Er lebt heute in Berlin, Oxford und in Frankreich: Maxim Kantor (60) hat nur den ersten Teil seines Romans "Rotes Licht" in Russland veröffentlicht. Das Buch: ein Amalgam aus Scherz, Satire, Ironie.

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Wien – Der Teufel schläft nicht, jedenfalls nicht in russischen Epochenromanen. Kaum gerät in Russland das Rad der Geschichte ins Stocken, schon macht Satan dem Riesenreich seine persönliche Aufwartung. Es hat wirklich den Anschein, als ob niemand anderer die Zeit erübrigen könnte, um Russland aus der Bredouille zu holen. Was kann, was will dieses postkommunistische Land mit sich anfangen? Wer (außer Putin) soll Russlands imperiale Ansprüche wahren? Wie kann man die Russen für die demokratische Lenkung ihrer eigenen Geschicke interessieren?

In Bulgakows Meister und Margarita (1940) hieß der Höllenfürst Voland. Im bolschewistischen Moskau gab der Teufel sich als schwarzer Magier aus. In sich vereinigte er äußerste Brutalität und höchste Eleganz. Volands Varietéscherze brachten Stalins Bürokraten manchmal um den Kopf, raubten ihnen aber mit absoluter Sicherheit immer den Verstand.

In Maxim Kantors Romanwälzer Rotes Licht ist der Teufel noch anrüchiger. Ernst "Putzi" Hanfstaengl nennt sich ein wahrhaft furchterregender Greis, den es tatsächlich einmal gegeben hat. Als Adolf Hitlers schöngeistiger Auslandspressechef verlieh der Sohn eines Kunsthändlers der braunen Barbarei eine Zeitlang einen Anstrich von Weltläufigkeit.

Für "Adolf" – und damit befinden wir uns mitten im Dilemma von Kantors Roman – trug der historische Hanfstaengl nicht nur äußerst gut geschnittene Spendierhosen. Er muss den Aufsteiger aus Braunau am Inn vor allem mit geschichtsphilosophischen Brocken vollgestopft haben. Rotes Licht ist nicht nur ein figurenreiches Mosaik von Russlands langsamer Höllenfahrt in die präsidiale Herrschaft Wladimir Putins. Dieses maßlose Buch möchte Europas Zeitgeschichte, so wie wir sie kennen, ein für alle Mal erledigen.

Und so beginnt in der Ostukraine, wo bekanntlich ein schmutziger Krieg bei geringer Herdtemperatur vor sich hin köchelt, eine Saat der Gewalt aufzugehen, die zu anderer Gelegenheit, etwa zu Lebzeiten von Karl dem Großen, ausgebracht worden sein soll. Kleiner macht es Kantor nicht: der Untergrundkünstler, der heute deutscher Staatsbürger ist und in strikter Opposition zum Imperialismus Putin'scher Prägung lebt und arbeitet. Er lässt den geschätzt 130 Jahre alten Hanfstaengl vom Ende der europäischen Reichsidee schwadronieren. Er legt die Folie Nazideutschlands über diejenige der Sowjetunion. Er erzählt nebenher die Geschichte des Dritten Reiches nach, aber er betont die Perspektive des Adabeis.

Dieser "Mephisto" freit eine Angehörige der Familie von Moltke. Durch die Wände deutscher Nobelhotels in den 1930ern muss er ungewollt mitanhören, wie Martin Heidegger seiner Studentin Hannah Arendt beiwohnt ("als würde Gott Thor mit gewaltigem Hammer Pfähle in den bayerischen Boden rammen"). Arendt bekommt ihr Fett ab: "Das knochige Gesicht einer unschönen jüdischen Frau hat zuweilen etwas sehr Maskulines." Man möchte diesen Jonathan Littell für Sabbernde recht gerne zuklappen.

Wald voller Macbeth-Hexen

Über viele Hundert Seiten, wenn der Teufel schweigt, liefert Kantor dagegen einen konventionellen Kriegsroman ab. Es sind die von Stalin versehrten Opfer der ersten Säuberungswellen, die unvorbereitet in den Zweiten Weltkrieg hineinstolpern. Im Hinterland, dort, wo die Nazi-Einsatzkommandos morden, haben Menschen, denen der Sowjetkommunismus alles weggenommen hat, nicht mehr viel zu verlieren. Und so putzt Kantor die verschlungene Handlung mit Macbeth-Hexen und Menschenfressern auf. Am Ende behält ein jüdischer Greis das letzte Wort.

Der Intellektuelle Solomon Richter stirbt. Kurz vor dem Exitus entbietet er dem Teufel (Hanfstaengl) die letzten Widerworte. Da ist der zweite Handlungsstrang, ein Mord im Moskauer Oppositionellenmilieu, schon längst ausgefranst. Richters richtiges Fazit nach dem Versickern von wahren Sturzbächen von Blut: "Menschen sind gleich, weil sie eben gleich sind, das ist ein Axiom."

Nun sind aber nicht alle russischen Romane gleich, weil es eben bessere und schlechtere gibt. Mag Maxim Kantor auch eine wichtige oppositionelle Stimme gegen Putin sein: Sein Roman zählt nicht unbedingt zu ersteren. (Ronald Pohl, 2.3.2018)