Durchschauen, was die anderen wollen und wie sie es zu erreichen versuchen: Know-how in Sachen Hirnchemie, Verhalten und Conditio humana.

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Macht hat als Buchthema Dauerhochkonjunktur. Jetzt hat Johannes Steyrer, Professor für Organizational Behavior an der Wirtschaftsuniversität Wien, Forschungsergebnisse zu Macht und Manipulation zusammengetragen und ins Job- und Alltagsleben übersetzt. Vorwiegend zwecks Bewusstmachung, an welchen Schnüren (wir) Marionetten hängen – also Wissen zwecks Selbstschutz. Aber: Was aus den Einsichten gemacht wird, bleibt ja den p. t. Leserinnen und Lesern vorbehalten.

Steyrer reist durch sämtliche Lebenssituationen – vom natürlichen Gespür der Kinder in der Elternmanipulation über die wirksamsten Aufriss-Schmähs und der Schlacht am kalten Buffet bis zu eigenartigen Versuchsanordnungen, die klären sollen, warum Menschen, die angewiesen wurden, Käfer in einer Kaffeemühle zu mahlen, lustvoll mehr Käfer mahlen, wenn sie von Anfang an mehr mahlten.

Ach – deswegen ist der so

Alles durchaus nützlich und oft so unverständliche Mitmenschen (inklusive einem selbst) verständlich machend. Wie das mit der Hirnchemie im Nucleus accumbens und in der Area A10 mit der Dopaminausschüttung funktioniert, wird bewusstgemacht. Insoferne eigentlich ein Lebenshelfer, Durchblickshelfer, Verhaltenserheller. Er kann es selbst natürlich auch meisterlich: "Wer es versäumt, sich mit Manipulation zu beschäftigen, wird ihre willfährige Beute."

Die höchste Kunstform an den fließenden Grenzen zwischen Manipulieren und Verführen ist jedenfalls, so wird deutlich, dem Zielobjekt das Gefühl zu vermitteln, es habe sich frei entschieden.

Vier paar Schuhe

Meistens hilft frühzeitiges Nein – manchmal anhaltendes Nein -, um sich gegen solche Zugriffe auf das Reiz-Reaktions-Schema zu schützen. Die möglichen Akte der Selbstbefreiung schildert Steyrer jedenfalls anhand von Fallbeispielen, die brauchbar aus dem "echten" Leben gegriffen sind. Wiewohl: Mechanismen wie dem Reziprozitätsprinzip (Gegenseitigkeit) kann man sich, vor allem als Edelmütiger, schwerer entziehen. Wie oft schickt man eine Verkäuferin ins Lager, um Schuhe zum Probieren zu holen, ohne zu kaufen respektive vor schlechtem Gewissen fast zu vergehen? In Steyrers Vorlesungen sind es knapp vier Paar.

Plus 21 Prozent Trinkgeld

Folgendes Forschungssetting zum Einsatz dessen: Gasthaus, vor dem Bezahlen. Forschungsfrage: Erhöht eine Praline vor der Rechnung das Trinkgeld? Antwort: Ja, aber nur um schwache 3,3 Prozent. Zwei Pralinen (samt reziproker Schuldgefühle) ergaben 14 Prozent mehr Trinkgeld. Wurde allerdings erst eine gereicht und folgten dann zwei weitere Pralinen, ergab das plus 21 Prozent Trinkgeld. Über Qualität der Speisen und Freundlichkeit der Bedienung ist nichts bekannt.

Wem das alles zu viel nach "Erkenne dich selbst" und zu wenig nach Hilfe für die Jobfunktion klingt, ein heißes Thema im Arbeitsleben: der Leistungslohn.

Leistung, Lohn, Motivation

Das Prinzip "mehr Geld, mehr Leistung" ist bei Routinetätigkeiten wirksam. Bei kreativen, nichtstandardisierten Tätigkeiten ist Leistungslohn kontraproduktiv. Noch schlimmer die Erkenntnisse aus den Forschungen: Allzu hohe Vergütung wirkt auch leistungshemmend. Dass Leistungslohn Teamgeist zerstört und eine "Ich oder du"-Kultur etabliert, ist ja auch phänomenologisch bekannt. Wie sehr als externe Motivation gedachte Geldanerkennung aber intrinsische Motivation und Handeln für die Sache zerstört, beschreibt kaum einer so gut wie Steyrer, der auch Karrierenforscher ist und als solcher publiziert: "Alle Motivierung von außen ist die Krankheit, für deren Heilung sie sich hält."

Post-it für Führungskräfte

Zurück zu Compensation & Benefits: Leistungsprämien nach der Zielperiode sind üblich, aber deutlich weniger wirksam als Prämien im Voraus unter optimistischer Annahme, dass die Ziele erreicht werden können. Besitzeffekt und Verlustaversion heißen die Mechanismen, mit denen hier als Vergütungsverantwortliche im besten Fall operiert werden könnte. Und Leistungsunwillige? Man könnte ihr Vergütungsplus den Mehrleistern geben und beobachten, was passiert. Sehr wahrscheinlich nicht der erhoffte Effekt, sondern unschönes Explodieren in der Gruppendynamik – also besser nicht.

Was intangible Gaben wie Anerkennung mittel- und langfristig wirkungsmächtig können, ist bei Steyrer auch nachzulesen. Und Führungskräften als Post-it am Schreibtisch anzuraten. (Karin Bauer, 2.3.2018)