Die Bohrkernhälften aus Oklo sind acht und zehn Zentimeter lang und wiegen 168,1 und 152,3 Gramm.

Weiße Kalzitadern durchziehen eine Matrix aus Tonmineralien wie Kaolinit und Chlorit, in die Uraninit-Kristalle eingebettet sind.

Foto: NHM/Ludovic Ferrière

Am 14. Februar traf die Transportbox im Naturhistorischen Museum ein.

Foto: NHM/Ludovic Ferrière

Das Messgerät wies eine Strahlendosis von 8,29 Mikrosievert pro Stunde aus. Zum Vergleich: In Mitteleuropa ist jeder Mensch einer durchschnittlichen natürlichen Strahlendosis von mehr als zwei Millisievert pro Jahr ausgesetzt.

Foto: IAEA/Klaus Gaggl

Der Sammlungsneuzugang brachte auch Kurator Ludovic Ferrière zum Strahlen – er bezeichnet ihn als ein nettes Valentinstagsgeschenk.

Foto: IAEA/Klaus Gaggl

Wien – Durch stetigen Zerfall entstehen radioaktive Strahlen aus dem Urankristall. Diese banale Aussage verarbeiteten die Elektropoppioniere Kraftwerk zu dem Stück "Uran" auf ihrem im November 1975 veröffentlichten Konzeptalbum "Radio-Aktivität".

Nur wenige Monate zuvor hatten sich in der gabunischen Hauptstadt Libreville internationale Atomphysiker und Chemiker getroffen, darunter auch Experten aus den USA und der UdSSR, um unter der Ägide der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) über die Forschungsergebnisse zu einer in jeder Hinsicht spektakulären Entdeckung zu beraten: der Existenz natürlicher Nuklearreaktoren. Das Naturhistorische Museum Wien (NHM) präsentiert nun eine Probe eines solchen Reaktors als Kernstück einer geplanten Ausstellung über Radioaktivität.

Irritierende Anomalie

Im Sommer des Jahres 1972 fiel dem Laborleiter der Urananreicherungsanlage der französischen Nuklearanlage Tricastin bei Pierrelatte eine Anomalie der Isotopenverteilung bei in seinem Labor produziertem Uranhexafluorid auf. Dieses war aus dem Erz der Oklo-Uranmine in Gabun gewonnen worden. Alles Uran auf der Erde stammt aus der frühesten Phase der Entstehung des Sonnensystems und wurde in Supernovae gebildet. Deshalb ist das Mengenverhältnis der Uranisotope in allen Lagerstätten gleich, egal ob auf der Erde, auf dem Mond oder in Meteoriten – so lautete jedenfalls die gängige Lehrmeinung. Während das Isotop 238U 99,274 Prozent ausmacht, ist das spaltbare 235U mit 0,7202 Prozent vorhanden, zwei weitere natürlich vorkommende Isotope bilden den sehr geringen Rest. Das Erz aus Oklo enthielt jedoch nur 0,7171 Prozent 235U – eine Abweichung von 0,0031 Prozentpunkten. Was auf den ersten Blick eine vernachlässigbare Differenz zu sein scheint, summiert sich jedoch bei den industriell umgesetzten Mengen zu einem beachtlichen Schwund von spaltbarem Material. Manche Proben aus Oklo enthielten gar nur 0,29 Prozent 235U. Dies verlangte nach einer Erklärung.

Selbstregulierende Kettenreaktion

Die Nachforschungen in Gabun führten zu der Entdeckung von insgesamt 17 natürlichen Reaktoren. Hier fand vor etwa 1,8 bis zwei Milliarden Jahren über einen längeren Zeitraum eine Kettenreaktion statt, die sich selbst in einem Drei-Stunden-Rhythmus regulierte. Was wie Science-Fiction klingt, basiert auf einem überraschend simplen Aufbau: Die uranhaltigen Tonschichten liegen eingebettet in Sandsteinbänke. Der Zufluss von Grundwasser löste umliegendes Gestein aus und reicherte das Uran dadurch an. Gleichzeitig bremste das Wasser als Moderator die Neutronen auf die für den Spaltprozess nötige Geschwindigkeit ab. Wenn es durch die thermische Leistung des Reaktors verdampft war, fiel dieser unter die für die Kernspaltung nötige Kritikalität, und die Reaktion stoppte – bis genug Wasser nachgeflossen war, um den Zyklus neuerlich zu starten.

Dieser Prozess wiederholte sich über Zeiträume von mehreren hunderttausend Jahren. Begünstigt wurde der Vorgang durch die Tatsache, dass zu dieser Zeit der Anteil des Isotops 235U noch deutlich höher lag. Da sich die Halbwertszeiten von 238U und 235U mit 4,468 Milliarden respektive 703,8 Millionen Jahren deutlich unterscheiden, wird der 235U-Anteil im Verhältnis im Lauf der Zeit geringer. Vor zwei Milliarden Jahren machte das Isotop 235U noch rund drei Prozent der Gesamtmenge aus. Die Kettenreaktion kam schließlich zum Erliegen, weil der Anteil von 235U unter den kritischen Wert gesunken war. Die Oklo-Reaktoren gelten heute auch als Modell für Endlagerstätten nuklearer Abfälle.

Sechs Jahre Arbeit

Das NHM arbeitete seit 2012 daran, eine Probe aus Oklo für seine Sammlung zu erwerben. Damals unterbreitete Generaldirektor Christian Köberl dem Kurator der Gesteinssammlung, Ludovic Ferrière, die Idee einer Dauerausstellung über natürliche Radioaktivität. Dazu sollte auch eine Probe aus den Oklo-Reaktoren als ein wesentliches Ausstellungsstück für die Sammlung besorgt werden. Das Phänomen Radioaktivität ist überall in unserer Umwelt zu finden, diese Tatsache soll den Museumsbesuchern nähergebracht und erläutert werden. Dass es auch auf natürlichem Wege zu einer Kernspaltungsreaktion kommen kann, soll dabei ebenfalls bewusst gemacht werden. Um dies anschaulich präsentieren zu können, ist ein Beleg aus Oklo unumgänglich.

Den beinahe geologischen Zeitraum von fast sechs Jahren und hunderte E-Mails, Telefonate und Treffen später hat Ferrière dieses Ziel nun erreicht. Ein Belegstück der bei den Apollo-Missionen der Nasa gesammelten Mondgesteine für die Meteoritensammlung zu erhalten sei im Vergleich zum Erwerb der Oklo-Probe extrem einfach gewesen, schildert er seine langjährigen Bemühungen. Mithilfe verschiedener Kontakte war es Ferrière schließlich gelungen, den französischen Atomkonzern Areva, dessen Kerngeschäft neuerdings unter dem Namen Orano läuft, davon zu überzeugen, dem NHM einen Bohrkern aus Oklo zu spenden. Mit Unterstützung des französischen Kommissariats für Atomenergie und alternative Energien (CEA), Orano, des französischen Uno-Botschafters Jean-Louis Falconi und mehrerer Kollegen von der IAEA konnte die Probe schließlich als Sammlungsbestandteil in die Museumskollektion übernommen werden.

Zuvor mussten noch diverse Formalitäten erledigt werden, die für den Transport radioaktiver Materialien nötig sind. Der Transport nach Wien erfolgte letztlich mit einem ganz normalen Flugzeug. Rund um den Bohrkern aus Oklo kann nun die Radioaktivitätsausstellung entstehen. Die dafür nötigen finanziellen Mittel fehlen noch, für deren Beschaffung hofft Ferrière jedenfalls auf einen weniger zeitintensiven Ablauf. (Michael Vosatka, 5.3.2018)