Wien – Wer dem österreichischen Spielfilm mangelnde Radikalität nachsagt, dem sei der Besuch eines ganz besonderen Films angeraten. Ugly heißt das verstörende Debüt von Juri Rechinsky, mit dem der aus Kiew stammende Wiener Filmemacher eindrucksvoll den Gegenbeweis antritt. Hässlich ist in diesem Film dennoch nichts, aber schön sehr vieles.

Juri Rechinskys Bilder konfrontieren das Publikum unmittelbar.
Foto: Thimfilm / Novotny Film

Ugly beginnt in einem Spital in der Ukraine, in das Hanna (Angela Gregovic) nach einem Verkehrsunfall eingeliefert wurde. Ihr Freund Jura (Dmitriy Bogdan) muss hilflos zusehen, wie sich das Personal der jungen Frau annimmt. Seine gelbe Jacke, in der er im Unfallauto verzweifelt nach seinem Telefon gesucht hat, hält er noch immer in blutverschmierten Händen. Und Schmerzensschreie klingen in der Nacht in kahlen Korridoren doppelt so laut.

Fast eine Viertelstunde lässt Rechinsky derart vergehen, ganz ohne Dialoge, ehe er abrupt das Szenario wechselt: Martha (Maria Hofstätter) sitzt in Wien an einem Tisch und versucht Karten mit Monatsnamen in die richtige Reihenfolge zu bringen. Marthas Erkrankung an Alzheimer macht sich bereits deutlich bemerkbar. Ihr Mann (Raimund Wallisch), noch geduldig und hilfsbereit, wird später für sie ein Fest ausrichten, bei dem das Schöne noch einmal alles überstrahlen soll und man ein letztes Mal glücklich ist. Sich glücklich zeigen kann. In der offensichtlich teuren Wohnung wird getanzt, Marthas Tochter spielt am Klavier. Es ist Hanna.

Thimfilm Filmverleih

In einem Interview erklärte Rechinsky, er habe "mit einem perfekt ausgefeilten Drehbuch für einen völlig anderen Film begonnen". Diese Kompromisslosigkeit, buchstäblich Vorgedachtes über Bord zu werfen, merkt man Ugly in jeder Einstellung an: Rechinsky konfrontiert unmittelbar mit Bildern des Niedergangs und der Auflösung, und doch – das ist das Erstaunliche an diesem Film – ist es kein kalter oder gar voyeuristischer Blick. Denn ebenso schnell wird ersichtlich, dass man in Ugly das Hässliche dieser Welt nicht als etwas Abstoßendes erlebt, sondern als etwas Ungeschöntes.

Als seine Vorbilder nennt Rechinsky den 2014 verstorbenen Michael Glawogger und den russischen Dokumentaristen Victor Kossakavsky, für seinen ersten Dokumentarfilm, Sickfuckpeople, verbrachte er drei Jahre lang in Odessa mit einer Gruppe obdachloser Junkies. In Ugly ist jedes Bild eine kunstvoll inszenierte und doch rohe Momentaufnahme: ein vom Sturm geschütteltes Getreidefeld, ein Ruderboot im Schilf, grün glänzende Wände in einem Krankenhaus, das ebenso ein Hospital der Geister sein könnte. Tatsächlich fühlt man sich an das Gewaltkino Lars von Triers erinnert.

Geschichten und ein Film von höchster Dringlichkeit. (Michael Pekler, 1.3.2018)