches Scheitern eines geordneten EU-Austritts heraus. May hatte in einem gemeinsamen Memorandum im Dezember noch zugesichert, dass man eine "weiche" Lösung für Irland finden werde, bei der Grenzkontrollen auf der irischen Insel vermieden werden.

Barnier schlug nun eine "Option 1" vor, nach der das britische Nordirland auch nach dem Austrittstermin März 2019 in einem "gemeinsamen regulatorischen Raum" in Zollunion und teilweise im Binnenmarkt bleiben könnte. Eine solche Protokollanmerkung könnte bis zu dem Zeitpunkt gelten, wenn die Beziehungen zwischen Großbritannien als Drittland und der EU geregelt sind, etwa durch ein neues Freihandelsabkommen. Damit könnten Waren auf beiden Teilen Irlands wie bisher frei ausgetauscht werden. Nicht betroffen wäre der freie Austausch von Dienstleistungen, Personen und Kapital. Das wäre laut Barnier "eine pragmatische und kreative Lösung".

Sie würde aber auch bedeuten, dass dort die EU-Regeln für den gesamten Übergangszeitraum – bisher ist der 31. Dezember 2020 ins Auge gefasst – gelten müsste, insbesondere bei Pflanzen- und Tierschutz, Agrar-, Fischerei, Abfallvorschriften. London müsste EU-Regeln und die Urteile des Europäischen Gerichtshofes anerkennen, auch solche, die erst nach dem Brexit in der Union beschlossen werden, so Barnier.

Keine Rosinenpickerei

Er räumte ein, dass es zu alldem noch viele Meinungsverschiedenheiten gibt. So wolle London die EU-Bürgerrechte nur bis Ende März 2019, nicht aber in der Übergangsperiode bis Ende 2020 garantieren. Die britische Regierung müsse nun aber endlich konkret sagen, was sie eigentlich genau wolle, erklärte der EU-Verhandler. "Rosinenpickerei" werde es keinesfalls geben, darin seien sich die Regierungen der EU-27 einig.

Die Reaktion aus London ließ nicht lange auf sich warten, und sie fiel heftig aus. Was Barnier vorgelegt habe, könne sie "niemals akzeptieren", sagte Premierministerin May bei einer Debatte im Unterhaus. Der Vorschlag, Nordirland de facto in Zollunion und Binnenmarkt zu belassen, "untergräbt den gemeinsamen britischen Markt und die verfassungsmäßige Integrität Großbritanniens" sagte sie, "kein britischer Premierminister könnte dem je zustimmen."

Ein Abkommen wie der von Barnier vorgelegte Entwurf käme "einem Betrug am Brexit-Votum der Briten gleich", das werde sie Juncker auch "kristallklar sagen".

Wie man das Dilemma in Irland löst, ließ May aber konkret offen: Sie wolle eine Lösung, die Großbritannien die volle Kontrolle über seine Gesetze, Grenzen und Finanzen zugestehe, aber eine strenge Kontrolle der inneririschen Grenze solle es auch nach dem EU-Austritt nicht geben. (Thomas Mayer aus Brüssel, 28.2.2018)