Körpermodifikation ist das Thema der jungen Italienerin Julia Ganterer.

Foto: AAU/Müller

Tätowierungen sind so alt wie die Menschheit selbst. Bereits an der mehr als 5000 Jahre alten Gletschermumie Ötzi hatte man 61 einfache Stichmuster gefunden. Kaiserin Elisabeth soll einen kleinen Anker auf ihrer Schulter verewigt haben. Aber nicht nur Tattoos und Piercings zählen zu diesen leiblichen Veränderungen, sagt die 29-jährige Wissenschafterin Julia Ganterer, die an der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt Körpermodifikationen beforscht. "Im Grunde modifiziert sich jeder tagtäglich." Deshalb gehört Bodybuilding oder das Nägellackieren genauso dazu wie der Besuch im Piercingstudio. Die Bedeutung solcher Prozesse und die damit verknüpfte Identitätsentwicklung bei Jugendlichen sind Teil ihrer Doktorarbeit am Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung.

In Interviews mit zahlreichen 18- bis 23-jährigen Frauen und Männern versuchte die aus Südtirol stammende Wissenschafterin von vorgefertigten Kategorien wegzukommen. "Ich habe zum Beispiel gefragt, wie sie Schönheit definieren würden oder welche Erfahrungen sie generell mit Körpermodifikationen haben." Es zeigten sich teilweise überraschende Ergebnisse: "Jeder drückt durch sein Äußeres irgendetwas aus, aber den meisten war oft gar nicht bewusst, was sie artikulierten."

Sichtbare Erfahrungen

Ein passendes Beispiel brachte ihr ein junger Mann, der eine Seite seines Körpers mit Symbolen für den Tod und die andere Seite mit symbolischen Motiven des Lebens tätowiert hatte. Erst durch Ganterers Fragen begann er über die eigentliche Motivation nachzudenken und erkannte, dass sein bisheriger Lebensweg vom Verlust vieler Menschen geprägt war. Seine Erfahrungen, für die er keine Worte fand, waren durch die Tattoos sichtbar geworden.

Ganterer selbst wollte ihre Doktorarbeit zunächst zu einem anderen Thema schreiben. Auf Workshops und Vorträgen fielen ihr jedoch immer wieder negative Kommentare von Kollegen und Kolleginnen auf, die sich über Tattoos und Ähnlichem äußerten. "Tätowierte Menschen sind immer noch negativ behaftet und werden mit Skepsis angesehen."

Aussagen wie "geschundene Leiber" brachten sie dazu, mit dem Stigma aufräumen zu wollen. Die Ergebnisse der Interviews zeigten auch, dass die ursprüngliche Rebellion gegen die Gesellschaft, die oft mit Körpermodifikationen in Verbindung gebracht werden, eigentlich Rebellionen gegen sich selbst sind. "Es geht viel um Selbstkontrolle und Selbstfindung. Tattoos oder Ähnliches sind quasi Werkzeuge, um das zu tun."

"Freidenkerin" auf Arabisch

Je stabiler das Umfeld der jungen Befragten war und je größer die Bindung zu Bezugspersonen, desto weniger nutzten sie diese Werkzeuge als Bewältigungsstrategie für das Erwachsenwerden und für Probleme, die damit in Verbindung standen. So verdeutlichten sich auch gesellschaftliche und persönliche Verhältnisse mal mehr und mal weniger in ihren Körperpraktiken. Für Ganterer selbst sind Tattoos auch Erinnerungen an Erfahrungen.

An ihrem rechten Arm prangt deshalb das Wort "Freidenkerin" auf Arabisch. "Es gibt so viele sozialen Zwänge und Normen, aber zumindest in meinen Gedanken kann ich dem entkommen. Und das ist meine Erinnerung daran, dass ich dem auch wirklich treu bleibe." (Katharina Kropshofer, 2.3.2018)