Die Forscher suchen nach den Schmerznetzwerken im Gehirn.

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Der Neurowissenschafter Kai Kummer will jenen Mechanismen auf den Grund gehen, die das Schmerzempfinden verlängern.

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Innsbruck – Schmerz ist ein sinnvolles Warnsignal, das anzeigt, wenn mit dem Körper etwas nicht in Ordnung ist. Doch was ist, wenn der Schmerz nach einer Erkrankung nicht mehr weggeht, selbst wenn der Anlass dafür längst nicht mehr vorhanden ist? Ausgangspunkt mag ein einfacher Beinbruch sein. Oder eine Diabeteserkrankung, die die Nerven angreift. Die Mechanismen hinter einer möglichen "Chronifizierung" der damit verbundenen Schmerzen sind noch kaum bekannt. Und das, obwohl sehr viele Menschen davon betroffen sind – Schätzungen gehen von bis zu 40 Prozent der Bevölkerung aus.

Bei sogenannten "chronischen neuropathischen Schmerzen" hat das Nervensystem gewissermaßen "gelernt", Schmerzen zu empfinden. "Man kann es als Schmerzgedächtnis bezeichnen. Wie auch beim Lernen oder anderen Vorgängen im Gehirn werden spezielle Verknüpfungen zwischen Gehirnarealen hergestellt", erklärt Kai Kummer von der Sektion für Physiologie an der Medizinischen Universität Innsbruck.

Der Neurowissenschafter möchte im Projekt "DynChomiR" ("Dynamische Regulation cholinerger Regelkreise und assoziierte microRNAs im präfrontalen Kortex eines neuropathischen Schmerzmodells") diesen Mechanismen, die das Schmerzempfinden prolongieren, auf den Grund gehen. Grundlage bilden Daten aus dem EU-Projekt "ncRNAPain", das von Michaela Kress von der Med-Uni-Innsbruck geleitet wird. Kummer ist für sein Projekt mit dem hochdotierten Weiss-Preis ausgezeichnet worden, den der Wissenschaftsfonds FWF im Auftrag der Weiss-Wissenschaftsstiftung vergibt. Mit FWF-Förderung erhält Kummer für das Dreijahresprojekt knapp 400.000 Euro.

Im Fokus der Forschung steht der präfrontale Kortex, ein Areal an der Stirnseite des Gehirns, das beispielsweise für die Steuerung der Aufmerksamkeit und das Planen von Handlungen relevant ist. Der Bereich ist aber auch am "Schmerznetzwerk" des Gehirns beteiligt. Kummer möchte den Verbindungen und Signalwegen in diesem Netzwerk, das in den präfrontalen Kortex mündet, auf die Spur kommen.

Sensibilisierung auf Schmerz

Um die Weitergabe des Schmerzes im Gehirn besser zu verstehen, stellen die Forscher Acetylcholin, einer der wichtigsten Neurotransmitter, ins Zentrum ihrer Untersuchung. Auch dieser Botenstoff wird mit Gedächtnis- und Lernaufgaben in Zusammenhang gebracht. Zudem soll er bei der Sensibilisierung von Nervenzellen auf Schmerz eine Rolle spielen. "Seine Bedeutung für die Chronifizierung von Schmerzen ist noch schlecht erforscht", erklärt Kummer. "Ein besseres Verständnis könnte zur Basis neuer Behandlungen werden."

Ähnliches trifft auch für die sogenannten microRNAs im präfrontalen Kortex zu, die im Verdacht stehen, zur Entstehung neuropathischer Schmerzen beizutragen. Ihre Erforschung steht ebenfalls im Fokus des Projekts. Weil sie die Übertragung von in der DNA gespeicherten Informationen blockieren, spielen sie eine wichtige Rolle in der Genregulation. Damit haben sie auch Auswirkungen auf die Aktivierung von Schmerzrezeptoren. "Wenn wir sehen, wie sich das microRNA-Profil durch die Chronifizierung des Schmerzes verändert, könnte man auch hier im Rahmen einer Behandlung eingreifen", erläutert der Preisträger.

Um die Kommunikation zwischen Gehirnarealen zu untersuchen, vermessen die Wissenschafter anhand eines Mausmodells jene elektrischen Ströme, die die Nervenzellen im Gehirn bilden. Auch optogenetische Verfahren werden eingesetzt. Nervenzellen können dabei unter Lichteinfluss gezielt aktiviert und beobachtet werden.

Die Grundlagenforschung soll letztendlich Aufschluss über mögliche Therapieansätze geben. Sie könnte zudem auch eine Basis für Aussagen über unterschiedliche Schmerzmechanismen bei Mann und Frau darstellen. "Beispielsweise wird interessant sein, ob die Regulierung der microRNA in männlichen und weiblichen Organismen unterschiedlich aussieht", verdeutlicht Kummer. (pum, 6.3.2018)