Schneereiche Winter, hier in Balderschwang im Allgäu, sind nicht mehr die Regel.

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Robert Groß zieht aus der Geschichte Schlüsse für die Tourismuszukunft.

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Bregenz – Was tun, wenn der Schnee wegbleibt? Beschneien aus allen Rohren, lautet die Antwort technikorientierter Touristiker, man müsse der Natur quasi ein Schnippchen schlagen. Den Menschen viel Unterhaltung abseits der Pisten bieten, schlagen auf Events konzentrierte Touristiker vor. Der Gedanke an schneelose Winter, die künftig, so die Prognose von Klimaforschern, vor allem in mittleren Höhenlagen Realität sein werden, lässt Menschen, die vom Skitourismus leben, in Panik ausbrechen.

Zur Recht? DER STANDARD hat bei Umwelthistoriker Robert Groß nachgefragt. Es sei nicht nur die Angst um Arbeitsplätze und Einkommen, die sie belaste, sagt Groß: "Es droht der Verlust der eigenen Identität." Groß, der an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt das Zentrum für Umweltgeschichte koordiniert, sieht "ein Bild der Alternativenlosigkeit".

Angst vor Abwanderung

Im Vorarlberger Skiort Damüls beispielsweise, wo Groß geforscht hat, seien die Menschen überzeugt davon, dass ihr Dorf ohne den Wintertourismus völlig entvölkert wäre. "Dieses Narrativ hat einen historischen Hintergrund und zieht sich durch alle Tourismusregionen in Vorarlberg und Tirol", blickt Groß zurück. "Während der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre gab es tatsächlich eine starke Entvölkerung, in den Bergdörfern im Vergleich zum Tal relative Verarmung." Damals habe es geheißen: "Wir müssen auf den Tourismus setzen, das ist die einzige Einkommensquelle."

Den Wandel ansprechen

Was zu einem bestimmten Zeitpunkt seine Richtigkeit hatte, dürfe man nicht über Jahrzehnte hinweg fortschreiben, dadurch entstehe Hoffnungslosigkeit, mahnt Groß. Die Tourismusregionen bräuchten dringend einen dialogischen Prozess über die Zukunft. Groß folgert aus der historischen Forschung: "Wenn man es schafft, von der angstbesetzten Idee der Zukunft wegzukommen, kann man Potenziale erkennen."

Er sieht die Politik in der Pflicht: "Man muss über Ausstiegsszenarien nachdenken. Transformation, die unvermeidlich ist, verläuft besser für alle, wenn man sie klug begleitet und vorausschauend gestaltet." Hierarchiefreie Diskussionsräume müssten geschaffen werden.

Das sei keine Utopie, sagt der Historiker und nennt ein positives Beispiel aus den 1970er-Jahren: "Ausländische Investoren wollten Milliardeninvestitionen tätigen. Mit der Landesraumplanung haben die Montafoner einen partizipativen Prozess gestartet. Stimmung wurde eingefangen, Zukunftsszenarien wurden entworfen." Das Ergebnis war ein Wachstumsstopp. "Vorübergehend", ergänzt Groß.

Neue Sommerfrische

Der Historiker wagt einen Blick in die Zukunft. Bergregionen, die jetzt nur auf Wintertourismus setzen, hätten ein großes Potenzial für eine neue Sommerfrische. Womit Groß Langzeitaufenthalte hitzegeplagter Städter meint. Menschen in Lebens- und Berufsformen, die große Mobilität zulassen, könnten temporär aufs Land ziehen.

"Wenn man die entsprechenden technologischen Voraussetzungen und Infrastruktur hätte. Wenn gutes Internet im Bergdorf ist, kann ich dort als Wissenschafter, Architektin oder Ähnliches zumindest partiell arbeiten", zeichnet Groß ein Szenario.

Der Vorteil für die Gastgeber: Sie könnten Ferienwohnungen für längere Zeit vermieten. Der Positiveffekt für die Einheimischen: Die Infrastruktur, die neue Sommerfrischler brauchen – wie Gasthäuser, kulturelle Einrichtungen und Nahversorger –, kämen auch ihnen zugute. (Jutta Berger, 1.3.2018)